Oberster Gerichtshof der USA beschließt weitreichenden Angriff auf das Streikrecht

Das Gebäude des Obersten Gerichtshofs in Washington DC in der Abenddämmerung, 22. Oktober 2021 [AP Photo/J. Scott Applewhite]

Am Donnerstag fällte der Oberste Gerichtshof der USA mit einer 8:1-Mehrheit ein Urteil, das einen massiven Angriff auf das Streikrecht der Arbeiter bedeutet. Es entschied, dass ein Arbeitgeber Klage einreichen und eine finanzielle Entschädigung für „Schäden“ verlangen kann, die durch einen Streik entstanden sind.

Das geltende Arbeitsrecht sieht vor, dass streikende Arbeiter „angemessene Vorkehrungen“ treffen müssen, um das Eigentum des Arbeitgebers vor unnötigen Schäden durch eine plötzliche Arbeitsniederlegung zu schützen. In seiner Entscheidung vom Donnerstag berief sich der Oberste Gerichtshof auf dieses Konzept und weitete es so stark aus, dass in letzter Konsequenz jeder Streik illegal wäre, wenn er dem Unternehmen finanziell Schaden zufügt.

Natürlich geht es bei einem Streik genau darum, den größtmöglichen Schaden für das Unternehmen durch den Einsatz der Stärke der organisierten Belegschaft zu erreichen. Das Streikrecht ist ein demokratisches Grundrecht und eine wesentliche Form der kollektiven Selbstverteidigung der Arbeiter.

Ketanji Brown Jackson, die als einzige Richterin gegen das Urteil gestimmt hat, erklärte in ihrer Begründung, es ginge um nichts weniger als die Frage, ob Arbeiter rechtlich frei oder „Schuldknechte“ sind, denen man gesetzlich verbieten kann, die Arbeit niederzulegen.

Sie schrieb: „Arbeiter sind keine Schuldknechte, die verpflichtet sind, so lange zu arbeiten, bis eine geplante Arbeitsniederlegung für ihren Herrn so schmerzlos wie möglich ist.“ Das geltende Arbeitsrecht schütze das Recht der Arbeiter auf eine „kollektive und friedliche Entscheidung, die Arbeit zu verweigern“.

Die restlichen acht Richter des Obersten Gerichtshofs stimmten dem nicht zu. Die angeblich „liberalen“ Richterinnen Elena Kagan und Sonia Sotomayor schlossen sich dem sechsköpfigen Block an, der die extrem rechte Mehrheit bildet. Die Begründung wurde von Richterin Amy Coney Barrett verfasst, einer christlichen Fundamentalistin, die vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump ernannt worden war.

Wie Jackson andeutet, werden Arbeiter durch den juristischen Rahmen, auf den sich die Mehrheit der Richter einigte, quasi standardmäßig auf den Status unfreier Vertragsknechte degradiert. Sie sind verpflichtet, gegen ihren Willen für ihre Arbeitgeber zu arbeiten, soweit ihnen nicht von oben eine Sondergenehmigung erteilt wird, die Arbeit einzustellen.

Der Fall geht auf einen Streik von Lastwagenfahrern eines Betonwerks von Glacier Northwest in Kenmore (Washington) zurück. Nachdem ihr Tarifvertrag am 31. Juli 2017 ausgelaufen war und sich das Unternehmen weigerte, die minimalen Verbesserungen zu akzeptieren, die von der Teamsters-Gewerkschaft gefordert wurden, sah sich die Gewerkschaft gezwungen, zu einem Streik am 11. August 2017 aufzurufen.

Von den 80 bis 90 Fahrern, um die es in den Tarifverhandlungen ging, sollten 43 an dem Tag arbeiten, an dem der Streik begann. An einem normalen Arbeitstag würden die Fahrer zwischen drei und sechs Lastwagenladungen Beton abholen und ausliefern. In der Zwischenzeit würde der Beton auf dem Werksgelände kontinuierlich vorbereitet und im Laufe des Tages auf die Lastwagen verladen. Die Lastwagen sind mit Umlauftrommeln ausgerüstet, damit der Beton während der Fahrt nicht hart wird.

