Bombardier: Arbeiter in Konfrontation mit IG Metall

Am Dienstag versammelte die IG Metall in Görlitz ihre Mitglieder im dortigen Bombardier-Betrieb, um „die Stimmung zu testen“. Der kanadische Flugzeug- und Zughersteller will weltweit 7500 Arbeitsplätze abbauen, nachdem er bereits im vergangenen Jahr 7000 Arbeitsplätze vernichtet hatte, davon bis zu 2500 in den drei ostdeutschen Werken Hennigsdorf, Görlitz und Bautzen.

Acht Tage vor der Versammlung in Görlitz hatte ein Spitzentreffen bei Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel stattgefunden, an dem der Vorstand von Bombardier Transportation, die Ministerpräsidenten von Brandenburg und Sachsen sowie Gewerkschaftsführer und Betriebsräte der ostdeutschen Standorte teilnahmen,

Insgesamt kamen etwa vierhundert Arbeiter zu den beiden Versammlungen in Görlitz, die jeweils für die Spät- und Frühschicht aufeinanderfolgend angesetzt waren. Von Beginn an wurde deutlich, dass Gewerkschaft und Belegschaft völlig unterschiedliche Vorstellungen über die Verteidigung der Arbeitsplätze haben.

Während Jan Otto, der IG-Metall-Chef von Ostsachsen, und Philipp Singer, der Verantwortliche der IGM für Betriebsbetreuung, für die Annahme eines von ihnen ausgearbeiteten Zukunftskonzepts für Bombardier Görlitz warben, das dem Vorstand im Mai 2017 vorgelegt werden soll, drängten die meisten Diskussionsteilnehmer darauf, keine Zeit mehr zu verlieren und baldige Kampfaktionen zu organisieren.

Jan Otto eröffnete die Veranstaltung mit dem Hinweis, man habe „in den letzten 14 Monaten eine wilde Zeit erlebt“. Die Zahl von 2500 Stellen, die in den drei ostdeutschen Standorten Görlitz, Bautzen und Henningsdorf gefährdet seien, stehe immer noch im Raum und sei auch beim Spitzentreffen mit Gabriel vom Vorstand des Unternehmens nicht dementiert worden.

Dann hob er an, gegen die Belegschaft zu wettern: „Die Kollegen, die meinen, sie müssten die IG Metall vor sich hertreiben und uns erklären, wir müssten sofort in den Streik gehen, die kann ich nur fragen, warum sie heute nicht hier sind. Im Zweifel kann ich euch nur sagen, wenn wir da alle vor dem Tor stehen – und ich habe schon die Befürchtung, dass es früher oder später dazu kommen wird, leider – dann macht euch keine Illusionen, das ist nicht einfach. Das ist ein Unterschied, mal eine Stunde vor dem Tor oder länger.“

Während des gesamten vier Stunden dauernden Versammlungsmarathons drohte er immer wieder, wenn nicht wesentlich mehr Arbeiter der IG Metall beiträten, sei er nicht bereit, einen Streik zu organisieren. Gleichzeitig warb er für das Zukunftskonzept der IG Metall, das in Wirklichkeit ein alternatives Rationalisierungskonzept ist: „Wir wollen überlegen, wie wir Bombardier dazu bringen können, auf die Ideen der Beschäftigten zu hören.“

Die Antwort der versammelten Mitglieder kam prompt und deutlich.

„Wir in Görlitz waren letztes Jahr schon soweit, dass das Wasser überkocht, und hätten lieber heute als morgen vor dem Tor gestanden. Natürlich haben die Konsequenzen dazu geführt, dass wir jetzt weiter diskutieren, aber bis Mai, das finde ich bald nicht mehr aushaltbar. Bis Mai ist die Geduld im Betrieb nicht da“, erklärte ein Arbeiter vom Rohbau. Unter großem Beifall fügte er hinzu: „Wenn wir hier nicht dicht machen, dann gehen wir baden!“

Das Spitzentreffen in Berlin hatte vorgeschlagen, im ersten Halbjahr 2017 Verhandlungen zwischen Vorstand, Gewerkschaft und Betriebsrat zu beginnen. Viele Diskussionsredner sahen in diesem Vorschlag eine Hinhaltetaktik, während der schleichende Abbau von Kapazitäten und Kompetenzen in den Betrieben weitergeht.

Ein Arbeiter der Frühschicht sagte: „In eurem Vorschlag stand, wenn Bombardier dann und dann [im Mai] nicht reagiert, dann reagieren wir. Für mich ist das alles schon erreicht. Im Februar, spätestens März muss hier was passieren. Die nehmen uns alles weg, alles.“

Ein Arbeiter vom Rohbau wies darauf hin, dass viele Arbeiter deshalb nicht in die Gewerkschaft eintreten, weil der Betriebsrat eng mit dem Management zusammenarbeitet: „Das Zutrauen zu unserem Betriebsrat in unserem Werk ist komplett im Eimer und das über viele Jahre,“ sagte er. „Egal wen man fragt, was die Geschäftsführung will, wird unterzeichnet und gemacht. So ist dieser Eindruck über viele Jahre entstanden. Bevor der Antragsteller beim Betriebsrat war, wusste der Meister schon, wer angerufen hat und weswegen. Das hat jahrelang zum Misstrauen beigetragen.“

Der weitere Verlauf der Diskussion machte deutlich, dass der Betrieb in Görlitz scheibchenweise reduziert wird und die verschiedenen Standorte gegeneinander ausgespielt werden, um die Belegschaften zu spalten. Unternehmensleitung, Betriebsrat und IG Metall spielen sich dabei die Bälle zu.

