Am Mittwoch, dem 23. August, stürzte in der russischen Region Twer ein Privatjet ab, in dem sich Berichten zufolge der Führer des Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, sechs hochrangige Kommandanten und drei Besatzungsmitglieder befunden haben sollen. Alle Insassen kamen bei dem Absturz ums Leben.
Vor zwei Monaten, am 24. und 25. Juni, hatte Prigoschin einen kurzlebigen Putschversuch gegen Putin und die Armeeführung unternommen und dabei an die Nato-freundlichen Fraktionen der russischen Oligarchie appelliert. Zuvor hatten Wagner-Truppen eine zentrale Rolle im Krieg in der Ukraine gespielt, den das Putin-Regime im Februar 2022 nach den imperialistischen Provokationen der letzten Jahre begonnen hatte. Putins bankrotte Vorstellung dabei war, er könne die imperialistischen Mächte durch eine begrenzte Militäraktion an den Verhandlungstisch zwingen.
Die russische Luftfahrtbehörde veröffentlichte eine Passagierliste, laut der neben Prigoschin auch Dmitri Utkin an Bord war, ein ehemaliges Mitglied des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Utkin war angeblich der Hauptgründer und Oberbefehlshaber von Wagner und für seine neonazistischen Ansichten bekannt. Ein weiteres führendes Wagner-Mitglied an Bord war Waleri Tschekalow, der Berichten zufolge für Prigoschins persönliche Sicherheit und die Finanzen von Wagner zuständig war, die größtenteils aus staatlichen Geldern stammten. Auch die anderen vier Passagiere waren führende Wagner-Kommandanten.
Der Kreml hat Prigoschins Tod zwar nicht offiziell bestätigt, allerdings veröffentlichte der russische Präsident Wladimir Putin am Donnerstagabend ein Video, in dem er den Familien der Absturz-Opfer sein Beileid aussprach. Er erklärte, „wenn“ die Wagner-Führer tatsächlich „an Bord waren“, sollten sie in Erinnerung bleiben als „Menschen, die einen beträchtlichen Beitrag zu unserer gemeinsamen Sache geleistet haben, gegen das Neonazi-Regime in der Ukraine zu kämpfen“.
Er fügte hinzu, er habe Prigoschin seit Anfang der 1990er persönlich gekannt und halte ihn trotz „schwerwiegender Fehler“ für einen „talentierten Mann, einen talentierten Geschäftsmann“, der „notwendige Ergebnisse“ liefere, wann immer er ihm eine Aufgabe „für unsere gemeinsame Sache“ übertragen habe. Prigoschin, ein Faschist und Vorbestrafter, war zuvor Putins persönlicher Chefkoch. Er genoss jahrelang den persönlichen Schutz des Präsidenten, während er Wagner zu einer bedeutenden paramilitärischen Truppe und zu einem Wirtschaftsimperium aufbaute, das ihn zum Milliardär machte.
Obwohl Putin Prigoschin und seine Anhänger zunächst als „Verräter“ angeprangert hatte, traf er sich nur wenige Tage nach dem Aufstand mit Prigoschin und Dutzenden Wagner-Kommandanten. Danach erteilte der Kreml in den kommenden Wochen Wagner faktisch einen Freibrief. Wagner-Truppen sind weiterhin im Auftrag der russischen Regierung in Afrika aktiv, und am Montag tauchte im Internet ein Anwerbevideo für Wagner auf, das Prigoschin in einer afrikanischen Wüste zeigt.
Weitere Wagner-Truppen wurden nach Belarus verlegt, dessen Präsident Alexander Lukaschenko während des Putschversuchs einen Deal zwischen Putin und Prigoschin vermittelt hatte. Nach dem gescheiterten Putschversuch und der Verlegung der Wagner-Truppen nach Belarus nahmen die Spannungen zwischen dem Nato-Mitglied Polen und Belarus zu, und Polen hat in den letzten Wochen seine Truppen an der Grenze zu Belarus erheblich verstärkt.
Obwohl Wagner scheinbar wieder in die Außen- und Militärpolitik des Kremls integriert wurde, deutet immer noch vieles darauf hin, dass die Kämpfe innerhalb des Staats und der herrschenden Klasse andauern. Ebenfalls am Mittwoch, wenige Stunden vor dem Absturz, gab der Kreml die Absetzung von General Sergei Surowikin als Befehlshaber der russischen Luftwaffe bekannt. Surowikin gilt als Urheber der stark verminten russischen Verteidigungslinien in der Ukraine, mit denen die von der Nato unterstützte Gegenoffensive bislang aufgehalten werden konnte. Er war der bekannteste Unterstützer Prigoschins in der Militärführung und wurde seit dem Putschversuch nicht mehr gesehen.
Die Ursache des Absturzes ist nach wie vor unklar. Der Kreml untersucht ihn zwar, hat aber noch keine Erklärung vorgelegt. Am Donnerstag erklärten Vertreter der US-Regierung, eine vorläufige Untersuchung der US-Geheimdienste habe ergeben, dass der Absturz vermutlich nicht durch eine Boden-Luft-Rakete verursacht wurde, wie zunächst berichtet worden war, sondern durch eine Bombe an Bord des Flugzeugs.
