Es ist jetzt anderthalb Jahre her, seit der rechtsradikale Professor Jörg Baberowski über den Campus der Berliner Humboldt-Universität stürmte, studentische Wahlplakate abriss und den studentischen Abgeordneten und Sprecher der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), Sven Wurm, tätlich angriff und bedrohte: „Soll ich Dir was in die Fresse hauen?“
Bis heute hat Baberowski den Lehrstuhl für Geschichte Osteuropas inne und genießt volle Rückendeckung von Unipräsidentin Sabine Kunst (SPD) und allen etablierten Parteien. Ende Mai dieses Jahres reichten die IYSSE beim Berliner Senat eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Kunst ein, weil sie sich offen hinter den Angriff stellt und ihn als „menschlich verständlich“ rechtfertigte.
In der Beschwerde gehen die IYSSE ausführlich auf zahlreiche weitere Fälle ein, in denen sich die Präsidentin inhaltlich hinter die rechtsradikalen Positionen des Professors stellte und selbst Drohungen gegen kritische Kollegen sanktionierte. Die IYSSE schließen mit der Feststellung:
„Es gibt für diese eindeutige Chronologie keine harmlose Erklärung. Frau Kunst hat die wiederholte verbale und physische Gewalt Baberowskis gegen Studierende systematisch gedeckt und notwendige Kritik an dem rechtsradikalen Professor unterdrückt. Sie ist damit für ein Klima der Einschüchterung verantwortlich, in dem Studierende gehindert werden sollen, die rechten Ansichten von Professoren zu kritisieren. Das ist mit einer demokratischen Universität nicht vereinbar.“
Der Senat gab die Bearbeitung der Beschwerde an das HU-Kuratorium weiter. Nach vier Monaten herrscht immer noch ohrenbetäubendes Schweigen seitens des Berliner Senats und des Kuratoriums. Das ist kein Versehen, sondern bewusste Strategie. Nachdem der Refrat der HU sowie die Asten der Technischen Universität Berlin, der Universität Bremen und der HfBK Dresden die Dienstaufsichtsbeschwerde unterstützt und damit der enormen Empörung unter Studierenden Ausdruck verliehen haben, ignorieren sie die Proteste und wollen die Vorwürfe gezielt im Sande verlaufen lassen und unterdrücken.
Jeder Tag, der ins Land geht, ohne dass auf die Angriffe eines hochrangigen Professors an einer renommierten Hochschule reagiert wird, belegt die Warnungen der IYSSE vor einem gefährlichen Rechtsruck von oben. Baberowskis Verharmlosung von Nazi-Verbrechen und seine Legitimierung diktatorischer Herrschaftsformen sind keine „Verirrungen“ oder „Fehltritte“ eines einzelnen Akademikers. Ausgestattet mit üppigen Fördermitteln und einem großen Lehrstuhlapparat kann er ungeniert rechtsradikale Positionen salonfähig machen, weil sie den Interessen der herrschenden Klasse entsprechen.
Deshalb hat der Berliner Senat die Dienstaufsichtsbeschwerde auch an die Zuständigkeit der Kuratoriumsvorsitzenden Edelgard Bulmahn weitergereicht, weil sie genau die richtige Adresse ist, um die Beschwerde gegen Kunst im Papierkorb verschwinden zu lassen.
Das Kuratorium fungiert nominell als Aufsichtsgremium der Universität. Aber Bulmahn ist selbst eine langjährige SPD-Kollegin von Kunst und hatte sie letztes Jahr als einzige Kandidatin zur Wiederwahl für das Amt der Präsidentin vorgeschlagen. Sie lobte Kunst damals als „hervorragende Hochschulmanagerin“, die die HU auf einen „außerordentlich guten Weg“ gebracht habe. Zu diesem „guten Weg“ gehörten Kunsts rigorose Sparpolitik und ihre Versuche, die Universität in eine Kaderschmiede für rechte und militaristische Ideologie zu verwandeln.
Bulmahn hat selbst als Bildungsministerin der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder zwischen 1998 und 2005 prekäre Studien- und Forschungsbedingungen gegen Studentenproteste durchgesetzt und im Rahmen der Bologna-Hochschulreform den Einfluss von Wirtschaft und Thinktanks auf die Universitäten erhöht. Zugleich war sie direkt in die Militarisierung eingebunden, u.a. als stellvertretende Vorsitzende des Thinktanks Atlantik-Brücke und als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags.
Eine schützende Hand über Jörg Baberowski legten auch immer wieder die Bildungsministerin Anja Karlizcek (CDU), der Berliner Bürgermeister und Senator für Wissenschaft und Forschung, Michael Müller (SPD), und dessen scheidender Berliner Staatssekretär Steffen Krach (SPD).
Nichts ist zufällig daran, dass dieser Mann von allen offiziellen Stellen gefördert, gedeckt und unterstützt wird. Jörg Baberowski ist einer der führenden rechtsradikalen Ideologen Deutschlands, der den geistigen Nährboden für die rechte Politik geschaffen hat, die sowohl vom Berliner Senat als auch der Bundesregierung umgesetzt wird.
Das betrifft praktisch alle Bereiche:
Geschichtsfälschung und Kriegspolitik
Baberowski verharmlost seit Jahren die Verbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg und rehabilitiert sogar Hitler. Diese Geschichtsfälschung in der Tradition des NS-Apologeten Ernst Nolte ist ein wesentlicher Baustein in der Kampagne für eine neue deutsche Großmachtpolitik, die seit 2014 systematisch betrieben wird.