Man kennt dieses Vorgehen von vielen Betrieben der Metallindustrie, insbesondere vom Autokonzern Opel. Dort wurden die Standorte jahrelang gegeneinander ausgespielt. IGM und Betriebsrat legten immer wieder eigene „Zukunftskonzepte“ vor und stimmten dem Abbau von Arbeitsplätzen und Löhnen zu, um die restlichen Arbeitsplätze angeblich zu retten. Bis das Werk in Bochum, lange einer der wichtigsten Arbeitgeber im Ruhrgebiet, mit Unterstützung der IG Metall Ende 2014 schließlich vollständig stillgelegt wurde.

Dasselbe abgekartete Spiel läuft jetzt auch bei Bombardier. Die Arbeiter misstrauen der IG Metall und dem Betriebsrat zu Recht.

So wurde im letzten Jahr die Engineeringabteilung in Görlitz weitgehend abgebaut und dafür in Henningsdorf erweitert. Die übrig gebliebenen 20 Ingenieure können keine neuen Modelle mehr entwickeln.

Auf die Kritik mehrerer Arbeiter, dass Betriebsrat und IG Metall dies zugelassen hätten, reagierte Jan Otto, indem er erneut die Arbeiter beschimpfte, die der Gewerkschaft misstrauen: „Warum haben wir im letzten Jahr, als wir über den Abbau des Engineerings redeten, nicht früher und schneller die Notbremse gezogen? Wenn wir nach einer Abbauankündigung einer Abteilung nach zwei Monaten immer noch weniger als ein Viertel der Belegschaft organisiert haben, dann kann ich als IGM nicht wissentlich diese Kolleginnen und Kollegen in einen Streik führen.“

Andere Arbeiter wiesen darauf hin, dass das Werk Görlitz seit Langem heruntergewirtschaftet werde. Die Maschinen seien zum Teil 20 Jahre alt und reparaturanfällig, so dass Bauteile im Ausland gekauft und dann zu hohen Kosten nachgearbeitet werden müssten. Außerdem sei mit der Verlegung des Innenausbaus der Züge nach Bautzen begonnen worden.

Auch die Spaltung der Belegschaft in Stammbeschäftigte und Leiharbeiter wurde kritisiert. Um Kosten zu sparen, werden Leiharbeiter aus Polen und Tschechien angeheuert, die jederzeit wieder entlassen werden können.

„Jetzt haben wir wieder Leiharbeiter, die haben keine gründliche Ausbildung, nur vier Wochen Schweißer-Lehrgang, die können die Qualität nicht bringen. Das sind keine Metallbauer, die brauchen für alles viel länger. Die trauen sich nichts zu sagen, bekommen keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kein Urlaubsgeld“, berichtete ein Kollege, der mit ihnen zusammenarbeitet.

„Mit den Leuten brauchen wir nicht zu rechnen, die haben soviel Angst, das bisschen Geld zu verlieren, was sie verdienen“, fuhr er fort. Obwohl man mit diesen Kollegen über den bevorstehenden Kampf spreche, bestehe die Gefahr, dass sie vom Unternehmen als Streikbrecher eingesetzt würden.

Ein Betriebsrat aus Görlitz bestätigte der WSWS am Telefon, dass die Belegschaften der drei ostdeutschen Betriebe gegeneinander ausgespielt werden: „Es gibt auch einen kleinen internen Konkurrenzkampf“, sagte er.

So verfügt Bombardier Bautzen über modernere Maschinen und Anlagen als Görlitz, weil sie nach einer Überschwemmung im August 2010 teilweise ersetzt werden mussten. Darauf stützt sich der Betriebsrat, wenn er, statt ein gemeinsames Vorgehen mit Görlitz zu planen, „erst einmal die Gespräche mit der Konzernleitung abwarten“ will, wie Betriebsratsmitglied Frank Albert der Sächsischen Zeitung sagte.

Am 19. Januar besuchte DGB-Chef Reiner Hoffmann den Betrieb Bautzen und bestätigte gegenüber der Sächsischen Zeitung, „die Stimmung im Unternehmen habe er als ‚konstruktiv positiv‘ wahrgenommen. Er gehe davon aus, dass die Perspektiven für den Standort Bautzen gut stehen.“

Wie bei Opel, Volkswagen, MAN Diesel & Turbo und vielen anderen Betrieben übernimmt auch bei Bombardier die IG Metall die Aufgabe, das Rationalisierungskonzept für den Konzern auszuarbeiten. Jan Otto und Philipp Singer nennen das einen „Prozess in Gang setzen“, in dem die „Belegschaft sich einbringen kann“. Was sich bei VW „Zukunftspakt“ nannte, heißt bei Bombardier „Fahrplan Zu(g)kunft“.

Auf den Versammlungen in Görlitz wurden entsprechende Diagramme an die Wand projiziert, darunter auch ein „Konzept zur Optimierung von Betrieb und Prozessen“. Die IG-Metall-Mitglieder sollen so helfen, sich selbst wegzurationalisieren.

Der Stellenabbau bei Bombardier hat verheerende Auswirkungen auf die betroffenen Regionen. In Görlitz geht der Wagonbau bis auf das Jahr 1849 zurück. Zu DDR-Zeiten wurde von hier auch die sowjetische Staatsbahn beliefert. Neben dem Turbinenwerk von Siemens Power & Gas ist Bombardier der letzte Industriebetrieb in Görlitz, der Stadt mit dem niedrigsten Durchschnittseinkommen in Deutschland.

„Schon heute ist es so“, berichtete ein Arbeiter auf der Versammlung, „dass sich viele bei uns schon nicht mehr bewerben auf Grund der Situation, die wir jetzt haben. Die werden sich ganz woanders hinwenden.“

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