Das israelische Militär hat am frühen Montagmorgen die Stadt Dschenin im nördlichen Westjordanland und das dicht besiedelte Flüchtlingslager der Stadt aus der Luft und mit gepanzerten Fahrzeugen angegriffen. Dabei wurden bisher mindestens zehn Palästinenser getötet, darunter drei Kinder, und zig weitere verletzt. Zehn Verwundete befinden in einem kritischen Zustand, so dass noch mehr Todesopfer zu erwarten sind.
Etwa 2.000 israelische Soldaten sind an einer Massenverhaftungsaktion beteiligt, bei der am Montag mindestens 20 Palästinenser für weitere Verhöre festgenommen wurden.
Die israelischen Luftangriffe auf Dschenin trafen Wohnhäuser, Versorgungseinrichtungen, ein Krankenhaus und eine Moschee. Bodentruppen stürmten die Al-Ansar-Moschee und behaupteten fälschlicherweise, dass sich bewaffnete Männer darin verschanzt hätten, und dass sie Krankenwagen daran hinderten, Menschen ins Krankenhaus zu bringen. Die israelischen Streitkräfte haben das Flüchtlingslager, in dem 14.000 Palästinenser leben, umzingelt und lassen niemanden hinein oder heraus. Die Verbindungen zum Internet, zum Stromnetz und zur Wasserversorgung sind unterbrochen. Soldaten griffen Journalisten an, die Pressewesten trugen, darunter Mitarbeiter von Al Araby TV, die über die Offensive berichteten, und zerstörten ihre Videokameras.
„Höhle der Löwen“, eine militante palästinensische Gruppe mit Sitz in Dschenin, rief die Menschen im gesamten Westjordanland und im Gazastreifen dazu auf, Unterstützung für die Menschen in Dschenin zu mobilisieren. Sie rufen zu Demonstrationen und zur Blockade von Straßen und Wegen auf, die von den israelischen Streitkräften und Siedlern benutzt werden, um ihren Nachschub in die Stadt zu bringen. Palästinenser aus dem Gazastreifen versammelten sich daraufhin entlang der Grenze zu Israel, schwenkten Fahnen und zündeten Reifen an, um gegen den israelischen Angriff auf Dschenin zu protestieren. Israelische Soldaten gingen mit Tränengas gegen sie vor.
Der kriminelle Militärangriff ist der größte seit der Belagerung des Flüchtlingslagers Dschenin durch Israel im April 2002, bei der mindestens 52 Palästinenser getötet wurden und viele obdachlos wurden. Dreiundzwanzig israelische Soldaten verloren bei diesem Kampf ihr Leben.
Vor dem aktuellen Angriff hatten die faschistischen Kräfte in der Koalitionsregierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) wiederholt aufgefordert, eine groß angelegte Militäroperation zur Unterdrückung der Palästinenser im Westjordanland, das Israel seit dem arabisch-israelischen Krieg von 1967 illegal besetzt hält, zu starten - ähnlich wie die mörderischen Angriffe auf den belagerten Gazastreifen. Eine solche Operation, bei der erbitterter Widerstand zu erwarten ist, führt zwangsläufig zu vielen Toten und Verwüstungen. Der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, erklärte, die Armee müsse „Gebäude abreißen“ und „Tausende von Terroristen“ töten. Gleichzeitig ermutigte er seine Anhänger, „auf die Hügel zu rennen und sie zu erledigen“.
Der Hauptsprecher der IDF, Brigadegeneral Daniel Hagari, sagte, die Operation sei eine „breit angelegte Anstrengung gegen den Terror“. Er bezog sich dabei auf die militanten palästinensischen Gruppen, darunter Hamas, Islamischer Dschihad, Höhle der Löwen, Volksfront zur Befreiung Palästinas und andere. Die Operation konzentriere sich zwar auf Dschenin, sagte er, aber sie könne auch auf andere Teile des nördlichen Westjordanlandes ausgedehnt werden. Er verweigerte eine Aussage zur Dauer der Operation, aber er vermittelte den Eindruck, dass sie mindestens eine Woche anhalten werde. Er fügte hinzu, dass das Militär in höchster Alarmbereitschaft sei, falls der Gazastreifen, die libanesische Hisbollah oder andere Gruppen versuchten, einzugreifen oder Israel anzugreifen.
