Nachdem zuerst die Ludwig-Maximilians-Universität in München und danach auch die Freie Universität in Berlin den geplanten Vortrag der UN-Sonderberichterstatterin zu den besetzten Palästinensergebieten Francesca Albanese mit dem Titel „Kolonialismus, Menschenrechte und Völkerrecht“ kurzfristig abgesagt hatten, konnte sie ihn in Berlin endlich halten. Der Saal war kurzfristig gebucht worden, die Veranstaltung wurde von der Polizei überwacht.
Auf Fotos von der Veranstaltung in den Redaktionsräumen der Tageszeitung Junge Welt (jW) im Zentrum von Berlin ist zu sehen, dass sich im Gebäude während Albaneses Rede Bereitschaftspolizei aufhielt. Die Einwände der jW-Redaktion gegen die Polizeipräsenz bei einem öffentlichen Vortrag wurden von den Beamten ignoriert, die für die Dauer des Vortrags in der Veranstaltung blieben. Laut einigen Berichten nahmen auch Angehörige des Verfassungsschutzes an der Veranstaltung teil. Vor dem Gebäude waren Einsatzwagen mit Dutzenden Polizisten geparkt, die die Teilnehmer einschüchtern sollten.
Die Veranstaltung wurde von Democracy in Europe Movement 2025 (DiEM25), der Jüdischen Stimme, Eye4Palestine und dem Gaza-Komitee Berlin organisiert, die allesamt bei früheren Anlässen von der Polizei als „antisemitisch“ angegriffen worden waren, weil sie den Völkermord im Gazastreifen ablehnen. Auf der Veranstaltung berichtete auch der Filmemachers Pary el-Qalqili, über Fälle von Polizeigewalt gegen pro-palästinensische Demonstranten. Der bekannte Geiger und Professor für Ensemblespiel und Violine an der Said-Barenboim Akademie Michael Barenboim gab ein Streichkonzert.
Zu Beginn ihrer Rede, die jetzt den Titel „Wiedereroberung des Diskurses: Palästina, Gerechtigkeit und die Macht der Wahrheit“ trug, erklärte Albanese: „Ich muss zugeben, dass mich die etwa 75 Stunden in diesem Land ziemlich nervös gemacht haben, und ich kann es nicht erwarten, wieder in das ‚friedliche Tunesien‘ [wo sie wohnt] zurückzukehren. Ich habe noch nie so wie hier das Gefühl gehabt, keine Luft zu bekommen.“
In ihrer Rede schilderte Albanese die „Unterdrückung der Palästinenser“ durch „israelischen Siedlerkolonialismus“ und beschrieb den „Völkermord im Gazastreifen“ als „eines der drängendsten Probleme unserer Zeit“. Sie sprach zur Rolle Deutschlands in mehreren Völkermorden, einschließlich des Holocaust, der Ermordung von sechs Millionen Juden, und kritisierte das repressive Klima in Deutschland. Sie stellte die Anmaßung infrage, dass nur Politiker und Journalisten bestimmen dürfen, was ein Völkermord ist.
Die italienische Staatsbürgerin Albanese ist eine weithin anerkannte Expertin für internationales Recht und hatte in ihrer offiziellen Tätigkeit als UN-Sonderberichterstatterin im März 2024 erklärt, sie sehe „vertretbare Gründe“ dafür, Israels Militäroperation im Gazastreifen als Völkermord zu bezeichnen. Sie erweiterte und konkretisierte diese Position in ihrem Bericht für die UN vom letzten Oktober, in dem sie erklärte, das Vorgehen der israelischen Regierung nach ihrem Überfall auf den Gazastreifen erfülle die völkerrechtlichen Kriterien eines Völkermords.
Diesen Standpunkt wollen das politische Establishment und die Medien in Deutschland unterdrücken.
Seit Albanese vor vier Tagen deutschen Boden betreten hatte, wurde sie Ziel einer massiven Einschüchterungskampagne durch deutsche Politiker, zionistische Organisationen und die Polizei, die ihre Rede verhindern wollten.
