Mit ihrer Rückkehr zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik und der Vorbereitung eines direkten Kriegs gegen Russland stützt sich die herrschende Klasse wieder ganz offen auf die verbrecherischen Traditionen von Hitlers Wehrmacht.
Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit erließ die Bundeswehr am 12. Juli „Ergänzende Hinweise zu den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege der Bundeswehr“. Das vom Abteilungsleiter Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte im Verteidigungsministerium, Generalleutnant Kai Rohrschneider, unterzeichnete Dokument nennt explizit führende Generäle und Offiziere der Nazi-Wehrmacht als „traditionsstiftend“ und „identifikationsschaffend“ für die Bundeswehr.
Die „Ergänzenden Hinweise“ machen keinen Hehl aus dem Ziel, das damit verfolgt wird. Die Nazi-Generäle werden als „Vorbilder“ und „Helden“ rehabilitiert, weil sich die herrschende Klasse trotz ihrer unsäglichen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg erneut anschickt, Krieg gegen Russland zu führen. Es gehe darum, „traditionsstiftende Beispiele zu benennen, die identifikationsschaffend und -stärkend sind und im Ergebnis den Einsatzwert von Einheiten und Verbänden des jeweiligen Organisationsbereiches erhöhen“, heißt es im Text.
Und weiter: „Mit der durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ausgelösten Zeitenwende ist die Bedeutung von Kriegstüchtigkeit von Streitkräften, die sich maßgeblich aus einem hohen Einsatzwert und hoher Kampfkraft ableitet, auch für die Traditionspflege gestiegen.“
Das stellt die Realität auf den Kopf. In Wirklichkeit haben die Nato-Mächte Putins reaktionären Einmarsch in die Ukraine bewusst provoziert, um massiv aufzurüsten und lang gehegte Kriegspläne umzusetzen. Der deutsche Imperialismus, der bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg versucht hatte, sich die Ukraine einzuverleiben und Russland militärisch zu besiegen, spielt eine führende Rolle in der Kriegsoffensive gegen Russland. Der Ruf nach „Kriegstüchtigkeit“ und der Etablierung einer entsprechenden „Tradition“ entspringt den damit verbundenen räuberischen Zielen.
Gemäß der „Richtlinien“ solle „die Traditionspflege unter anderem die Einsatzbereitschaft und den Willen zum Kampf stärken, wenn es der Auftrag erfordert“, heißt es in den „Ergänzenden Hinweisen“. Folglich müsse auch „ein größeres Augenmerk auf militärische Exzellenz (Fähigkeit bzw. Können) gelegt werden gegenüber anderen traditionsstiftenden Beispielen wie klassische soldatische Tugenden (Charakter) oder Leistungen für die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft.“
Hatte der ursprünglich 2018 verabschiedete neue Traditionserlass noch die Erfahrungen der internationalen Kriegseinsätze der Bundeswehr seit der Wiedervereinigung ins Zentrum gestellt, fokussieren die nun erfolgten „Ergänzenden Hinweise“ auf die Kriegstradition der Wehrmacht.
„In der Traditionspflege der Bundeswehr mit Bezug zur Zeitenwende“ komme „der Gründergeneration der Bundeswehr eine bedeutende Rolle für traditionsstiftende militärische Exzellenz zu“, heißt es dort. „Die rund 40.000 von der Wehrmacht übernommenen ehemaligen Soldaten hatten sich zu großen Teilen im Gefecht bewährt und verfügten somit über Kriegserfahrungen, die beim Aufbau der Bundeswehr unentbehrlich waren.“
Worin bestanden diese „Erfahrungen“? Die Wehrmacht war nicht einfach eine Kriegsarmee, sondern ein zentraler Bestandteil des nationalsozialistischen Terrors. Sie führte einen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, der mindestens 27 Millionen Sowjetbürgern den Tod brachte, und ihre Generäle sowie Zigtausende Offiziere und Soldaten waren wie SS und Gestapo aktiv am Holocaust beteiligt. Insgesamt sind etwa zehn Millionen Menschen von der Wehrmacht nicht im direkten Kampf an der Front, sondern durch Massenhinrichtungen oder die Auslöschung ganzer Dörfer und Städte getötet worden.
Tatsächlich gab es in der Bundeswehr nie eine Stunde null. Sie wurde von führenden Nazimilitärs aufgebaut und hieß bei ihrer offiziellen Gründung am 12. November 1955 bezeichnenderweise noch „neue Wehrmacht“. Die bis zum Jahre 1957 ernannten 44 Generäle und Admirale kamen allesamt aus Hitlers alter Wehrmacht, überwiegend aus dem Generalstab des Heeres. 1959 befanden sich im Offizierskorps unter 14.900 Berufssoldaten 12.360 Wehrmachtsoffiziere, 300 stammten aus dem Führerkorps der SS.
Wenn sich die Bundeswehr nun offen auf dieses Nazi-Erbe als „traditionsstiftend“ beruft, ist das eine ernste Warnung. Wie in den 1930er Jahren, als die herrschende Klasse Hitler an die Macht brachte, um Deutschland „kriegstüchtig“ zu machen, reagiert sie auch heute auf die tiefe Krise des Kapitalismus mit einer Hinwendung zu Militarismus, Faschismus und Krieg. Und sie knüpft dabei wieder an ihre völkermörderischen Traditionen an.