Der nationale Sicherheitsberater Israels, Tzachi Hanegbi, erklärte: „Die gesammelten Informationen deuten darauf hin, dass der Iran und seine Stellvertreter, die Hamas und der Islamische Dschihad, versuchen, viel Geld und Waffen an Terroristen zu transferieren.“
Generalmajor Yehuda Fox, der Chef des Zentralkommandos der IDF, betonte, dass die Operation in Dschenin keine einmalige Angelegenheit bleiben werde. „Es gibt hier eine Reihe von Operationen, so wie wir vor einer Woche und vor zwei Wochen hier waren, wir werden diese Operation beenden und in ein paar Tagen oder einer Woche zurückkommen, und wir werden nicht zulassen, dass diese Stadt zum Zufluchtsort für den Terror wird.“
Verteidigungsminister Yoav Gallant, den die Oppositionsführer wegen seiner Kritik an Netanjahus Plänen zur Umgestaltung des Justizwesens loben, hat den Angriff gebilligt. Er sagte, die Militäroperation in der Stadt Dschenin im Westjordanland verlaufe „wie geplant“. Die Truppen „werden volle Unterstützung erhalten, um alles Notwendige zu tun und am Boden und in der Luft zu operieren, um die Bürger Israels zu schützen und die volle Handlungsfreiheit im gesamten [Westjordanland] zu wahren“.
Dies kommt der Ankündigung einer Militärdiktatur über das Westjordanland gleich, auch in den Gebieten, die gemäß den Osloer Vereinbarungen von 1993 unter der vollständigen Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) stehen. Dadurch wird offenkundig, was schon lange implizit klar war: die völlige Irrelevanz der PA für Israel und Washington.
Nach Angaben der israelischen Tageszeitung Ha'aretz informierte Israel die USA über die Absicht, die Operation in Dschenin durchzuführen, und erhielt offensichtlich grünes Licht. Am Montag erklärte der Nationale Sicherheitsrat des Weißen Hauses: „Wir unterstützen Israels Sicherheit und das Recht, sein Volk gegen die Hamas, den Palästinensischen Islamischen Dschihad und andere terroristische Gruppen zu verteidigen.“
Rechtsextreme Kräfte haben wiederholt - wie auch Netanjahu selbst - die Annexion des Westjordanlandes gefordert, um einen jüdischen Vormachtstaat sowohl in Israel als auch in den besetzten palästinensischen Gebieten zu errichten. Der Angriff auf Dschenin am Montag folgt auf eine Reihe von mörderischen Militärangriffen im Westjordanland, ständige Gewalt durch Siedler, die von den israelischen Verteidigungskräften überwacht und geschützt werden, und die Ankündigung der Regierung, seit Anfang des Jahres 13.000 neue Siedlungshäuser zu bauen. Der Einsatz eines Apache-Hubschraubers und bewaffneter Drohnen durch die IDF in Dschenin vor zwei Wochen stellte eine erhebliche Eskalation der israelischen Aggression dar. Seit dem Amtsantritt von Netanjahus rechtsextremer Koalition sind rund 190 Palästinenser im Westjordanland, im Gazastreifen, in Ostjerusalem und in Israel getötet worden.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Der Angriff auf Dschenin am Montag folgt auf monatelange, fast allnächtliche Razzien in Dschenin und Nablus. Er kommt in einer Zeit, in der sich die Palästinenser im Westjordanland in einer zunehmend verzweifelten wirtschaftlichen Lage befinden. Die Osloer Abkommen von 1993, die zu einem sprunghaften Anstieg ausländischer Direktinvestitionen in Israel führten und in der Praxis den Boykott der Arabischen Liga gegen Israel beendeten, haben die palästinensische Wirtschaft lahmgelegt. Israel schränkte den Personen-, Arbeits- und Warenverkehr ein, zersplitterte die Gebiete mit Siedlungen, Zufahrtsstraßen nur für Siedler und Naturschutzgebieten, konfiszierte Land, Wasser und andere natürliche Ressourcen, band die palästinensische Wirtschaft an die israelische Wirtschaft und schnitt sie von den internationalen Märkten ab.
