Zerfall der Linkspartei – der Preis rechter Politik

Susanne Hennig-Wellsow ist am Mittwoch mit sofortiger Wirkung vom Vorsitz der Linkspartei zurückgetreten. Die 44-Jährige war erst vor 14 Monaten gemeinsam mit Janine Wissler zur Parteivorsitzenden gewählt worden. Wissler soll die Partei nun alleine weiterführen, bis – voraussichtlich im Juni – eine neue Parteispitze gewählt wird.

Der Rücktritt von Hennig-Wellsow ist lediglich das jüngste Kapitel eines raschen Zerfalls der Linkspartei. Bei der Bundestagswahl im vergangenen September hatte sie ihren Stimmenanteil fast halbiert und die Fünf-Prozent-Hürde verpasst. Nur weil sie drei Direktmandate gewann, kehrte sie trotzdem in Fraktionsstärke in den Bundestag zurück. Inzwischen liegt sie in den bundesweiten Umfragen bei 4 Prozent.

Ende März war Die Linke bei der Landtagswahl im Saarland von 12,8 auf 2,6 Prozent abgestürzt. Oskar Lafontaine, der die Partei 2007 mitgegründet hatte und am Schluss die Landtagsfraktion im Saarland führte, war kurz zuvor ausgetreten.

Wie dies bei innerlich verfaulten Parteien immer der Fall ist, werden die politischen Fragen, die dem Niedergang zugrunde liegen, nicht offen diskutiert. Stattdessen werden die Spannungen und Flügelkämpfe, die der Zerfall unweigerlich mit sich bringt, auf Nebenschauplätzen – über Skandale, Affären und persönliche Beschuldigungen – ausgefochten.

Das gilt auch für den Rücktritt von Hennig-Wellsow. Sie beginnt ihre Rücktrittserklärung mit einer langen Klage über die Krise der Partei, ohne auch nur einmal konkret zu werden, und schießt dann giftige Pfeile auf ihre Rivalen ab.

„Das Versprechen, Teil eines Politikwechsels nach vorn zu sein, konnten wir aufgrund eigener Schwäche nicht einlösen,“ heißt es darin. „Wir haben zu wenig von dem geliefert, was wir versprochen haben. Ein wirklicher Neuanfang ist ausgeblieben. Eine Entschuldigung ist fällig, eine Entschuldigung bei unseren Wählerinnen und Wählern, deren Hoffnungen und Erwartungen wir enttäuscht haben.“

Und weiter: „Eine programmatische, strategische und kulturelle Erneuerung der Linken ist nötig, wir wissen es seit Jahren. Ich habe das mir Mögliche versucht, dazu beizutragen. Wir sind aber auf diesem Weg bisher nicht so weit gekommen, wie es meiner Ansicht nach nötig wäre. Wir haben Vertrauen enttäuscht…“

Für ihren Rücktritt nennt Hennig-Wellsow drei Gründe: Ihre private Lebenssituation, die politischen Schwierigkeiten der vergangenen Monate – „die Erneuerung braucht neue Gesichter, um glaubwürdig zu sein“ – sowie den „Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen“.

Der zweite und der dritte Grund richten sich gegen parteiinterne Rivalen, insbesondere gegen die Co-Vorsitzende Janine Wissler. Der Spiegel hatte am Freitag letzter Woche einen langen Artikel über Vorwürfe sexueller Übergriffe im hessischen Landesverband veröffentlicht, in dem Wissler jahrelang eine führende Rolle spielte. Auch Wisslers damaliger Lebenspartner wird darin der sexuellen Nötigung und Wissler selbst der Vertuschung bezichtigt.

Die Partei hat Wissler zwar in einer Stellungnahme bestätigt, sich politisch korrekt verhalten zu haben, aber die Sexismus-Vorwürfe werden seither – insbesondere von der Jugendorganisation Solid – in einer parteiinternen MeToo-Kampagne immer weiter ausgeweitet. Was davon zu halten ist, kann nur eine unabhängige Untersuchung zeigen. Jedenfalls sind die Sexismus-Vorwürfe nicht die Ursache, sondern nur ein Mittel in der parteiinternen Schlammschacht.

Die wirkliche Ursache für die Krise und den Niedergang der Linkspartei ist deren rechte Politik. Die Verschärfung der sozialen Krise infolge von Pandemie und Inflation sowie der Ukrainekrieg haben es unmöglich gemacht, ihre rechte Politik unter linken Phrasen zu verstecken. Wer bisher die Linke noch wählte, weil er sie für eine linke Alternative hielt, wendet sich von ihr ab.

Die Behauptung, die Linkspartei und ihre Vorgängerin PDS seien links, antikapitalistisch oder sozialistisch, war schon immer ein Betrug. Hervorgegangen aus der stalinistischen Staatspartei der DDR, diente die PDS anfangs als Klagemauer für alle, die bei der Wiedervereinigung, die sie selbst unterstützt hatte, zu kurz gekommen waren. Doch je mehr sie gebraucht wurde, um die sozialen Spannungen im Osten zu unterdrücken, desto offener bekannte sie sich zu Sozialabbau und Staatsaufrüstung.

2007 vereinigten sich abtrünnige Sozialdemokraten und Gewerkschaftsbürokraten aus dem Westen, die fürchteten, die SPD könne wegen ihrer Agenda 2010 den Klassenkampf nicht mehr unter Kontrolle halten, mit der PDS zur Linkspartei. Auch mehrere pseudolinke Gruppen, die bisher eine kärgliche Existenz im Dunstkreis von SPD und Gewerkschaften geführt hatten, schlossen sich der neuen Partei an, die ihnen lukrative politische Karrieren eröffnete. Zu ihn zählte auch Janine Wissler, die zwei Jahrzehnte lang Mitglied der Gruppe Marx21 und ihrer Vorgänger war.