Als der Streik bei Glacier Northwest begann, befanden sich einige der Lastwagen auf dem Firmengelände und wurden beladen, andere befanden sich auf Lieferfahrten. Zu Beginn des Streiks hatten 16 Fahrer noch nicht ausgelieferten Beton auf ihren Lastwagen. Sie ignorierten die Aufforderung des Managements, den Beton auszuliefern, und kehrten mit voll beladenen Lastwagen auf das Betriebsgelände zurück, ohne dass dabei Schaden an den Lastwagen, den Maschinen oder der Umwelt entstanden wäre.

Glacier Northwest behauptete, es sei durch den Streik „geschädigt“ worden, weil ein Teil des Betons nicht ausgeliefert wurde und deshalb nicht verwendet werden konnte. Diese Argumentation ist von Grund auf unseriös.

Weil der Beton den ganzen Arbeitstag über vorbereitet und ausgeliefert wird, würde notwendigerweise jede Arbeitsniederlegung den Prozess unterbrechen und möglicherweise zum Verlust eines Teils des Betons führen. Vom juristischen Standpunkt ist jedoch wichtiger, dass der Tarifvertrag der Fahrer bereits ausgelaufen war, sodass das Unternehmen nicht behaupten kann, es sei von der plötzlichen Arbeitsniederlegung „überrascht“ worden. Die Fahrer hatten bereits seit langem die juristischen Vorgaben des Tarifvertrags erfüllt, unter dem sie gearbeitet hatten.

Wie es das Gesetz vorsieht, hat die Gewerkschaft das Management 60 Tage im Voraus von dem Streik informiert. Das Management konnte dankbar sein, dass die Fahrer ihre Lastwagen nach Beginn des Streiks sicher und gewissenhaft auf das Betriebsgelände zurückgebracht haben, statt sie einfach am Straßenrand stehen zu lassen, wo sie möglicherweise durch den aushärtenden Beton beschädigt worden wären. Unter diesen Umständen konnte Glacier Northwest niemanden für irgendwelche „Schäden“ verantwortlich machen außer sich selbst.

Trotzdem schlug das Unternehmen wütend gegen die streikenden Arbeiter zurück, verschickte Abmahnungen und reichte vor dem Bundesstaatsgericht von Washington eine Klage gegen den Teamsters-Ortsverband ein. Die Gewerkschaft legte daraufhin Beschwerde beim National Labor Relations Board (NLRB) gegen die Abmahnungen und die Klage ein und bezeichnete sie als illegale Vergeltungsmaßnahmen. Der Oberste Gerichtshof von Washington wies die Klage zurück, und das NLRB stellte sich auf die Seite der Gewerkschaft. Es legte Beschwerde ein und erklärte, die Klage sei unbegründet und das Unternehmen habe durch sein Verhalten gegen das Bundesarbeitsrecht verstoßen.

Laut dem National Labor Relations Act von 1935, der die Grundlage für das System der „Tarifbeziehungen“ bildet, das im Rahmen von Präsident Franklin Roosevelts „New Deal“ eingeführt wurde, durften Arbeitgeber keine gesonderten Klagen gegen Streiks einreichen. Stattdessen müssen sie, genau wie die Gewerkschaften, das staatlich kontrollierte Verfahren des NLRB durchlaufen. Im Jahr 1959 entschied der Oberste Gerichtshof, dass vor Gerichten der Bundesstaaten grundsätzlich keine Prozesse geführt werden dürfen, bei denen es um Tarifstreitigkeiten geht.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zugunsten von Glacier Northwest wird der Präzedenzfall für eine Flutwelle von Klagen der Arbeitgeber bei allen künftigen Streiks werden. Sie werden behaupten, sie seien unfairerweise „geschädigt“ worden, weil die Arbeiter keine „angemessenen Vorkehrungen“ getroffen hätten, um sicherzustellen, dass dem Unternehmen durch den Streik kein Schaden entsteht.

