In seiner Entscheidung vom 6. Juni hat ein britischer High-Court-Richter Julian Assanges Antrag auf Berufung gegen seine Auslieferung an die Vereinigten Staaten abgelehnt. Damit läuft der Wikileaks-Gründer Gefahr, an die amerikanischen Behörden ausgeliefert zu werden, die ihn aufgrund des Espionage Act verfolgen, weil er unter US-Führung begangene Kriegsverbrechen aufgedeckt hat.
Nach mehr als drei Jahren, die das Verfahren bisher gedauert hat, bleiben kaum noch rechtliche Möglichkeiten, Assanges Auslieferung zu verhindern. Ihm bleibt im Grunde nur noch eine Berufungsmöglichkeit, und die könnte nächste Woche abgelehnt werden.
Anfang 2021 lehnte ein Magistratsgericht die Auslieferung mit der Begründung ab, dass Assanges Inhaftierung in den USA „repressiv“ und so bedrückend wäre, dass es für ihn wahrscheinlich den Tod bedeuten würde. Der High Court hob dieses Urteil im Dezember 2021 auf, nachdem die USA versichert hatten, dass Assanges Behandlung in einem US-Gefängnis gar nicht so schlimm sein würde.
Diese Entscheidung war eine Farce. Die angeblichen Garantien, die die USA abgaben, stellten neue Indizien dar und hätten überhaupt nicht akzeptiert werden dürfen. Sie kamen von einem Staat, der Medienberichten zufolge Assanges illegale Entführung oder Ermordung erwogen hatte, als dieser 2017 als politischer Flüchtling in der Botschaft von Ecuador lebte. Die Zusicherungen enthielten zudem Schlupflöcher, die es den USA erlaubt hätten, Assange nach Belieben zu behandeln, sobald er sich auf amerikanischem Boden befunden hätte.
Trotzdem lehnte es der High Court im März 2022 ab, Assanges Berufung aus gesundheitlichen Gründen anzuhören.
Im Juli 2022 reichten die Anwälte von Assange eine weitere Berufung beim High Court ein, deren vollständige Begründung sie im weiteren Verlauf des Jahres erläuterten. Dieser Antrag ist diese Woche abgelehnt worden. Berichten zufolge hat Richter Sir Jonathan Swift am Dienstag ein dreiseitiges Urteil erlassen. Das Dokument ist bisher nicht veröffentlicht worden.
Die Berufung musste sich auf die wesentlichen Punkte des Falles konzentrieren. Dazu gehörte, dass Assange aufgrund seiner politischen Meinung und wegen eigentlich geschützter Meinungsäußerung verfolgt wird. Beides darf nach britischem Auslieferungsgesetz nicht sein. Weiter ging es darum, dass der Auslieferungsantrag der USA gegen einen Vertrag zwischen den USA und Großbritannien verstößt, der Auslieferungen aus politischen Gründen verbietet. Auch hatte die US-Regierung den britischen Gerichten den Sachverhalt falsch dargestellt, und es lag ein Verfahrensmissbrauch vor.
Der High Court entschied nicht direkt über diese Fragen. Stattdessen musste nur geklärt werden, ob eine Rechtsfrage vorlag, gegen die Assange beim High Court Berufung einlegen konnte. Obwohl einige Rechtsexperten sagten, dass eine solche Entscheidung innerhalb von Tagen oder Wochen hätte getroffen werden können, zog sich das Verfahren bis zur Ablehnung über sechs Monate hin.
In einer Twitter-Meldung erläuterte Assanges Frau, Stella Assange, heute den nächsten Schritt des juristischen Prozesses. Sie schrieb:
Am Dienstag nächster Woche wird mein Mann Julian Assange einen erneuten Antrag auf Berufung beim High Court stellen. Die Angelegenheit wird dann in einer öffentlichen Anhörung vor zwei neuen Richtern am High Court verhandelt. Wir sind weiterhin optimistisch, dass wir uns durchsetzen und Julian nicht an die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird, denn dort droht ihm eine Anklage, die dazu führen könnte, dass er den Rest seines Lebens in einem Hochsicherheitsgefängnis verbringt, weil er wahre Informationen veröffentlicht hat, welche die Kriegsverbrechen der US-Regierung aufdecken.
Wenn die Richter des High Court nächste Woche Swifts Urteil bestätigen, dann sind Assanges rechtliche Möglichkeiten in Großbritannien offenbar erschöpft. Assanges Anwälte haben im Dezember letzten Jahres beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Berufung eingelegt. Dieser könnte möglicherweise eine einstweilige Verfügung erlassen, um die Auslieferung zu stoppen, ehe er den Fall prüft.
Was auch immer geschieht, es ist klar, dass Assange einer Auslieferung in ein US-Gefängnis näher ist als je zuvor. Dort würde er, wie es Menschenrechtsorganisationen ausgedrückt haben, im „finstersten Loch“ des drakonischen amerikanischen Gefängnissystems verschwinden. Er würde aller Wahrscheinlichkeit nach unter denselben Bedingungen einer nahezu vollständigen Isolation wie verurteilte Terroristen leben müssen.
Assange müsste sich unter Geheimhaltung einem nationalen Sicherheitsprozess stellen. Dieser würde im Eastern District of Virginia stattfinden, wo die CIA und andere Geheimdienste ihren Sitz haben, so dass die Geschworenen höchstwahrscheinlich in ihrer Mehrheit aus Spionen, ihren Verwandten oder Mitarbeitern bestehen würden. Die Anklage sieht eine Höchststrafe von 175 Jahren vor.
