Am Mittwoch sprachen WSWS-Reporter mit Arbeiterinnen und Arbeitern des Volkswagen-Hauptwerks in Wolfsburg über den drohenden Kahlschlag bei dem deutschen Autokonzern. Im Zuge der Agenda „Accelerate Forward – Road to 6.5“ soll die Umsatzrendite mehr als verdoppelt und allen Bereichen ein striktes Spar- und Kürzungsprogramm verordnet werden. 30.000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
Vorstand und Aufsichtsrat arbeiten dabei eng mit der niedersächsischen Landesregierung und der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP zusammen und werden vom Konzernbetriebsrat und der IG-Metall-Bürokratie unterstützt. Wie die World Socialist Web Site berichtete, haben diese die Belegschaft über den Inhalt der gemeinsamen Beratungen, die hinter verschlossenen Türen stattfinden, völlig im Dunkeln gelassen. Sie beabsichtigen, die Arbeiter vor vollendete Tatsachen zu stellen.
Dagegen wächst der Widerstand. Klaus (ca. 50) berichtete einem WSWS-Reporter: „Das ist zweifellos so: Man wird vor vollendete Tatsachen gestellt. Wir bekommen hier unten überhaupt keine Informationen. Ganz ehrlich: Man hat das Gefühl, kaum einen Einfluss darauf zu haben, was stattfindet. Früher war es ein Geben und Nehmen. Aber heute ist es nur noch ein Nehmen. Die Betriebsräte und Gewerkschaften sind nicht mehr das, was sie einmal waren... Wer kann, bedient sich einfach. Das muss geändert werden. Packen wir’s an.“
Die WSWS-Reporter sprachen mit Arbeitern über den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees, die sich bereits bei der Bahn, im Öffentlichen Dienst, bei der Post und auf internationaler Ebene in vielen weiteren Bereichen formiert haben, um der systematischen Klassenkollaboration der Gewerkschaften mit den Arbeitgebern entgegentreten. Sie verteilten ein Flugblatt, das vor der verlogenen Rolle der Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo warnt.
Arne, ein älterer Arbeiter, sagte beim Lesen des Flugblatts nachdenklich: „Im Grunde sind die Pläne ja schon lange bekannt. Aber Details bekommt man nicht mit. Es ist wirklich eine Verschwörung. Die Leute an der Spitze kommunizieren alle miteinander. Aufsichtsräte sitzen nicht nur bei VW, sondern auch in der Chemieindustrie. Die sprechen das alles miteinander ab. Das ist eine ganz andere Welt. Und nicht nur das! Die Regierung stellt hunderte Millionen Euro Subventionen bereit, um VW-Fabriken in China aufzubauen. Wo fließt das Geld hin? Bestimmt nicht an die Leute, die dort arbeiten.“
Ein WSWS-Reporter fügte hinzu, die Bundesregierung rüste das Militär gegenwärtig mit hunderten Milliarden Euro auf und verlange, dass Arbeiter dafür bezahlen. In China wie in Deutschland würden VW-Arbeiter für dieselbe Eigentümerfamilie ausgebeutet. Die Aktionskomitees sollen Arbeiter aller Nationalitäten und Berufsgruppen vereinen. Darauf erwiderte Arne zustimmend:
„Das stimmt, man sollte alle vereinen – das ist ein schöner Gedanke. Vor Jahrzehnten gab es eine Kampagne unter dem Slogan: ‚Samstags gehört Vati mir!‘ Da war richtig was los. Auch in den 80er Jahren gab es so etwas noch, und das hat auch gewirkt.“ Heute sei es undenkbar, dass die IG Metall so etwas tun würde.
Die Aktionskomitees sollen die Belegschaften über alle Grenzen hinweg für einen gemeinsamen Kampf gegen den Kahlschlag vereinen. Sie müssen aus vertrauenswürdigen Kolleginnen und Kollegen von der Basis bestehen und vom Gewerkschafts- und Betriebsräteapparat unabhängig sein. Als erste Maßnahme müssen sie deren Spaltungsversuche bekämpfen und alle Geheimverhandlungen mit der Konzernleitung und der Regierung offenlegen.