Wenn beispielsweise die Beschäftigten eines Fast-Food-Restaurants wegen unerträglicher Arbeitsbedingungen die Arbeit niederlegen, droht ihnen eine Klage wegen des Verlusts von verderblichen Nahrungsmitteln, die offen herumliegen gelassen werden, oder sogar für den Verlust der erwarteten Gewinne des Unternehmens während des Streiks. Unabhängig vom Ergebnis derartiger Klagen können sie unter den fadenscheinigsten oder frei erfundenen Gründen eingereicht werden, um Arbeiter einzuschüchtern, zu bedrohen und finanziell zu ruinieren.

Gleichzeitig wird das Urteil des Obersten Gerichtshofs den Gewerkschaftsbürokratien zweifellos einen weiteren Vorwand liefern, keine Streiks zu organisieren. Sie können künftig die Ausrede benutzen: „Wir können nicht streiken, weil das Unternehmen uns sonst verklagt.“

Unter diesen Rahmenbedingungen sind nur noch symbolische, theatralische „Streiks“ vorgesehen, die nach vorheriger Vereinbarung zwischen der Gewerkschaftsbürokratie und der Unternehmensleitung sorgfältig inszeniert werden, damit dem Unternehmen kein Schaden zugefügt wird. Echte, von der Belegschaft selbst organisierte Arbeitskämpfe, die einem Unternehmen schweren wirtschaftlichen Schaden zufügen sollen, wenn es die Forderungen der Arbeiter nicht erfüllt, würden hingegen als illegale „Sabotage“ gebrandmarkt werden.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs ist unmissverständlich darauf ausgelegt, die wachsende Welle von Militanz am Arbeitsplatz in den USA in sicheren Bahnen zu halten, da in der nahen Zukunft zahlreiche große Tarifkämpfe drohen, u.a. in der Autoindustrie und bei UPS. Zudem bestätigt das Urteil vor dem Hintergrund des eskalierenden Nato-Kriegs in der Ukraine erneut die historische Gesetzmäßigkeit, dass ein imperialistischer Krieg im Ausland immer auch Angriffe auf demokratische Rechte im Inland bedeutet.

Obwohl bereits das Urteil vom Donnerstag ein massiver autoritärer Angriff auf das Streikrecht ist, deuten die Urteilsbegründungen des äußersten rechten Flügels des Obersten Gerichtshofs darauf hin, dass sie noch weiter zu gehen bereit sind. Die Richter Samuel Alito, dem sich die Richter Clarence Thomas und Neil Gorsuch anschlossen, hätten Glacier Northwest erlaubt, die Gewerkschaft allein aufgrund der Behauptung des Unternehmens zu verklagen, der Beton sei vorsätzlich beschädigt worden. Thomas und Gorsuch erwägen in einer separaten, übereinstimmenden Stellungnahme die Möglichkeit, das Urteil von 1959, das Arbeitgebern Klagen außerhalb des NLRB untersagt, komplett zu kippen.

Präsident Joe Biden, der sich selbst als „der gewerkschaftsfreundlichste Präsident der Geschichte“ bezeichnet, unternahm bezeichnenderweise nichts, um die streikenden Lastwagenfahrer in dem Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof zu unterstützen. Die offizielle Position der Biden-Regierung lautete, sie unterstütze „keine der beiden Parteien“ in dem Disput. Stattdessen argumentierte sie lediglich, der Fall solle durch ein Verfahren des NLRB entschieden werden. Die Biden-Regierung gab sich jedoch große Mühe, in ihrer Stellungnahme zu erklären, dass – „sofern man die Vorwürfe [von Glacier Northwest] als wahr annimmt – die Lastwagenfahrer „keine angemessenen Vorkehrungen getroffen haben“, um das Unternehmen vor Schaden zu bewahren.