In den Bundesländern, in denen sie Regierungsverantwortung übernahm, kürzte die Linkspartei die Sozialausgaben ebenso rabiat wie alle anderen Parteien, deportierte Flüchtlinge und rüstete die Polizei auf. In Thüringen stellt sie seit sieben Jahren den Ministerpräsidenten.

Nun hat sie im Ukrainekrieg auch noch ihr letztes Feigenblatt fallen lassen: ihre Distanzierung von Militarismus und Nato, die nie mehr als ein platonische Lippenbekenntnis war und keine praktischen Folgen hatte.

Gregor Gysi, Gründungsmitglied und jahrelanger Führer von PDS und Linkspartei, wollte bereits im Februar das 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung unterstützen. Linken-Abgeordneten, die sich dagegen aussprachen, warf Gysi vor: „Ihr seid nur daran interessiert, eure alte Ideologie in jeder Hinsicht zu retten. Die Nato ist böse, die USA sind böse, die Bundesregierung ist böse und damit Schluss für euch.“

Hennig-Wellsow trat Gysi sofort zur Seite. In einem schriftlichen Beitrag rief sie zur „Selbstkritik“ auf. Der russische Angriff auf die Ukraine zeige, „wie groß die eigenen Illusionen waren“, die „zu verheerenden Fehleinschätzungen“ geführt hätten. Man könne „nicht an ‚Wahrheiten‘ festhalten, die von Panzern und Raketen zermalmt wurden“.

Auch wenn es nicht leicht sei, „den Friedenswunsch und den Verteidigungswillen in Einklang zu bringen“, so Hennig-Wellsow, müsse die Partei ihre „eigenen Vorstellungen von ‚Defensivpotenzialen‘ schärfen“. Auch die Forderung nach der „Auflösung der Nato und ihrer Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands“, die noch im aktuellen Programm der Partei steht, müsse hinterfragt werden.

Hennig-Wellsow, die Tochter eines DDR-Volkspolizisten, der nach der Wende von der Thüringer Polizei übernommen wurde, war als thüringische Partei- und Fraktionsvorsitzende die rechte Hand von Ministerpräsident Bodo Ramelow, bevor sie im vergangenen Jahr nach Berlin wechselte. Sie gehört zu jenen Vertretern der Linkspartei, die ihre „Regierungsfähigkeit“, d.h. ihre uneingeschränkte Loyalität zur kapitalistischen Ordnung, besonders eifrig beweisen wollen.

Nun ist sie genervt zurückgetreten, aber ihr Kriegskurs ist offizielle Politik der Linkspartei, die sich nahtlos in die Kriegspropaganda der Nato eingliedert, die die Ukraine mit Waffen überschwemmt, dort einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führt und dabei einen nuklearen dritten Weltkrieg riskiert.

Am 6. März stellte sich der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch in einer Aktuellen Stunde des Bundestags ausdrücklich hinter die Bundesregierung, die die Ukraine in großem Umfang mit Waffen beliefert, und rief zur Einheit des „Westens“, d.h. der Nato, auf.

„Um das hier zu sagen: Die Verantwortung für den Krieg und die Verbrechen trägt Russland, niemand in Deutschland,“ erklärte er und forderte alle anderen Parteien zur Geschlossenheit auf: „Wer versucht, den Krieg in der Ukraine parteipolitisch zu instrumentalisieren, der leistet keinen Beitrag, den Krieg zu beenden, sondern er spielt der russischen Propaganda eines gespaltenen Westens in die Karten.“

Soweit Bartsch die Bundesregierung kritisierte, kam die Kritik von rechts. „Warum versagt Deutschland bei der Durchsetzung der Sanktionen gegen russische Oligarchen“, fragt er. Belgien, Frankreich und Italien hätten es geschafft, viel höhere Summen einzufrieren.

In einem Video der Welt sprach sich Bartsch für einen Stopp der Energieimporte aus Russland aus, was selbst Teile der Regierung aus Angst vor den verheerenden wirtschaftlichen Folgen bisher ablehnen. Es sei eine „irre Situation“, sagte er. „Wir finanzieren diesen Krieg. Wir überweisen jeden Tag hunderte Millionen in Putins Kriegskasse.“

Eine ernsthafte Opposition gegen diese Kriegspolitik gibt es innerhalb der Linkspartei nicht. Janine Wissler trägt den Kurs von Gysi, Bartsch und Hennig-Wellsow loyal mit.

Sahra Wagenknecht und ihre Gefolgsleute, die sich am deutlichsten von der Nato distanzieren, tun dies von einem deutsch-nationalen und nicht von einem prinzipiellen Standpunkt gegen den deutschen Militarismus. Sie sind der Ansicht, der deutsche Imperialismus könne seine nationalen Interessen besser durchsetzen, wenn er sich von der Dominanz der USA löse.

Die sozialistische Opposition gegen Krieg stützt sich dagegen auf den Klassenkampf. Sie strebt danach, die Arbeiter aller Länder zu vereinen, und vertritt Karl Liebknechts Grundsatz: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land.“ Diese Tradition wird heute nur von der Sozialistischen Gleichheitspartei verkörpert, die auf sozialistischer Grundlage gegen die Nato-Aggression, die „Profite vor Leben“-Politik in der Pandemie und die schreiende soziale Ungleichheit kämpft.

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