Perspektive

Der Schweigegeldprozess gegen Donald Trump und die Krise der Klassenherrschaft in Amerika

Mit der Auswahl der Geschworenen beginnt der Strafprozess gegen den ehemaligen Präsidenten Donald Trump in New York City. Die Eröffnungsplädoyers könnten bereits am Montag erfolgen.

Trump ist angeklagt, im Zusammenhang mit mutmaßlichen Zahlungen an die Pornodarstellerin Stormy Daniels gegen Gesetze auf Bundes- und Bundesstaatsebene verstoßen zu haben. Er habe versucht, sie davon abzuhalten, mit einer sexuellen Begegnung zwischen ihnen an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Anklage wirft Trump vor, nur wenige Wochen vor der Wahl 2016 gegen Bundeswahlgesetze und Gesetze der Bundesstaaten verstoßen zu haben. Zu dem Zeitpunkt war er bereits Präsidentschaftskandidat der Republikaner.

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump vor dem Strafgericht in Manhattan, New York, 19. April 2024 (AP Photo/Curtis Means) [AP Photo/Curtis Means]

Von den zahlreichen Strafverfahren gegen Trump ist das Schweigegeldverfahren das einzige, das bisher vor Gericht verhandelt wurde. Vergleicht man die Schwere dieses Falls mit dem Bundesverfahren gegen Trump im Zusammenhang mit dem versuchten Staatsstreich vom 6. Januar 2021, dem staatlichen Verfahren wegen seines Versuchs, das Wahlergebnis in Georgia zu kippen, und sogar dem Strafverfahren zu Trumps Verstoß gegen Richtlinien im Umgang mit Geheimdokumenten, so entspricht der New Yorker Schweigegeldfall in etwa einer Situation, in der Al Capone lediglich wegen Steuerhinterziehung angeklagt würde.

Dem Prozess gingen vier Jahre voraus, in denen die Demokratische Partei und Biden vollkommen halbherzig auf Trumps massive Verschwörung auf Staatsebene zum Sturz der Verfassung reagiert haben. Und nur vier Tage vor Prozessbeginn deutete die rechte Mehrheit im Richterkollegium des Obersten Gerichtshofs an, dass sie sich darauf vorbereite, viele der Anklagen gegen diejenigen fallen zu lassen, die an dem gewaltsamen Angriff auf das US-Kapitol beteiligt waren.

Die Biden-Administration und die Demokratische Partei haben kein Interesse daran, Trump für seine Verbrechen gegen die demokratischen Rechte strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, da dies die verbreitete – und anhaltende – Unterstützung für den Putschversuch durch bedeutende Teile der herrschenden Klasse und des Staatsapparats aufdecken und das politische Zweiparteienmonopol in den USA weiter untergraben würde.

All dies schmälert jedoch nicht die weitreichende Bedeutung der Tatsache, dass zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte ein ehemaliger Präsident strafrechtlich verfolgt wird.

Die Eröffnung des Prozesses markiert eine neue Etappe in einer intensiven Krise auf den höchsten Ebenen des amerikanischen Staates, die sich seit 50 Jahren entwickelt.

Im August dieses Jahres jährt sich zum 50. Mal der Rücktritt von Richard Nixon im Jahr 1974 als Folge der Krise, die durch den Einbruch in das Hauptquartier des Demokratischen Nationalkomitees im Watergate-Gebäudekomplex im Rahmen von Nixons Wahlkampf ausgelöst wurde.

Nixons Verstöße gegen demokratische Verfahren und seine Weigerung, sich an die Verfassung zu halten, waren mit einer tiefen Spaltung innerhalb der herrschenden Klasse in Bezug auf die Außenpolitik verbunden, die in den folgenden Jahrzehnten fortbestehen sollte. Damals lehnte eine Fraktion innerhalb der Demokratischen Partei eine Fortsetzung des imperialistischen Krieges in Vietnam ab, der in der Bevölkerung auf enorme Ablehnung stieß, und forderte eine Verhandlungslösung.

Dennoch griff die herrschende Klasse zu extremen Maßnahmen, um eine strafrechtliche Verfolgung Nixons zu verhindern. Die Begnadigung Nixons durch seinen Amtsnachfolger Gerald Ford, untergrub dessen eigene Kandidatur für die Wiederwahl im Jahr 1976.

Fords Nachfolger, Jimmy Carter, sollte danach nur für eine Amtszeit Präsident bleiben. Seine Präsidentschaft war von einem massiven Aufschwung des Klassenkampfes geprägt, zu dem nicht zuletzt der beispiellose 177-tägige Streik von Bergleuten im ganzen Land gehört. Die iranische Revolution von 1979 und die Entführung von US-Geiseln besiegelten Carters Ende.

Die zweite Amtszeit von Ronald Reagan wurde durch den Ausbruch der Iran-Contra-Krise untergraben. Einmal mehr ging eine konterrevolutionäre und kriminelle Außenpolitik – in diesem Fall der schmutzige Contra-Krieg gegen Nicaragua unter Führung der CIA – mit der Verletzung von US-Gesetzen in Form einer geheimen Operation einher, die vom Keller des Weißen Hauses aus geleitet wurde. Die Iran-Contra-Affäre hätte die Regierung Reagan zu Fall bringen können. Doch die Demokraten beschlossen, den Skandal herunterzuspielen und Reagan an der Macht zu halten.

Als Bill Clinton 1992 gewählt wurde, war die zunehmend rechtsextreme Republikanische Partei immer weniger bereit, eine Wahlniederlage hinzunehmen. Das Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton Ende 1998 war der Versuch, eine einvernehmliche sexuelle Beziehung zu nutzen, um einen zweimal gewählten Präsidenten aus dem Amt zu entfernen.

