Umbruch in der Autoindustrie bedroht slowakische Arbeiter

In der Autoindustrie vollzieht sich ein grundlegender Wandel. Die Herausforderungen von Handelskrieg, Digitalisierung, E-Mobilität und Energiewende gehen mit tiefgreifenden Veränderungen in der Produktion einher. Um die Profite nicht zu gefährden, bereiten die Konzerne, gestützt auf die Gewerkschaften, die Vernichtung hunderttausender Arbeitsplätze und andere Angriffe auf die Arbeiter vor.

Für alle Autoarbeiter gewinnt in dieser Situation eine internationale Strategie die allergrößte Bedeutung. Sie müssen ihre Kollegen in den Autowerken in Mittel- und Osteuropa als solidarische Verbündete und nicht als Konkurrenten betrachten. Die nationalistische Standortpolitik der IG Metall, die die Arbeiter spaltet und lähmt, muss entschieden zurückgewiesen werden.

Die Autoarbeiter in den großen Montagewerken Tschechiens, Rumäniens, Ungarns oder der Slowakei sind von der Krise der Autobranche besonders bedroht. Für die gesamte Region ist die Automobilindustrie zum zentralen Wirtschaftsfaktor geworden. In der kapitalistischen Restauration der 1990er Jahre verlagerten zahlreiche große Konzerne ihre Produktion in diese Länder, weil sie hier gut ausgebildete Arbeiter vorfanden, die zu niedrigen Löhnen arbeiteten. Die Transformation in der Autobranche und die damit einhergehenden Angriffe auf die Arbeiter werden diese Region in ein soziales Pulverfass verwandeln.

Für die Slowakei gilt dies in besonderem Maße. Sie ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl der weltgrößte Autoproduzent. Im Jahr 2018 wurden dort pro tausend Einwohner 198 Autos und im vergangenen Jahr 202 Autos fertiggestellt. Weltkonzerne wie VW, Kia, PSA und Jaguar-LandRover lassen ihre PKWs in der Slowakei montieren. In dem Land mit 5,45 Millionen Einwohnern sind rund 80.000 Menschen direkt in der Autoindustrie beschäftigt, insgesamt von der Branche abhängig sind 145.000 Arbeiter. Letztes Jahr wurden im Ganzen 1,1 Millionen Autos produziert, und Autos machen ein Viertel aller exportierten Waren aus.

Die Slowakei war früher die Waffenschmiede für ganz Osteuropa. Nach dem Niedergang der Sowjetunion fanden internationale Autokonzerne hier arbeitslose Metallarbeiter, denen sie nur einen Bruchteil der Westlöhne zahlen mussten. Seither nutzen die Konzerne die Slowakei als „verlängerte Werkbank“.

Der erste Riss zeigte sich im Juni 2017 bei dem Streik gegen Volkswagen Slowakia in Bratislava, als 8000 von insgesamt 12.300 Arbeitern in dem Werk die Produktion sechs Tage lang lahmlegten. Der Streik war die erste Arbeitsniederlegung in einem großen slowakischen Autowerk seit Einführung des Kapitalismus. Er war Ausdruck eines neuen Stadiums des internationalen Klassenkampfs.

Unter dem Titel, „Böses Erwachen im Autoparadies“, schrieb das Handelsblatt damals: „Lange galt die Slowakei als Autoparadies. Niedrige Löhne, niedrige Steuern, und eine Industriepolitik unter Regierungschef Robert Fico, die den Autokonzernen ihre Wünsche von den Lippen ablas.“

Auch nach dem VW-Streik und anderen Arbeitskämpfen blieben die Löhne niedrig. Der gesetzliche Mindestlohn liegt heute bei knapp drei Euro (monatlich 520 Euro) und der durchschnittliche Monatslohn ist nicht höher als 950 Euro. Zwar sind die Unternehmer seit dem 1. Mai 2018 gezwungen, höhere Zuschläge für Nacht-, Feiertags- und Wochenendarbeit zu bezahlen. Allerdings reicht das bei weitem nicht aus, um die Preissteigerungen wettzumachen. Die Preise haben durchaus EU-Niveau, und Wohnraum ist beispielsweise in Bratislava ebenso teuer wie in jeder westeuropäischen Großstadt.

Im Nachbarland Tschechien verdienen die Arbeiter beim Autokonzern Skoda sogar noch weniger als ihre Kollegen in der Slowakei. Auch in Ungarn, wo Werke von Audi, Mercedes, Suzuki und BMW stehen, oder bei Ford in Rumänien sind Autoarbeiter mit miserablen Löhnen konfrontiert. Vor genau einem Jahr streikten deshalb im ungarischen Audi-Werk in Györ 13.000 Autoarbeiter für bessere Löhne, und im südrumänischen Craiova streikten im Dezember 2017 tausend Ford-Arbeiter.

In der Slowakei blickt die Regierung mittlerweile besorgt auf den bevorstehenden Umbruch in der Autobranche. Vor wenigen Tagen hat der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak in Davos von den Konzernen mehr Zukunftsinvestitionen gefordert. Am Rande der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums sagte Lajcak: „Wir wollen nicht als der Ort gesehen werden, an dem nur die Teile zusammengebaut werden.“

In Bratislava regiert ein Bündnis der Smer-Sozialdemokraten mit der rechtsradikalen SNS, das in Übereinstimmung mit der EU einen strikten Sparkurs verfolgt und aggressiv gegen Flüchtlinge und Roma vorgeht. Die nächsten Parlamentswahlen finden noch in diesem Monat, am 29. Februar statt. Seit dem VW-Streik in Bratislava ist die Regierung besorgt, dass die scharfen Spannungen leicht zur sozialen Explosion führen könnten.

