Perspektive

Nato-Eskalation in der Ukraine: Drohender Atomkrieg mit Russland

Die Anzeichen mehren sich, dass der Krieg der Nato gegen Russland in eine neue Eskalationsstufe eintritt, die zum Einsatz von Atomwaffen führen könnte. Hochrangige Nato-Vertreter sprechen öffentlich von Raketenangriffen und einem Bodenkrieg gegen Russland, während russische Repräsentanten vor Gegenangriffen auf Nato-Länder warnen.

Eine ballistische Interkontinentalrakete des Typs Yars wird im Rahmen der russischen Atomübungen von einem Startplatz in Plesetsk im Nordwesten Russlands abgefeuert, 26. Oktober 2022 [AP Photo/Russian Defense Ministry Press Service]

Letzte Woche wurden 100 Artilleristen und Überwachungsspezialisten der französischen Fremdenlegion an die Front bei Slawjansk in der Ukraine entsandt, wie der ehemalige US-Unterstaatssekretär für Verteidigung Stephen Bryen in der Asia Times berichtet. Laut Bryen könnten bald weitere 1.500 französische Fremdenlegionäre in der Ukraine eingesetzt werden. Er schreibt, eine Folge davon sei „die mögliche Auslösung eines gesamteuropäischen Krieges“.

Das französische Außenministerium hat Bryens Bericht zwar dementiert, aber er steht im Einklang mit den früheren Forderungen von Präsident Emmanuel Macron nach einem Bodenkrieg mit Russland. Macron und andere hochrangige Nato-Vertreter bekräftigen diese Äußerungen nun in einer aggressiven Pressekampagne. Letzte Woche forderte Macron in The Economist erneut, dass die Nato bereit sein müsse, Bodentruppen in die Ukraine zu schicken. Er sagte:

Wenn die Russen die Frontlinien durchbrechen würden, wenn es ein ukrainisches Ersuchen gäbe – was heute nicht der Fall ist – dann müssten wir uns diese Frage berechtigterweise stellen.

An diesem Wochenende berichtete die italienische Tageszeitung La Republica über weitere Kriegspläne der Nato. Sie beruft sich dabei auf geheime Nato-Vereinbarungen, in denen angeblich zwei „Rote Linien“ festgelegt wurden: der Eintritt Weißrusslands in den Krieg und eine russische „Provokation“, die sich gegen Polen, Ungarn oder die baltischen Staaten richtet. Sollte eine dieser „Roten Linien“ überschritten werden, würde die Nato 100.000 Soldaten in ganz Osteuropa mobilisieren, von den baltischen Staaten bis Rumänien.

Am vergangenen Donnerstag reiste der britische Außenminister David Cameron nach Kiew, wo er erklärte, die Ukraine habe das „absolute Recht“, britische Langstreckenraketen zur Bombardierung Russlands einzusetzen.

Am Wochenende erklärte Macron gegenüber der französischen Finanzzeitung La Tribune, die Nato müsse in der russischen Militärführung völlige Unsicherheit über ihr Vorgehen schaffen:

Präsident Putin droht ständig mit der nuklearen Bedrohung. Angesichts eines solchen Gegners ist es ein Akt der Schwäche, dem eigenen Handeln a priori Grenzen zu setzen! Wir müssen ihm im Gegenteil jede Vorstellung davon verwehren, was wir tun könnten, so können wir ihn davon abhalten, Maßnahmen zu ergreifen.

Macrons Äußerungen veranschaulichen die in den herrschenden Kreisen vorherrschende Stimmung der völligen Skrupellosigkeit. Während des Kalten Krieges richteten amerikanische und sowjetische Vertreter eine Notfall-Hotline (Heißen Draht) zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml ein, weil sie befürchteten, dass ein Atomkrieg versehentlich ausbrechen könnte, wenn eine Seite die Absichten der anderen falsch einschätzte und glaubte, der Gegner hätte einen Atomschlag gestartet. Am 26. September 1983 wäre es beinahe dazu gekommen, als sowjetische Frühwarnsysteme fälschlicherweise anzeigten, dass die US-Streitkräfte Atomraketen auf die Sowjetunion abgefeuert hätten.

Nun aber, so Macron, wolle die Nato keinen Verhandlungsfrieden anstreben, sondern das russische Militär dazu zwingen, davon auszugehen, dass die Nato die aggressivste mögliche Politik verfolgen werde. Dazu gehört nicht nur die Möglichkeit einer groß angelegten Landinvasion in Russland, sondern auch – da Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten sich weigern, den Einsatz von Atomwaffen in einem Krieg auszuschließen – ein nuklearer Präventivschlag gegen die russischen Streitkräfte in der Ukraine oder gegen russische Städte.