Die britische Justiz dient als Dreh- und Angelpunkt dieser Operation. Seit mehr als vier Jahren hält sie Assange nun gefangen, die meiste Zeit davon ohne Anklage. Dabei haben mehrere medizinische Experten vor einer bedenklichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands gewarnt.
Und offenbar sind die britischen Gerichte für alle Enthüllungen, die Assanges Fall als illegitimes Komplott entlarven, völlig unempfänglich. Besonders auffällig ist die Tatsache, dass weltweit namhafte Menschenrechts- und Pressefreiheitsorganisationen diesen amerikanischen Auslieferungsfall als schweren Schlag gegen die demokratischen Grundrechte angeprangert haben. Es ist der Versuch, freien Journalismus zu unterbinden.
Sensationelle Geschichten wurden veröffentlicht, die eigentlich dazu hätten führen müssen, dass das Auslieferungsverfahren sofort hätte beendet und Assange hätte freigelassen werden müssen. Die britische Justiz hat davon kaum Notiz genommen.
Im Juni 2021 gab Sigurdur „Siggi“ Thordarson, ein verurteilter isländischer Krimineller, zu, dass er falsche Beweise gegen Assange geliefert hatte, im Austausch für Immunität vor der Strafverfolgung durch das US Federal Bureau of Investigation (FBI). Die von Thordarson eingeräumten Unwahrheiten bleiben aber in der aktuellen Anklageschrift, mit der die USA die Auslieferung von Assange betreiben.
Im September 2021 veröffentlichte Yahoo News eine umfassende Untersuchung, in der behauptet wurde, dass die Trump-Administration und die CIA im Jahr 2017 Gespräche über die illegale Entführung oder Ermordung von Assange geführt hatten, der damals als politischer Flüchtling in der Londoner Botschaft Ecuadors lebte.
Whistleblower haben auch ausgesagt, dass das Unternehmen, das die Botschaft bewachte, UC Global, in einer Loyalitätsverletzung heimlich mit der US-Regierung zusammenarbeitete. Dazu gehörte auch das unrechtmäßige Ausspionieren von Assanges vertraulichen Gesprächen mit seinen Anwälten.
Der Gründer von UC Global, David Morales, steht in Spanien wegen dieser Anschuldigungen und anderer Straftaten vor Gericht. Am vergangenen Wochenende berichtete El Pais über den bisher direktesten Beweis, dass Morales und die CIA eine kriminelle Partnerschaft gegen Assange eingegangen waren. In seinen Computerdateien hatte man einen Ordner gefunden, der die illegale Überwachung von Assange enthielt, versehen mit der Bezeichnung „CIA“.
Gleichzeitig wächst in der Bevölkerung die Unterstützung für Assange, auch in Australien, wo er Staatsbürger ist. In einer australischen Umfrage vom letzten Monat sprachen sich 79 Prozent der Befragten dafür aus, dass die US-Regierung alle Anklagen gegen Assange fallen lasse, damit er freigelassen werde.
Da sich der Fall auch in den USA immer klarer darstellt und Assanges Notlage immer sichtbarer wird, besteht die Gefahr, dass die beteiligten Behörden in Amerika, Großbritannien und Australien jetzt versuchen, die Auslieferung so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Die beste Möglichkeit, der wachsenden öffentlichen Unterstützung für Assange zuvorzukommen, könnte darin bestehen, vollendete Tatsachen zu schaffen, d. h. ihn an die USA auszuliefern.
Das unterstreicht die Dringlichkeit, die latente Unterstützung für Assange in eine Massenbewegung von Arbeitern und Jugendlichen zu verwandeln, die bewusst für seine Freiheit kämpfen.
In diesem Kampf ist keiner Regierung oder offiziellen Institution zu trauen. Das gilt auch für die australische Labor-Regierung. Sie hat vage Erklärungen abgegeben, in denen sie ihre Sorge über Assanges Situation ausdrückte, nach dem Motto: „Genug ist genug“, und: „Der Fall sollte abgeschlossen werden“.
Labor behauptet, diese Positionen gegenüber der Regierung Biden geäußert zu haben. Aber wie das britische Gerichtsurteil von dieser Woche zeigt, hat sich überhaupt nichts geändert. Assange ist nach wie vor in Großbritannien inhaftiert, das Auslieferungsverfahren nähert sich immer schneller seinem Abschluss, und Biden lässt keine Anzeichen dafür erkennen, dass seine Regierung die Anklage fallen lässt. Unterdessen vertieft Labor jeden Tag ihre Zusammenarbeit mit den USA, insbesondere bei den Vorbereitungen für einen aggressiven Konflikt mit China.
In diesem größeren Kontext spielt sich der Rachefeldzug gegen Assange ab: Während ein Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine geführt wird und ein noch katastrophalerer Krieg gegen China im Indopazifik vorbereitet wird, führen die imperialistischen Mächte auch einen Krieg gegen die demokratischen Rechte der Bevölkerung. Sie nutzen Assanges Verfolgung als Speerspitze einer breiteren Kampagne, um den Widerstand gegen den Krieg und gegen die allgemeinen Missstände einzuschüchtern.
Auf der andern Seite entwickelt sich der Klassenkampf, und Arbeiter und junge Menschen radikalisieren sich politisch. Dieser Bewegung muss sich jeder, der die demokratischen Freiheiten verteidigen will, zuwenden und dafür kämpfen, dass sie sich Assanges Befreiung auf die Fahnen schreibt, um seine Auslieferung zu verhindern.