Zwei Jahre später stoppte der Oberste Gerichtshof die Stimmenauszählung in Florida, um die Wahl für George W. Bush, den Verlierer der Volksabstimmung, zu stehlen. Der Demokrat Al Gore und seine Partei unternahmen nichts, um den Wahldiebstahl anzufechten, da sie die Folgen einer Anfechtung für die Stabilität des Zweiparteiensystems fürchteten.

Die Krise von 2000 markierte die erste direkte Unterdrückung von Stimmen bei einer Präsidentschaftswahl. Richter Antonin Scalia argumentierte in einer zustimmenden Stellungnahme zur Unterstützung des Fünf-zu-Vier-Urteils in der Rechtssache Bush ./. Gore, dass das amerikanische Volk kein verfassungsmäßiges Recht habe, den Präsidenten zu wählen.

Barack Obama kam auf dem Höhepunkt des Zusammenbruchs des Subprime-Hypothekenmarktes an die Macht. Unter seiner Regie organisierte die Regierung eine milliardenschwere Rettungsaktion für die Wall Street. Es folgten neue Kriege und militärische Interventionen im Nahen Osten, ein Programm für gezielte Morde, auch an amerikanischen Staatsbürgern, und die Vorbereitung eines Krieges gegen Russland in Form des von den USA unterstützten rechtsextremen Maidan-Putschs in der Ukraine im Jahr 2014.

Trump trat sein Amt 2016 an, obwohl er hinsichtlich der Zahl der abgegebenen Stimmen gegen Hillary Clinton verlor. Von Anfang an konzentrierten die Demokraten ihre Opposition auf Trumps Versäumnis, sich hinter die Kriegsvorbereitungen gegen Russland zu stellen, und machten seine Verzögerung der Militärhilfe für Kiew zur Grundlage für das erste Amtsenthebungsverfahren gegen Trump im Dezember 2019. Das zweite Amtsenthebungsverfahren unmittelbar nach dem 6. Januar war eine halbherzige Angelegenheit, die darauf abzielte, den Anschein zu erwecken, als würden die Demokraten den scheidenden Präsidenten zur Rechenschaft ziehen wollen. Derweil rief der neue Präsident Biden zu parteiübergreifender Geschlossenheit auf und sprach sich für eine „starke Republikanischen Partei“ aus.

Jetzt, im aktuellen Prozess in New York, versuchen Teile der herrschenden Klasse, die mit der Demokratischen Partei auf einer Linie sind, einen Sexskandal zu nutzen, um mit Trump abzurechnen. Sie handeln nicht, um auf Trumps Verstöße gegen demokratische Rechte oder seine reaktionäre Sozialpolitik zu reagieren, sondern weil sie Trump in entscheidenden Fragen der Außenpolitik – Nato-Bündnis, Krieg gegen Russland in der Ukraine – nicht für einen vertrauenswürdigen Vertreter der imperialistischen Interessen der USA halten.

Das Verfahren könnte in einem Fehlprozess durch eine uneinige Jury, mit einem Freispruch, der Trump stärken könnte, oder mit einer Verurteilung enden. Sollte letzteres eintreten, wird der Prozess weithin als Versuch der Demokraten gewertet werden, das Wahlergebnis vorwegzunehmen. Ein solches Ergebnis würde das bestehende politische System weiter delegitimieren. Trump könnte seinen Wahlkampf fortsetzen und als politischer Märtyrer um Unterstützung werben. Aber selbst wenn eine Verurteilung die Rücknahme seiner Kandidatur erzwingen würde, würde die rechtsextreme Republikanische Partei einen Ersatz finden, der nicht weniger reaktionär ist.

Der Ausgang des Prozesses wird jedoch in keinem Fall die Intensität der politischen Krise oder die Eskalation des Krieges im Ausland und der politischen Reaktion im Inland abschwächen.

Noch während im Gerichtssaal in Manhattan die Geschworenen ausgesucht wurden, schickte der demokratische Bürgermeister Eric Adams mit der vollen Unterstützung Bidens die New Yorker Polizei los, um Studierende massenhaft zu verhaften, die nur wenige Kilometer entfernt an der Columbia University friedlich gegen den Völkermord in Gaza und die Beteiligung der Universität daran protestierten.

Die Bedeutung des Prozesses und die notwendige politische Antwort der Arbeiterklasse wurden von Joseph Kishore, dem Präsidentschaftskandidaten der Socialist Equality Party, klar erläutert. Kishore schrieb in einem Statement auf Twitter/X:

In dem Konflikt zwischen den Demokraten und den Republikanern gibt es keine fortschrittliche oder demokratische Fraktion. Die Arbeiterklasse darf in dieser Krise nicht nur Zuschauer sein. Nicht indem sie sich auf irgendeine Fraktion innerhalb des Staatsapparats orientiert, sondern indem sie eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse gegen das gesamte kapitalistische System entwickelt – auf diese Weise kann ein Weg nach vorne gebahnt werden.

Trump ist ein Ausdruck, nicht die Ursache dafür, dass die herrschende Klasse sich in einem Zustand der Verwesung befindet. Die tiefen Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse eröffnen der Arbeiterklasse die Möglichkeit, gegen den gesamten reaktionären politischen Rahmen und das von ihm aufrechterhaltene kapitalistische System zu intervenieren. Ein positives Ergebnis hängt vor allem davon ab, dass die Arbeiterklasse auf der Grundlage des Kampfs für die politische Macht und für Sozialismus unabhängig in die Entwicklung eingreift.

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