„Genau, keine Geheimverhandlungen!“, sagte ein älterer Arbeiter aus der Produktion, der ebenfalls tiefes Misstrauen gegenüber der Gewerkschaftsbürokratie zum Ausdruck brachte: „Es geht nicht, dass man entweder gar nichts mitbekommt oder so spät, dass man nichts mehr daran ändern kann. Und ob die immer so verhandeln, wie es in unserem Interesse ist, weiß man nicht. Ich habe den Eindruck, dass sie einfach nur ihre Ruhe haben wollen. Was mit den anderen passiert, ist ihnen egal. Es ist nicht mehr die Gewerkschaft aus der Zeit nach dem Krieg…“
Ein weiterer Kollege nahm einen WSWS-Reporter zur Seite, um außerhalb des Sichtfelds der Überwachungskamera mit ihm zu sprechen: „Der Betriebsrat bekommt das alles mit. Die schauen sich an, wer ein Flugblatt nimmt und notieren sich das.“
Sonja, die erst seit Kurzem in der Zwischenverpflegung des Werks in der Kantine arbeitet, kritisiert ebenfalls die geheimen Beratungen zwischen Betriebsräten und Unternehmensleitung: „Wenn etwas im Geheimen stattfindet, ist das immer komisch und man weiß, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.“ Aktionskomitees, die auch allen Beschäftigten der Subunternehmen und Dienstleistern des Volkswagen-Konzerns offen stehen, „finde ich sehr gut“, fährt sie fort: „Das ist doch auch richtig so. Es ist ein Unternehmen: Was für die einen gilt, sollte für alle gelten.“
Antonio (Ende 30) arbeitet ebenfalls in der Gastronomie für das konzerneigene Dienstleistungsunternehmen Volkswagen Group Services, möchte aber „so schnell wie möglich weiter, weg von hier“.
Er sagt: „Von diesen Plänen habe ich noch nichts gehört, das würde uns auch betreffen. Wenn die E-Autos kommen, wird man viele Leute hier nicht mehr brauchen, schätze ich. Das ist meiner Meinung nach auch der Grund, warum diese neue Fabrik nicht gebaut wurde. Ich glaube, viele hier fühlen sich sicher und sagen sich, dass sie festangestellt sind. Aber wie man in den letzten Jahren gesehen hat, ist nichts in diesem Leben sicher, außer der Tod.“
Damit nahm Antonio Bezug auf die Profite-vor-Leben-Politik der Regierungen, die dazu geführt hat, dass die Coronavirus-Pandemie mehr als 20 Millionen Menschen vermeidbar das Leben gekostet hat. Ein weiterer jüngerer Arbeiter kritisierte die Dreistigkeit, mit der Volkswagen und andere deutsche Großkonzerne während der Hochphase der Pandemie beispiellose staatliche Subventionen einstrichen und anschließend Dividenden in Milliardenhöhe an ihre Aktionäre ausschütteten.
Während das Virus weltweit zirkuliert und mutiert, kommt eine neue pandemische Welle mit dem mörderischen Krieg in der Ukraine zusammen, dem bereits hunderttausende Menschen auf beiden Seiten zum Opfer gefallen sind und der von den imperialistischen Mächten des Nato-Bündnisses systematisch angeheizt wird, um Russland und die Ukraine unter westliche Kontrolle zu bringen.
Über diese Hintergründe sprach Oleksandra*, die aus der Ukraine kommt und als Praktikantin bei VW arbeitet.
„In der Ukraine ist Korruption allgegenwärtig. Mein Vater ist Inhaber eines Kleinunternehmens, als solcher musste er ‚Bestechungsgelder‘ oder Schutzgeld an Behörden und die Polizei bezahlen, um überhaupt wirtschaftlich überleben zu können. Als der Krieg begann, flohen meine Mutter und ich ins Ausland. Es lohnt sich nicht, für dieses Land und diese Regierung zu sterben, sagten wir uns. Mein Vater durfte die Ukraine aber nicht verlassen, so wie alle anderen Männer. Er hat dann versucht, im Zivilschutz zu helfen, um nicht an die Front geschickt zu werden.“
Oleksandra sieht die Politik aller beteiligten Regierungen kritisch und sagt: „Ich denke auch, dass es in diesem Krieg um Kontrolle und Ausbeutung geht. Man kann die Situation nicht eins zu eins mit dem Zweiten Weltkrieg vergleichen – wir haben heute einige Rechte. Aber ukrainische Flüchtlinge werden hier in Deutschland ausgebeutet. Hier im Unternehmen gibt man mir zum Beispiel nur Aufgaben, die sonst niemand machen möchte und bei denen ich nichts lerne. Ich habe vorher in einem Startup gearbeitet. Dort habe ich viel mehr gelernt.“
Oleksandra hat bereits begonnen, sich über die Nazi-Wurzeln des VW-Konzerns und seiner Eigentümerfamilie zu informieren. „Ich weiß, dass VW im Zweiten Weltkrieg von Zwangsarbeit profitiert hat. Vor allem polnische und weißrussische Menschen wurden hier ausgebeutet, viele starben.“
Das Umbau- und Kahlschlagsprogramm wird die Ausbeutung bei VW massiv verschärfen und alle Errungenschaften vergangener Kämpfe zur Disposition stellen. Wir rufen VW-Arbeiter unabhängig von ihrer Nationalität, Gewerkschaftszugehörigkeit und Berufsgruppe auf, mit uns Kontakt aufzunehmen und den Aufbau von Aktionskomitees in Angriff zu nehmen, um die drohenden Angriffe zurückzuschlagen.
*Name von der Redaktion geändert