Wie leicht – das hat auch die Reaktion auf den Mord an Jan Kuciak gezeigt. Der Journalist hatte die mafiösen Verstrickungen der neureichen Oberschicht aufgedeckt, die bis ins Büro des Regierungschefs Robert Fico reichten. Als Kuciak am 21. Februar 2018 mit seiner Ehefrau erschossen wurde, löste dies Unruhen im ganzen Land und Massenproteste in Bratislava aus, die Fico zum Rücktritt zwangen.

Auf die Nervosität der slowakischen Regierung reagierte VW nur mit einer schwachen Beruhigungspille. Am 3. Februar gab der VW-Vorstand bekannt, der Konzern werde 35 Mio. Euro in der Slowakei investieren. Dies soll in einem kleineren Werk in Martin, einer Stadt etwa 230km östlich von Bratislava, geschehen, und nicht im großen VW-Werk in Bratislava. In Martin, wo heute 800 Autoarbeiter für VW schuften, sollen künftig Differentialgetriebe für Elektroautos entwickelt werden. Dazu werden allerdings nur etwa zwölf neue Stellen geschaffen, während 182 Arbeiter aus Bratislava dorthin umziehen sollen.

Die Ankündigung kommt eher dem Eingeständnis gleich, dass der VW-Konzern vielen tausenden VW-Arbeitern in der Slowakei keine Zukunft mehr bietet. Schon heute arbeiten die Autobauer unter enormem Druck. Im Jahr 2017 sagte einer von ihnen der WSWS: „Wir arbeiten wie Roboter am Band. Ständig wird mehr verlangt, und Fehler werden schwer geahndet.“ Wie auf der ganzen Welt stehen den Autoarbeitern in der Slowakei heute noch weit schärfere Angriffe auf Löhne, Arbeitsplätze und soziale Errungenschaften bevor.

Es besteht gar kein Zweifel, dass VW einen umfassenden Kahlschlag vorbereitet. Erst vor kurzem hat VW-Konzernchef Herbert Diess in einer Brandrede die Vernichtung von 20.000 Arbeitsplätzen allein in Deutschland angekündigt. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hatte schon im August 2019 in Prag eine Studie über die Auswirkungen auf die Autoindustrie in Mittel- und Osteuropa vorgelegt. Darin geht sie davon aus, dass der VW-Konzern die Vernichtung von 30.000 Stellen plane, davon 23.000 in Deutschland.

Die IG Metall ist der verlängerte Arm des Aufsichtsrats und der Aktionäre. Besonders bei VW arbeitet sie aufs Engste mit dem Vorstand zusammen. Erst vor wenigen Tagen unterstützte der VW-Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh Herbert Diess‘ Vorschläge ausdrücklich mit den Worten: „Das ist der richtige Weg.“ Zu jedem geplanten Arbeitsplatzmassaker in der Slowakei wird die IG Metall Ja und Amen sagen und versuchen, dies an den deutschen Standorten nach dem Floriansprinzip als Erfolg zu verkaufen.

In einem „Moratorium für einen fairen Wandel“ hat die deutsche Gewerkschaft ausdrücklich dazu aufgefordert, „den Industriestandort Deutschland durch die Transformation zu stärken“. Das Moratorium selbst ist ein Angebot der IG Metall zur engen Zusammenarbeit mit den deutschen Konzernen und beinhaltet ein Stillhalteabkommen und sogar den Verzicht auf Lohnforderungen. Ohne Zweifel wird die IG Metall mit diesem nationalistischen Kurs für den „Industriestandort Deutschland“ alles tun, um die kommenden Kämpfe der Autoarbeiter zu spalten.

Auch die Gewerkschaften in der Slowakei vertreten eine nationalistische und pro-kapitalistische Perspektive der Sozialpartnerschaft. Zwar hat sich vor vier Jahren die Gewerkschaft Moderne odborov Volkswagen von der korrupten, eng mit der IG Metall verbündeten OZ KOVO abgespalten. Aber wie das Ende des Streiks 2017 zeigte, hat sich auch die Moderne odborov als nationalistischer Anhänger der Sozialpartnerschaft erwiesen.

Auch sie verfolgt eine Standortpolitik, die Arbeiter der verschiedenen Werke und Länder gegeneinander ausspielt und so den Konzerninteressen opfert. Mit dieser Politik war es den Konzerne in den letzten Jahren schon möglich, europäische Werke wie Opel in Antwerpen und Bochum zu schließen, und gerade wird die Schließung von Ford im französischen Blanquefort durchgesetzt, um nur einige Beispiele zu nennen.

Um mit dieser reaktionären Strategie zu brechen, ist es notwendig, Aktionskomitees aufzubauen, die völlig unabhängig von den Gewerkschaften handeln und international gemeinsam, auf einer sozialistischen Grundlage, den Kampf gegen Werkschließungen und Entlassungen aufnehmen. Die World Socialist Web Site ruft alle Arbeiter dazu auf, Kontakt mit uns aufzunehmen und den Autoarbeiter Newsletter zu lesen und bekannt zu machen.

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