Dies ist die Rede von Tom Scripps auf der Online-Kundgebung vom 10. Dezember 2022, „Für eine Massenbewegung von Jugendlichen und Studierenden gegen den Krieg in der Ukraine“, die von der International Youth and Students for Social Equality organisiert wurde. Scripps ist stellvertretender nationaler Sekretär der Socialist Equality Party in Großbritannien. Weitere Informationen, wie ihr bei den IYSSE mitmachen könnt, findet ihr unter iysse.de.
Krieg bringt die wirklichen Klasseninteressen, welche die politischen Tendenzen vertreten, ans Licht.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 stellten sich die in der Zweiten Internationale organisierten sozialdemokratischen Parteien in aller Welt hinter ihre jeweiligen nationalen Kriegsanstrengungen. Als die damalige SPD, die größte sozialdemokratische Partei der Welt, für Kriegskredite stimmte, war dies ein epochaler Verrat am Sozialismus.
Nur eine kleine Gruppe revolutionärer Internationalisten unter der Führung von Wladimir Lenin stellte sich gegen den Strom und trat unter der unsterblichen Parole des deutschen Sozialisten Karl Liebknecht: „Der Hauptfeind steht im eignen Land!“ für einen vereinten Kampf der internationalen Arbeiterklasse gegen ihre nationalen herrschenden Klassen ein.
Dieser politische Kampf bereitete die russische Revolution von 1917 vor, deren seismische Wirkung dem blutigen Gemetzel ein Ende setzte.
Im Jahr 1914 schrieb Lenin den Artikel: „Der Krieg und die russische Sozialdemokratie“. Darin prangerte er die französischen Sozialdemokraten an, die behaupteten, einen Verteidigungskrieg gegen die deutsche Aggression zu führen, und die deutschen Sozialdemokraten, die behaupteten, die russische Despotie zu bekämpfen.
Lenin erklärte: „Der Sozialdemokratie obliegt vor allem die Pflicht, diese eigentliche Bedeutung des Kriegs aufzudecken und die von den herrschenden Klassen, den Gutsbesitzern und der Bourgeoisie zur Verteidigung des Kriegs verbreiteten Lügen, Sophismen und ‚patriotischen‘ Phrasen schonungslos zu entlarven.“
Was ist „diese eigentliche Bedeutung des Kriegs“ in der Ukraine? Sie wurde unter einem Berg von Lügen begraben.
Im Jahr 2014 haben der amerikanische und der europäische Imperialismus dazu beigetragen, ein anti-russisches Regime in der Ukraine an die Macht zu bringen, das sich auf bewaffnete Gruppen von Faschisten stützt. Die geopolitischen Strategen und Militärplaner in Washington hatten die Absicht, die Ukraine als Stellvertreter gegen Russland einzusetzen, und sie bedrohten dessen geostrategisch wichtigen Zugang zum Schwarzen Meer.
Riesige Ressourcen wurden in das ukrainische Militär gesteckt. Die Ambitionen der Ukraine gegen Russland auf der Krim wurden unterstützt, und es wurden Gespräche über eine Nato-Mitgliedschaft aufgenommen.
Nun, da der Krieg im Gange ist, haben diese Waffenlieferungen massiv zugenommen, während sich die Nato in Skandinavien weiter nach Osten ausgebreitet hat. Die Vereinigten Staaten unternehmen gewaltige Schritte in ihrem Streben nach Weltherrschaft durch die Unterwerfung von Russland und letztendlich auch China. Dass Russland am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert ist, ändert an diesen Tatsachen nichts.
Dies ist jedoch, was die unzähligen pseudolinken Tendenzen, die Russland mit den imperialistischen Nato-Mächten gleichsetzen, Arbeitern und Jugendlichen weismachen wollen.
Mit dem oberflächlichen Argument, Russland habe den ersten Schuss abgegeben, greifen diese Organisationen die Propaganda der Nato auf. Sie prangern den „russischen Imperialismus“ an und machen den Kreml – und nicht Washington – dafür verantwortlich, Pläne gegen Osteuropa und Eurasien auszuhecken.
Die Charakterisierung Russlands und Chinas als „imperialistisch“ dient dazu, eine Politik zu rechtfertigen, die darauf abzielt, diese Länder in mehrere Marionettenregime aufzuteilen. Ihre riesigen Öl-, Gas- und Bodenschätze sollen der Kontrolle der imperialistischen Mächte USA und Nato anheimfallen. Aus diesem Grund stellen diese Tendenzen den Krieg niemals in den Kontext der 30 Jahre davor, seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991. In dieser Zeit haben die USA eine ununterbrochene Reihe von Kriegen geführt, um die ganze Welt für ihre räuberischen Ambitionen zu öffnen.
Ginge es nur darum, die russische Invasion zu verurteilen, dann gäbe es (wie wir in unserem Statement erklären) ausreichend Gründe, dies zu tun, „ohne vor dem reaktionären und verlogenen Narrativ zu kapitulieren, das von der Nato und den bürgerlichen Medien fabriziert wurde“. Doch im Namen der Unterstützung des angeblichen Selbstbestimmungskampfs der Ukraine gegen den russischen „Imperialismus“ unterstützen die pseudolinken Gruppen den Stellvertreterkrieg der USA und der europäischen Mächte gegen Russland, der von rechtsextremen ukrainischen Kräften geführt wird.
Lenin und sein Mitstreiter in der Russischen Revolution, Leo Trotzki, schrieben während des Ersten und Zweiten Weltkriegs vernichtend über diejenigen, die auf diese Weise argumentierten.