Das ukrainische Regime von Wolodymyr Selenskyj, das in den letzten Monaten mehrfach auf russisches Territorium vorgestoßen war und Drohnenangriffe auf Moskau durchgeführt hatte, stritt sofort jede Beteiligung ab und machte Putin für den Absturz verantwortlich. Auch die westlichen Medien beeilten sich, anzudeuten, das Flugzeug sei auf Befehl Wladimir Putins als „Rache“ für den Putschversuch und „Botschaft“ an seine Rivalen in der russischen Oligarchie abgeschossen worden.
Es kann sicherlich nicht ausgeschlossen werden, dass das Putin-Regime, das aus der Zerstörung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie 1991 hervorgegangen und von Gangstermethoden geprägt ist, oder ein Teil des russischen Staatsapparats hinter dem Absturz des Flugzeugs steckt. Allerdings ist dies längst nicht der einzige mögliche Hergang.
Es sollte auch erwähnt werden, dass die anderen Fälle, die in Medien wie der New York Times häufig als Beispiele für angebliche frühere Versuche Putins genannt werden, seine politischen Gegner auszuschalten – darunter die Ermordung von Boris Nemzow und der angebliche Giftanschlag auf Sergei Skripal und den von der Nato unterstützten Oppositionellen Alexei Nawalny – nicht nur Teil der unablässigen Kampagne gegen Putin und Russland im Vorfeld des Kriegs waren, sondern auch höchst zweifelhaft sind und nie wirklich aufgeklärt wurden. Insbesondere die offizielle Darstellung der Medien von dem angeblichen Nowitschok-Giftanschlag auf Nawalny im Jahr 2020 war so voller Widersprüche, dass sie ans Lächerliche grenzte.
Was Prigoschin und die Wagner-Führung betrifft, so ist klar, dass es ihnen an Feinden innerhalb und außerhalb Russlands nicht mangelte. Verschiedene politische Kräfte waren daran interessiert, sie tot zu sehen.
Bemerkenswert ist, dass die Washington Post schon zu Beginn ihrer Berichterstattung über den Absturz auf die Pentagon-Leaks Anfang des Jahres hinwies, die auch Diskussionen zwischen den USA, der Ukraine und anderen „Verbündeten“ über die Ermordung Prigoschins enthüllten. Auf der Grundlage des geleakten Dokuments berichtete die Washington Post im April, dass bei US-Luftangriffen im Februar 2018 in Syrien mehrere hundert Wagner-Kämpfer getötet worden waren. Ein weiterer US-Angriff in Libyen, wo Wagner ebenfalls eingesetzt war, führte laut einem anderen geleakten Dokument zur „Zerstörung eines Wagner-Logistikflugzeugs“. Die Post schrieb:
Während Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin mit den Fraktionskämpfen im Kreml um die Beteiligung der paramilitärischen Gruppe am Krieg in der Ukraine beschäftigt war, stellten Vertreter der US-Regierung die zunehmende globale Präsenz Wagners als potenzielle Schwachstelle dar.
Ein weiteres Dokument nennt fast ein Dutzend „kinetische“ und sonstige Optionen, die als Teil einer „koordinierten Störungskampagne der USA und ihrer Verbündeten“ angewandt werden könnten. In den Dokumenten wird die Lieferung gezielter Informationen an die Ukraine vorgeschlagen, damit diese Wagner-Kommandanten töten können, und es wird über die Bereitschaft anderer Verbündeter berichtet, ähnliche Maßnahmen gegen Wagner-Stützpunkte in Afrika zu ergreifen.
Unabhängig davon, wer oder was sich wirklich hinter dem Absturz des Flugzeugs verbirgt, wird der Tod eines Großteils der Wagner-Führung die Krise des Putin-Regimes und die Konflikte innerhalb der russischen Oligarchie und des Staatsapparats weiter verschärfen. Mitten im Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine sind diese Konflikte selbst ein Teil der Kriegsführung geworden. Die imperialistischen Mächte schüren seit langem vorsätzlich die Fraktionskämpfe innerhalb der Oligarchie, um einen Regimewechsel in Moskau herbeizuführen, der selbst ein zentrales Kriegsziel Washingtons und Berlins ist.
Wie die World Socialist Web Site in ihrer Stellungnahme zu Prigoschins gescheitertem Putschversuch erklärte, beruhen die Krise des Regimes und die Konflikte innerhalb der Oligarchie letzten Endes auf dem Klassencharakter und den historischen Ursprüngen der herrschenden Oligarchie in der stalinistischen Reaktion auf die Oktoberrevolution 1917 und die Wiedereinführung des Kapitalismus durch die sowjetische Bürokratie. Unabhängig von ihren Meinungsverschiedenheiten in außenpolitischen Fragen fürchten alle zerstrittenen Fraktionen der Oligarchie nichts so sehr wie eine Bewegung der Arbeiterklasse. Ihnen geht es vor allem um den Schutz ihres Vermögens und, auf die eine oder andere Weise, eine Einigung mit den imperialistischen Mächten.