Die Industrie ist verkümmert, die Bauern wurden von ihrem Land vertrieben, und das Pro-Kopf-Einkommen stagniert seit 1994. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist völlig auf internationale Hilfe angewiesen. Gleichzeitig gab die UNRWA, die UN-Agentur für palästinensische Flüchtlinge, im vergangenen Monat bekannt, dass die 107 Millionen Dollar an neuen Mitteln deutlich unter den 300 Millionen Dollar liegen, die eigentlich benötigt werden, um Millionen von Palästinensern in den besetzten Gebieten und Flüchtlingslagern in den Nachbarländern zu unterstützen.
Fünfzig Prozent der Bevölkerung sind keine 30 Jahre alt, und dreißig Prozent dieser jungen Menschen im Westjordanland sind arbeitslos. Mehr als ein Drittel der erwerbstätigen Jugendlichen arbeitet im informellen Sektor, und mehr als jeder zweite Erwerbstätige mit einer offiziellen Arbeit hat keine soziale Absicherung, keine Krankenversicherung und keinen Anspruch auf Krankheits- und Urlaubsurlaub.
Netanjahu hat bewusst einen Krieg angezettelt, der sich gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten, die arabischen Bürger Israels und die Nachbarstaaten, vor allem gegen den Iran und Syrien, richtet. In Israel sieht er sich einer breiten Opposition gegenüber, die sich gegen seine Bemühungen wehrt, diktatorische Verhältnisse zu schaffen. Er kastriert regelrecht die willfährige Justiz, die Israels Expansionsbestrebungen und Angriffe auf die Palästinenser immer wieder abgedeckt hat. Netanjahus Ziel ist es, soziale Spannungen nach außen, gegen einen vermeintlichen äußeren Feind, abzulenken.
Seit 25 Wochen protestieren hunderttausende Israelis gegen seinen Justizputsch. Aber diese Bewegung wird von bürgerlichen zionistischen Parteien angeführt, deren Opposition gegen Netanjahu nur ihre Befürchtungen widerspiegelt, dass er die Interessen des Staates gefährdet. Sie weigern sich, den Kampf gegen die aufkommende faschistische Gefahr in Israel mit einem Widerstand gegen die Unterdrückung der Palästinenser zu verbinden. Am Montagmorgen haben sich die Vorsitzenden der größten Oppositionsparteien beeilt, die Offensive der IDF gegen Dschenin zu unterstützen.
Die Palästinenser in Israel und den besetzten Gebieten leben unter einem Regime brutaler wirtschaftlicher und militärischer Unterdrückung sowie schamloser Selbstjustiz und Siedlergewalt, die sämtlich von der israelischen Justiz aufrechterhalten werden. Es ist unmöglich, die demokratischen Rechte der jüdischen Israelis zu verteidigen und gleichzeitig die Militärdiktatur im Westjordanland und Gaza zu unterstützen.
Die Hauptaufgabe besteht darin, die reaktionäre zionistische Führung der Protestbewegung zu überwinden und dafür zu kämpfen, arabische und jüdische Arbeiter in einem gemeinsamen Kampf zur Verteidigung von Arbeitsplätzen, Lebensstandards und demokratischen Rechten, einschließlich der nationalen Rechte der palästinensischen Bevölkerung, zu vereinen. Dies kann nur auf der Grundlage des Programms und der Perspektive des internationalen Sozialismus geschehen.