In einer Resolution von 1915 zum Ersten Weltkrieg schrieb Lenin: „Die Frage, welche Gruppe den ersten militärischen Schlag geführt oder als erste den Krieg erklärt hat, ist bei der Bestimmung der Taktik der Sozialisten ohne jede Bedeutung. Die Redensarten von der Verteidigung des Vaterlands, von der Abwehr eines feindlichen Überfalls, vom Defensivkrieg usw. sind reiner Volksbetrug.“
In „Der Krieg und die Vierte Internationale“ aus dem Jahr 1934 sprach Trotzki von der „Wahnvorstellung“ des „Konzepts der nationalen Verteidigung, vor allem, wenn sie mit der Idee der Verteidigung der Demokratie übereinkommt“. Er schrieb weiter:
Der Charakter des Krieges wird nicht bestimmt durch das isoliert genommene Moment des Regimes („Verletzung der Neutralität“, „feindlicher Einmarsch“ usw.), sondern durch die Haupttriebkräfte des Krieges, seine Gesamtentwicklung und die Ergebnisse, zu denen er letzten Endes führt.
Lenins große Einsicht bestand darin, den sozialchauvinistischen Verrat der Zweiten Internationale auf seine sozioökonomischen Ursprünge zurückzuführen: Eine privilegierte Schicht des Kleinbürgertums und vor allem eine neu entstandene Arbeiteraristokratie hatte Druck auf die revolutionäre Avantgarde ausgeübt. Diese Arbeiteraristokratie war, gestützt auf den geplünderten Reichtum ihres jeweiligen Nationalstaats, durch einen höheren Lebensstandard gekauft worden.
Die heutige Reaktion der Pseudolinken auf den Krieg in der Ukraine bringt die Interessen der wohlhabenden Mittelschicht noch direkter zum Ausdruck. Diese Gesellschaftsschicht ist in den letzten Jahrzehnten weit nach rechts gerückt. Sie ist dem Sozialismus gegenüber absolut feindselig eingestellt, angewiesen auf steigende Aktienkurse, die von der Unterdrückung des Klassenkampfs abhängig sind, und zunehmend auf den kapitalistischen Staat ausgerichtet.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Dies ist die gähnende Kluft zwischen den Klassen, die die Trotzkisten der IKVI und der IYSSE von jeder anderen politischen Tendenz trennt. Diese Tendenzen dienen alle dazu, die Arbeiterklasse an dieses reaktionäre Milieu zu ketten.
Im Vereinigten Königreich kam dies in den letzten Jahren besonders in der Unterstützung aller pseudolinken Strömungen für Jeremy Corbyn zum Ausdruck, dessen Führung der Labour Party eine sozialistische Wiederbelebung markieren sollte.
In Wirklichkeit haben Corbyn und seine Anhänger in jeder Grundsatzfrage vor den Rechten kapituliert, vor allem, indem sie ihren Widerstand gegen die Nato und das Atomwaffensystem Trident aufgegeben haben.
Die Labour Party ist nun fest in der Hand des Kriegstreibers Sir Keir Starmer, der keinen Zweifel an seiner „unerschütterlichen Unterstützung“ für die Nato zulässt. Corbyn darf nicht einmal mehr als Abgeordneter im Parlament sitzen.
Der heutige Rumpf von 11 Abgeordneten des Corbyn-Flügels ist vor Starmers Kriegstreiberei in die Knie gegangen und hat seine Unterstützung für einen offenen Brief der Stop the War Coalition, in dem die Nato kritisiert wird, auf Starmers Aufforderung hin innerhalb einer Stunde zurückgezogen.
Im Jahr 2003, vor dem Irakkrieg, hatte die Stop the War Coalition einen Protest von mehr als einer Million Menschen angeführt. Heute, nachdem sie unter der ersten Salve der Labour Party und der bürgerlichen Presse eingebrochen ist, funktioniert die Organisation kaum noch.
Corbyn selbst ruft noch hin und wieder persönlich zur Beendigung des Kriegs auf dem Verhandlungsweg auf, aber gleichzeitig versichert er dem CIA-eigenen Radio Free Europe, dass die Labour Party auch unter seiner Führung weiterhin „das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung“ unterstützen würde. Er gebe „der Nato keine Schuld daran, dass Russland in die Ukraine einmarschiert“ sei.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale stützt seine Haltung zum Nato-Russland-Konflikt auf das Verständnis, dass dieselben Bedingungen, die zu Krieg führen, auch zu sozialer Revolution führen und die internationale Arbeiterklasse auf das Schlachtfeld bringen.
In seiner Erklärung „Sozialismus und der Kampf gegen den Krieg“ von 2016 hat das IKVI die Grundsätze definiert, auf denen eine neue sozialistische Massenbewegung gegen Krieg aufgebaut werden muss. Vor allem betonten wir: „Der Kampf gegen Krieg muss von der Arbeiterklasse ausgehen, die als revolutionäre gesellschaftliche Kraft alle fortschrittlichen Teile der Bevölkerung hinter sich vereint.“
Gerade jetzt befinden sich im Vereinigten Königreich Hunderttausende Arbeiter in einem landesweiten Streik in einem Ausmaß wie seit Generationen nicht mehr. Millionen haben für Streik gestimmt. Dies ist Teil eines internationalen Aufschwungs des Klassenkampfs, der durch einen Einbruch des Lebensstandards angetrieben wird, welcher eng mit dem imperialistischen Krieg verbunden ist.
Die International Youth and Students for Social Equality sind entschlossen, den beginnenden Kampf der Arbeiterklasse gegen die imperialistischen Kriegstreiber politisch vorzubereiten. Entscheidet euch noch heute, euch diesem Kampf für den wirklichen Sozialismus anzuschließen.