Berlinale: Mehr als 200 Filmschaffende protestieren gegen Teilnahme der faschistischen AfD

Letzten Freitag veröffentlichten mehr als 200 Filmschaffende ein Protestschreiben gegen die Einladung von Mitgliedern der faschistischen Alternative für Deutschland (AfD) zur diesjährigen Eröffnungsgala der Internationalen Filmfestspiele Berlin (Berlinale) am 15. Februar. Die meisten Unterzeichner stammen aus Deutschland, darunter Schauspieler, Regisseure, Produzenten, Autoren, Programmierer, Journalisten und Studierende. Die Erklärung wurde jedoch auch von Filmschaffenden aus den USA, dem Vereinigten Königreich und einer Reihe anderer Länder unterzeichnet.

In der Erklärung heißt es: „Wir, die Unterzeichnenden, sind empört darüber, dass Politiker der AfD (Alternative für Deutschland) zur Eröffnungsgala der 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin eingeladen wurden. Wir halten dies für unvereinbar mit der Bekundung des Festivals, ein Ort der ,Empathie, des Bewusstseins und der Verständigung‘ zu sein, wie es auf der Jahrespressekonferenz am 19. Januar verkündet und auf der Homepage des Festivals veröffentlicht wurde.“ (online nicht mehr verfügbar, übersetzt aus dem Englischen)

Die Eröffnungsgala der Berlinale 2023 (Berlinale)

Der offene Brief erinnert daran, dass die Berliner Filmfestspiele im Jahr 2019 eine „Erklärung der Vielen“ veröffentlicht hatte, die von einigen der führenden Kulturschaffenden Deutschlands unterzeichnet wurde. In der Erklärung von 2019 werden zunächst die historischen Verbrechen der Nazis angesprochen und erklärt: „Als Aktive der Kulturlandschaft in Deutschland stehen wir nicht über den Dingen, sondern auf einem Boden, von dem aus die größten Staatsverbrechen der Menschheitsgeschichte begangen wurden. In diesem Land wurde schon einmal Kunst als entartet diffamiert und Kultur flächendeckend zu Propagandazwecken missbraucht. Millionen Menschen wurden ermordet oder gingen ins Exil, unter ihnen auch viele Künstler*innen.“

In der Erklärung, die seinerzeit von Berlinale-Direktor Dieter Kosslick und der gesamten Festivalleitung unterstützt wurde, heißt es: „Der rechte Populismus, der die Kultureinrichtungen als Akteure dieser gesellschaftlichen Vision angreift, steht der Kunst der vielen feindselig gegenüber. Rechte Gruppierungen und Parteien stören Veranstaltungen, wollen in Spielpläne eingreifen, polemisieren gegen die Freiheit der Kunst und arbeiten an einer Renationalisierung der Kultur. Ihr verächtlicher Umgang mit Menschen auf der Flucht, mit engagierten Künstler*innen, mit allen Andersdenkenden verrät, wie sie mit der Gesellschaft umzugehen gedenken, sobald sich die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten verändern würden.“

Der ehemalige Direktor der Berlinale, Dieter Kosslick [Photo by Oliver Mark / CC BY 4.0]

Weiterhin wird in der Erklärung eine Verpflichtung abgegeben, „völkisch-nationalistischer Propaganda“ kein Podium zu bieten und alle „illegitimen Versuche der Rechtsnationalen abzuwehren, Kulturveranstaltungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren“.

In dem offenen Brief, der letzten Freitag veröffentlicht wurde, heißt es: „Die Einladungen [an die AfD] widerlegen diese Aussagen und sind ein weiteres Beispiel für die feindselige und heuchlerische Atmosphäre, mit der Kunst und Kultur in Berlin und Deutschland konfrontiert sind. ... Wir lehnen es ab, rechte Politiker zu normalisieren oder sie in unseren Bereichen zu erlauben.“

Nach der Veröffentlichung des Briefs bemühte sich die Festivalleitung sofort um Schadensbegrenzung und veröffentlichte eine Erklärung, in der sie sich gegen Rechtsextremismus aussprach. Sie weigerte sich jedoch, die Einladungen an die Mitglieder der verhassten rechtsextremen AfD zurückzuziehen. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) und der Berliner Senat verteidigten später die Entscheidung des Berliner Filmfestivals, die Einladungen auszusprechen.