Nach der Absage ihres Vortrags in München ergoss sich eine Flutwelle von Beleidigungen und Verleumdungen über Albanese. Führende pro-israelische deutsche Zeitungen veröffentlichten provokante Schlagzeilen wie „Terror-Propaganda in Hörsälen?“. Der rechte Berliner Bürgermeister Kai Wegner (CDU) behauptete zusammen mit dem israelischen Botschafter Ron Prosor und der zionistischen Werteinitiative, Albaneses Entlarvung der völkermörderischen Politik der israelischen Regierung sei ein Ausdruck „antisemitischer Weltbilder“. Sie forderten den Präsidenten der Freien Universität Berlin auf, Albaneses Vortrag abzusagen.
Auch die Berliner Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) schloss sich diesen Angriffen an und erklärte: „Aus meiner Sicht erfüllen die Äußerungen von Frau Albanese alle Kriterien des Antisemitismus und ich stelle die Frage, ob bei einer so geplanten Veranstaltung die Sicherheit jüdischer Studierender gewährleistet ist.“
Auch Teile der Presse, die der Linkspartei nahestehen, beteiligten sich an der Hetzkampagne gegen Albanese. Während die Junge Welt ihre Gebäude zur Verfügung stellte, schrieb das Neue Deutschland in einem Kommentar:
Tatsächlich ist Albanese mitnichten eine neutrale Berichterstatterin. Stattdessen arbeitet die Italienerin seit ihrer Ernennung 2022 konstant daran, das Image der einst angesehenen Vereinten Nationen weiter zu ramponieren. Das Hamas-Massaker im Süden Israels am 7. Oktober 2023 legitimierte sie als „Reaktion auf die Unterdrückung durch Israel“. ... Ob Albanese einen sinnvollen Beitrag zu wissenschaftlichen Diskussionen leisten kann, darf also zu Recht angezweifelt werden.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Bei einer Protestveranstaltung gegen die Absage von Albaneses Vortrag an der FU besetzten am Mittwochmorgen etwa 40 Menschen einen großen Hörsaal des FU-Campus Berlin. Posts in den sozialen Netzwerken zeigen, wie die Polizei an der FU intervenierte, offensichtlich um die Besetzer gewaltsam zu vertreiben.
Weil Albanese ihre Rede nicht an der FU halten durfte, organisierten ihre Unterstützer eine alternative Veranstaltung im Kühlhaus in Berlin. Über Nacht besprühten zionistische Provokateure das Kühlhaus mit den Parolen „Albanese, Sie sind Antisemitin“ und „Das UNRWA [UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge] unterstützt den Terror“. Bis Dienstagmorgen hatte auch der Besitzer des Kühlhauses auf Druck der Behörden die Veranstaltung abgesagt. Am gleichen Tag wurde ein neuer Veranstaltungsort gefunden, an dem Albanese ihre Rede halten konnte.
Die Präsenz der Polizei bei Albaneses Vortrag in Berlin erinnert in bedrohlicher Weise an den Palästinakongress, der im April 2024 in Berlin organisiert wurde. Nach nur zwei Stunden wurde die Konferenz von der Bereitschaftspolizei gestürmt und beendet, obwohl sie eigentlich vier Tage dauern sollte.
Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) verurteilten damals wie heute das Vorgehen des deutschen Staates und warnten:
Es richtet sich nicht nur gegen den Kongress und seine Unterstützer, sondern zielt auf die Unterdrückung jeder sozialen und politischen Opposition. Unter Bedingungen, unter denen die herrschende Klasse wieder auf Militarismus und Krieg setzt und massive Angriffe auf die Arbeiterklasse plant, ist kein Protest mehr erlaubt.
Seither wurden zahllose Künstler, Studierende und andere Gegner des Völkermords, darunter jüdische Aktivisten, immer wieder kriminalisiert, zensiert oder Opfer von Polizeigewalt. Obwohl Albanese schließlich in Berlin sprechen durfte, verschärfen die Behörden im Vorfeld der Bundestagswahl ihre Kampagne, um ein Polizeistaatsklima zu schaffen und den wachsenden sozialen und politischen Widerstand gegen Militarismus, Krieg und den Genozid im Gazastreifen zu unterdrücken.