Hier einige der Nazimilitärs, die in den „Ergänzenden Hinweisen“ als „beispielhaft“ angeführt werden:
General Dr. Karl Schnell (1916-2008): Schnell nahm zunächst am Westfeldzug teil, bevor er im Sommer 1942 im Rahmen seiner Generalstabsausbildung zur Heeresgruppe Mitte an die Ostfront abkommandiert wurde. Anschließend wurde er zum Major i. G. bei der 3. Panzergrenadier-Division in Italien befördert, die an zahlreichen Kriegsverbrechen beteiligt war. Historiker gehen davon aus, dass Angehörige der 3. Panzergrenadier-Division zwischen September 1943 und August 1944 etwa 200 Zivilisten in Italien getötet haben. In der Bundeswehr stieg Schnell bis zum Stellvertretenden Generalinspekteur auf und in der Nato zum Oberbefehlshaber AFCENT. Zwischen 1977-1980 war er Staatssekretär im Verteidigungsministerium.
Generalleutnant Hans Röttiger (1896-1960): Röttiger, der bereits Leutnant der Preußischen Armee im Ersten Weltkrieg war, wurde im Zweiten Weltkrieg im Zuge des Vernichtungsfeldzugs gegen die Sowjetunion im Januar 1942 zum Chef des Generalstabes der 4. Panzerarmee ernannt und wenig später zum Generalmajor befördert. Ab Juli 1943 diente er als Chef des Generalstabes der Heeresgruppe A in Russland. Nach dem Krieg spielte er eine zentrale Rolle bei der Wiederbewaffnung und übernahm am 21. September 1957 als Erster das Amt des Inspekteurs des Heeres.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Oberst Erich Hartmann (1922-1993): Die „Ergänzenden Hinweise“ feiern den Wehrmachtsoffizier als „erfolgreichsten Jagdflieger der Militärluftfahrt (352 Luftsiege)“. Für seine hohen Abschusszahlen erhielt er als einer von nur 27 Militärs die Brillanten zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Die NS-Propaganda feierte ihn regelmäßig als „Kriegsheld“ in der Wochenschau. Für die Bundeswehr stellte er Ende der 1950er Jahre mit dem Luftgeschwader 71 „Richthofen“ das erste Düsenjäger-Jagdgeschwader der neu geschaffenen Luftwaffe auf.
Generalleutnant Gerhard Barkhorn (1919-1983) und Generalleutnant Günther Rall (1918-2009): Mit Barkorn und Rall feiert die Bundeswehr auch die nach Hartmann zweit- und dritterfolgreichsten Jagdflieder der Wehrmacht. Beiden verlieh Hitler für die Anzahl ihrer Luftsiege die Schwerter zum Ritterkreuz. Nach dem Krieg machten sie steile Karrieren in der Bundeswehr und Nato. Rall war von 1971 bis 1974 sogar Inspekteur der Luftwaffe und 1974/75 deutscher Vertreter im NATO-Militärausschuss.
Konteradmiral Erich Topp (1914-2005): Laut den „Ergänzenden Hinweisen“ war Topp „im Zweiten Weltkrieg einer der erfolgreichsten U-Boot-Kommandanten“. Und ein bekennender Nationalsozialist mit engen Verbindungen in die höchsten Nazikreise, sollte man hinzufügen. Topp trat im Mai 1933 in die NSDAP ein und 1934 auch in die SS. Er verfügte über eine enge Beziehung zu Hitlers persönlichem Sekretär und Leiter der NS-Parteikanzlei Martin Bormann. Trotzdem stieg er nach dem Krieg zum stellvertretenden Inspekteur der Marine auf und war Abteilungsleiter Plans & Policy im Nato-Hauptquartier Nordeuropa in Norwegen.
Die offene Huldigung dieser führenden nationalsozialistischen Militärs wurde lange vorbereitet und bestätigt alle Warnungen der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP). Wir hatten bereits im September 2014 in einer Resolution erklärt, dass sich die „die Propaganda der Nachkriegsjahrzehnte – Deutschland habe aus den ungeheuren Verbrechen der Nazis gelernt“ und „zu einer friedlichen Außenpolitik gefunden“ – „als Mythos“ entpuppt. Der deutsche Imperialismus zeige „sich wieder so, wie er historisch entstanden ist, mit all seiner Aggressivität nach innen und nach außen“.
Wenige Monate zuvor hatte die damalige Bundesregierung auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Rückkehr des deutschen Militarismus verkündet. Parallel dazu bezeichnete der rechtsextreme Humboldt-Professor Jörg Baberowski Hitler im Spiegel als „nicht grausam“ und behauptete: „Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung gesprochen wird.“ Im gleichen Interview lobte Baberowski den mittlerweile verstorbenen Nazi-Apologeten Ernst Nolte, der bereits im Historikerstreit der 1980er Jahre die nationalsozialistische Vernichtungspolitik als eine nachvollziehbare Antwort auf die Sowjetunion gerechtfertigt hatte.
Die SGP warnte bereits damals davor, dass diese bewusste Verharmlosung des Hitler-Faschismus und die Relativierung der Verbrechen des Dritten Reichs der Vorbereitung neuer Kriege und neuer Verbrechen dienen. Das ist jetzt Realität. Zehn Jahre später feiert die herrschende Klasse offen nationalsozialistische Kriegsverbrecher, bereitet sich auf einen direkten Krieg gegen die Atommacht Russland vor und unterstützt den Genozid an den Palästinensern in Gaza. Dieser Rückfall in Weltkrieg und Barbarei muss gestoppt werden durch den Aufbau einer Antikriegsbewegung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.
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