Ein Sprecher Roths erklärte: „Für die Eröffnung der auch mit erheblichen Bundesmitteln ermöglichten Berlinale wurden auf unseren Vorschlag hin auch die Mitglieder des fachpolitisch zuständigen Kulturausschusses des Deutschen Bundestages eingeladen. Das entspricht der demokratischen Praxis und dem Respekt der Bundesregierung vor dem Parlament und seinen gewählten Abgeordneten.“

Auch die Leitung der Berlinale verteidigte die Einladungen an die AfD. Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian erklärten in einem gemeinsamen Interview mit dem Tagesspiegel, die Einladung sei ein „großes Dilemma“. „Wir setzen uns für demokratische Grundwerte und gegen Rechtsextremismus ein und unterstützen alle Demonstrationen und Initiativen gegen rechts. Aber wir respektieren es, wenn die Kulturstaatsministerin und der Berliner Senat ihre Kartenkontingente an demokratische Mandatsträger vergeben, auch wenn sie von der AfD sind.“

Es bleibt das Geheimnis der Berlinale-Leitung, wie der Kampf gegen Rechtsextremismus mit der Einladung von AfD-Mitgliedern in Einklang gebracht werden kann.

Roth und der Berliner Senat handeln nicht aus Respekt vor „demokratischen Mandatsträgern“, sondern versuchen bewusst, die Faschisten zu stärken. In den letzten Jahren haben die Regierung und alle Parteien im Bundestag nicht nur große Teile des Programms der AfD übernommen, sondern die Partei auch systematisch in ihre parlamentarische Arbeit integriert, auch im kulturellen Bereich. Im Ausschuss des Bundestags für Kultur und Medien ist die AfD seit mehreren Jahren durch die Abgeordneten Marc Jongen und Martin Erwin Renner als ordentliche Mitglieder vertreten.

Die beiden zur Eröffnungsgala eingeladenen AfD-Mitglieder, Kristin Brinker und Ronald Gläser, sind für ihre rechtsextreme Rhetorik und Überzeugungen berüchtigt. Anfang des Jahres bestätigte Brinker, die Landes- und Fraktionsvorsitzende der AfD in Berlin, dass sie an einem Treffen von Rechtsextremisten in der Wohnung des ehemaligen Berliner Finanzsenators Peter Kurth teilgenommen hat.

Auf der Gästeliste des Treffens im letzten Sommer standen u.a. der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner, der rechtsextreme Verleger Götz Kubitschek und der Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, Maximilian Krah. Sellner war einer der Hauptredner bei dem jüngsten Treffen der Faschisten in Potsdam, bei dem die Deportation von Millionen Einwanderern, auch mit deutscher Staatsbürgerschaft, diskutiert wurde. Das Treffen in Potsdam wurde zum Auslöser für zahlreiche Demonstrationen in den letzten Wochen, bei denen Millionen Menschen auf die Straße gingen, um ihre Abscheu gegenüber der AfD und ihren Unterstützern im politischen Establishment zum Ausdruck zu bringen.

Gläser, der stellvertretende Vorsitzende der Berliner AfD, hat ebenfalls an dem Berliner Treffen der Faschisten im Sommer 2023 teilgenommen. Im Jahr 2019 postete er auf WhatsApp einen Kommentar, in dem er seine Unterstützung für den Beitrag einen AfD-Kollegen zum Ausdruck brachte, der den Einsatz von Maschinengewehren gegen linke und antifaschistische Demonstranten befürwortete.

Die Berlinale knüpft durch die Einladung der Faschisten an ihre eigenen dunklen Traditionen an. Im Jahr 2020, fast 70 Jahre nachdem das Festival 1951 ins Leben gerufen wurde, erfuhr die Öffentlichkeit, dass der erste Leiter, Alfred Bauer, ein überzeugtes Mitglied der NSDAP und ihres paramilitärischen Flügels, der SA (Sturmabteilung), war. Bauer war 1942 aus gesundheitlichen Gründen vom Militärdienst entlassen worden und übernahm anschließend eine führende Position in der Reichsfilmintendanz, dem 1942 gegründeten „Leitungsorgan nationalsozialistischer Filmpolitik“.

Nach dem Aufschrei im Jahr 2020 über Bauers Beteiligung in den Anfangsjahren des Festivals ordnete die Leitung eine Untersuchung an. Das Ergebnis war die Veröffentlichung des Buchs Kino im Zwielicht: Alfred Bauer, der Nationalsozialismus und die Berlinale im Dezember 2023, das Bauers faschistische Vergangenheit detailliert schildert.

Heute, vier Jahre nach der Erklärung von 2019, zwei Monate nach Erscheinen des Buchs über Bauer und nach den wochenlangen landesweiten Massendemonstrationen gegen die AfD setzen sich der Berliner Senat und das von den Grünen geführte Kulturstaatsministerium über das Versprechen der Berlinale hinweg, „völkisch-nationalistischer Propaganda kein Podium zu geben“.

Loading