Unabhängig davon, ob bereits französische Truppen in der Ukraine stationiert sind oder nicht, nimmt der Kreml diese Berichte eindeutig ernst. Die „strategische Zweideutigkeit“, die Macron in den Beziehungen zwischen der Nato und Russland aufbauen wollte, ist nun hergestellt. In der zunehmenden Überzeugung, dass die Nato den Konflikt katastrophal eskalieren könnte, rufen russische Vertreter dazu auf, in Reaktion drastischste Maßnahmen vorzubereiten und damit die Voraussetzungen für eine katastrophale Eskalationsspirale im Krieg zu schaffen.

Gestern kündigte der Kreml Militärübungen an, bei denen der Einsatz von Atomwaffen simuliert werden soll. Kremlsprecher Dmitri Peskow bezeichnete die Atomübungen als Reaktion auf eine „noch nie dagewesene Stufe der Eskalation der Spannungen, die vom französischen Präsidenten und dem britischen Außenminister eingeleitet wurde“, einschließlich „der Absicht, bewaffnete Kontingente in die Ukraine zu entsenden, d. h. Nato-Soldaten tatsächlich vor russische Truppen zu stellen“.

Nachdem das russische Außenministerium gestern den britischen und den französischen Botschafter einbestellt hatte, um gegen die Äußerungen von Cameron und Macron zu protestieren, kam es zu außergewöhnlichen Warnungen.

Das russische Außenministerium warnte den britischen Botschafter in Russland, Nigel Casey, dass Camerons Äußerungen Großbritannien „de facto zu einer Partei im Konflikt“ zwischen der Ukraine und Russland machten, so der Guardian. „Casey wurde mitgeteilt, dass als Reaktion auf ukrainische Angriffe auf russisches Territorium mit britischen Waffen alle britischen Militäreinrichtungen und Ausrüstungen auf dem Territorium der Ukraine und im Ausland angegriffen werden könnten“, hieß es vonseiten des russischen Außenministeriums.

Gestern erklärte der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew auf seinem Telegramm-Kanal unverblümt, dass Russland Washington, Paris und London inmitten einer „Weltkatastrophe“ bombardieren könnte, wenn die Nato ihren Kurs fortsetzt. Medwedew schreibt:

Es gibt eine Art von totaler Degradierung der herrschenden Klasse im Westen. Diese Klasse ist wirklich nicht bereit, elementare Dinge logisch zu verknüpfen. Die Entsendung Ihrer Truppen auf das Territorium der Ukraine wird den direkten Eintritt ihrer Länder in den Krieg zur Folge haben, worauf wir reagieren werden müssen. Und leider nicht nur auf dem Territorium der Ukraine.

In diesem Fall wird sich keiner von ihnen auf dem Capitol Hill, im Elysée-Palast oder in der Downing Street 10 verstecken können. Eine Weltkatastrophe wird kommen.

Am 4. Mai warnte David North bei der Einleitung zur Online-Kundgebung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) zum Ersten Mai vor der Gefahr, dass der Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine zu einem atomaren Weltkrieg eskalieren könnte. Unter Verweis auf die Zusagen der USA und Großbritanniens, das ukrainische Marionettenregime der Nato mit Langstreckenraketen zu bewaffnen, die russische Großstädte treffen können, sagte North:

Was aber, wenn Putin unter Berufung auf den von Präsident John F. Kennedy während der Kubakrise 1962 geschaffenen Präzedenzfall erklärt, dass Angriffe auf russisches Hoheitsgebiet durch die Ukraine mit Raketen der Nato „als Angriff betrachtet“ werden, der von der Nato ausgeht und „umfassende Vergeltungsmaßnahmen“ gegen die Nato-Länder erfordern?

Es ist höchste Zeit für Biden und seine Nato-Kollegen, den Menschen zu sagen, dass ihr Streben nach einem „Sieg in der Ukraine“ das Risiko eines Atomkriegs bedeutet, und ohne Aussparung der Details zu beschreiben, was mit ihren Ländern und der Welt geschehen wird, wenn die Konfrontation mit Russland die atomare Schwelle überschreitet.

Diese Warnung war keineswegs übertrieben und hat sich in kaum drei Tagen bestätigt.

An die Arbeiter und Jugendlichen in der ganzen Welt richtet sich der stärkste Appell: Wenn die Arbeiterklasse nicht gegen die kapitalistischen Regierungen interveniert, um diese Eskalation zu stoppen, wird die eine oder andere Konfrontation schließlich zum Atomkrieg führen.

Das größte Risiko besteht darin, dass sich die Massen der Arbeiter und Jugendlichen der Dringlichkeit und unmittelbaren Gefahr eines katastrophalen globalen Krieges nicht voll bewusst sind. Sie müssen durch eine internationale Bewegung, durch Versammlungen, Proteste und Streiks alarmiert und mobilisiert werden - mit dem Ziel, eine sozialistische Massen- und Antikriegsbewegung in der internationalen Arbeiterklasse aufzubauen.

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