Die Stellungnahme der Biden-Regierung zitierte in einem Anhang auch die „Feststellungen und Grundsätze“ des National Labor Relations Act von 1935, laut denen es das Ziel der Regierung ist, „die Praktiken einiger Arbeiterorganisationen“ zu eliminieren, die „die Absicht oder die notwendige Wirkung haben, die Wirtschaft zu belasten oder zu behindern, indem sie den freien Warenfluss dieser Wirtschaft durch Streiks und andere Formen von Arbeitsunruhen oder durch konzertierte Aktivitäten verhindern und damit das Interesse der Öffentlichkeit am freien Fluss der Wirtschaft beeinträchtigen“.

Die Biden-Regierung argumentiert damit indirekt, der derzeitige nationale Rechtsrahmen für die „Beziehungen zwischen den Tarifpartnern“ sollte beibehalten werden, weil er eingeführt wurde, um mit Hilfe des Gewerkschaftsapparats Streiks zu verhindern und zu kontrollieren.

Das Urteil vom Donnerstag, mit dem das Streikrecht angegriffen wird, wurde von einem Gericht gefällt, das mit nicht gewählten Rechtsextremisten besetzt wurde, und das gerade eine hemmungslose Offensive gegen alle demokratischen Rechte führt (letztes Jahr hat es das Recht auf Abtreibung abgeschafft). Zudem ist der Oberste Gerichtshof derzeit in einen Bestechungs- und Korruptionsskandal verwickelt, der die Legitimität all seiner Urteile während der letzten Jahrzehnte in Frage stellt.

Im Mittelpunkt dieses Skandals stehen der rechtsextreme Richter Clarence Thomas und seine Frau Ginni Thomas, eine hochrangige Republikanerin und enge Verbündete Trumps. Unter anderem wurde aufgedeckt, dass Richter Thomas nicht angegebene Einladungen zu Luxusurlauben angenommen hat, die ihm von dem milliardenschweren republikanischen Immobilienmogul Harlan Crow finanziert wurden. Crow ist ein fanatischer Antikommunist und sammelt Nazi-Devotionalien.

Doch auch wenn Thomas der dreisteste Beschuldigte ist, sind fast alle Richter aus den letzten Jahrzehnten und der derzeitige Oberste Richter, John Roberts, selbst in unterschiedlichem Ausmaß in den Skandal verwickelt. So hat die Ehefrau des Obersten Richters, Jane Roberts, hunderttausende Dollar an angeblichen Anwaltshonoraren von einer der Anwaltskanzleien erhalten, die später einen Fall vor dem Gericht vertraten.

Die Urteile dieses korrupten Gerichts werden immer gesetzloser, reaktionärer und sind geprägt von tendenziösen und widersinnigen Argumentationen und von Doppelmoral.

Als der sozialistische Autoarbeiter Will Lehman im November 2022 versuchte, vor einem Bundesgericht gegen die Unterdrückung von Stimmen bei der Wahl des UAW-Vorsitzenden Klage einzureichen, wurde ihm erklärt, er könne keine Klage erheben, sondern müsse ein Verwaltungsverfahren durchlaufen. Doch wie das Urteil vom Donnerstag gezeigt hat, schreitet der Oberste Gerichtshof sofort ein, wenn ein Arbeitgeber dieses Verwaltungsverfahren umgehen will. In diesem Fall biegt der Oberste Gerichtshof das Gesetz in die entsprechende Richtung, um ein Ergebnis zugunsten des Managements zu erhalten.

Die 8:1-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, die das Streikrecht untergräbt, folgt auf die Aktion im Herbst letzten Jahres, als Republikaner, Demokraten und die Biden-Regierung gemeinsam einen Streik der Eisenbahner verhindert haben. Die Entscheidung unterstreicht erneut, dass das gesamte politische Establishment – ungeachtet der Differenzen zwischen Demokraten und Republikanern über verschiedene politische Aspekte – einer Meinung ist, wenn es darum geht, jeden Versuch der Arbeiterklasse abzuwehren, die kapitalistische Gesellschaftsordnung herauszufordern.

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