Die blutigen Verbrechen der Vergangenheit sollen umgeschrieben werden, um die tief verwurzelte Antikriegsstimmung in der Bevölkerung zu durchbrechen und neue Kriege vorzubereiten. Baberowski hat auch explizit für brutale militärische Interventionen geworben. Neben ihm sind u.a. auch Herfried Münkler, emeritierter Politologieprofessor der HU, und Sönke Neitzel, Militärhistoriker der Universität Potsdam, an der Kriegspropaganda beteiligt.
Sowohl Berliner Professoren der Freien Universität und der HU als auch alle großen Parteien einschließlich Linkspartei und Grünen waren schon in die Erarbeitung des Strategiepapiers „Neue Macht, neue Verantwortung“ von 2013 eingebunden – die Blaupause für die außenpolitische Wende.
Der gesamte offizielle Bundestagswahlkampf wird aktuell von dem Ruf nach mehr Aufrüstung und außenpolitischer Eigenständigkeit des deutschen Imperialismus beherrscht. Besonders Linkspartei-Vertreter lassen keine Gelegenheit aus, um ihre Treue zur Kriegspolitik zu bekunden, weil sie unbedingt an die Fleischtöpfe der Macht wollen.
Zuletzt bekräftigte der Berliner Kultursenator Klaus Lederer in einem Interview mit dem Spiegel: „Meine Partei ist regierungsfähig.“ Er kritisiert, dass sich ein Teil seiner Fraktion bei der jüngsten Abstimmung über die rückwirkende Genehmigung des Afghanistaneinsatzes enthalten hatte. „Wir hätten aus meiner Sicht dieser Rettungsmission zustimmen sollen“, betont er. „Ich habe schon immer gesagt, dass wir über eine sehr holzschnittartige, quasi pazifistische Friedenspolitik hinauskommen müssen.“
Auch seine Berliner Parteifreundin Helin Evrim Sommer, aktuell Abgeordnete und parlamentarische Geschäftsführerin der Linkspartei im Bundestag, stimmte für den Afghanistaneinsatz. Sie hatte Baberowski bereits 2015 zu einer Veranstaltung über den Ukraine-Konflikt in ihren Wahlkreis im Bezirk Lichtenberg eingeladen, ihn offen unterstützt und jeden aus dem Saal katapultieren lassen, den sie verdächtigte, er könnte kritische Fragen stellen.
Sommer ist Spezialistin, wenn es darum geht, für „humanitäre“ Kriegseinsätze zu trommeln. Im Januar 2019 warnte sie in einer Kolumne in der Welt unter dem Titel „Es wird Bilder von Leichenbergen geben“ vor einem Truppenabzug der USA aus Syrien. Die Kurden würden damit „ihre Schutzmacht“ verlieren und „in die Arme Putins und Assads getrieben“. Die Europäer seien „Luschen“, weil sie „nichts gegen das heraufziehende Unheil in Syrien“ täten, geiferte Sommer.
Diktaturvorbereitung und Polizeistaat
Baberowski wirbt u.a. in seinem Buch „Räume der Gewalt“ für einen starken autoritären Staat und propagiert die Diktaturkonzepte des NS-Juristen Carl Schmitt. Sein geplanter Thinktank „Diktaturen als alternative Ordnungen“, den er als Forschungszentrum an der HU gründen wollte, um autoritäre Herrschaft zu legitimieren, scheiterte 2019 nur am Widerstand der Studierenden.
Zur gleichen Zeit haben die Bundesregierung und alle Landesregierungen neue Polizeigesetze eingeführt, die grundlegende demokratische Rechte aushebeln. Erst diesen März verabschiedete auch das Berliner Abgeordnetenhaus ein verschärftes Polizeigesetz, das u.a. eine Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung vorsieht. Wie die WSWS minutiös nachgewiesen hat, wurde der Polizei-, Geheimdienst- und Militärapparat allein in den letzten Monaten in einem beispiellosen Tempo aufgerüstet.
Flüchtlingshetze und Abschiebepolitik
Baberowskis rassistische Demagogie gegen Geflüchtete, seine Verharmlosung von Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und sein Gezeter gegen die „Willkommenskultur“ sind wortgleich von der AfD übernommen. Diese rechte Hetze liefert die Begleitmusik zu der Abschottungspolitik der Europäischen Union und den Abschiebungen von Flüchtlingen in Kriegsgebiete und Armutsregionen.
Der rot-rot-grüne Senat hat seine grausame Abschiebepolitik trotz der Pandemie wieder beschleunigt. Im ersten Halbjahr 2021 wurden 516 Menschen aus Berlin, meist mitten in der Nacht, abgeschoben – fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Laut Angaben des Senats haben die Behörden zwischen Januar und Juni auch 13 Sammelabschiebungen mit eigenen Charterflügen durchgeführt und dafür 98.714 Euro ausgegeben. Drei Menschen wurden sogar nach Afghanistan deportiert, obwohl sie dort in Lebensgefahr schweben.
Fälschung der Oktoberrevolution und Kriminalisierung linker Ideen
Einen der wichtigsten Dienste erweist Baberowski der herrschenden Klasse, indem er in seinen Büchern und Vorlesungen die Oktoberrevolution als „Putsch“ und Ausgangspunkt der Barbarei im 20. Jahrhundert verteufelt und eine direkte Kontinuitätslinie von Lenin zu Stalin, von der Russischen Revolution zum stalinistischen Terror zieht. Mit diesen alten antikommunistischen Lügen sollen junge Menschen vom Sozialismus ferngehalten werden.
Aus derselben Angst vor einer Linksorientierung der Arbeiterklasse angesichts des offensichtlichen Bankrotts des Kapitalismus hat der Verfassungsschutz die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) unter Beobachtung gestellt. Die Berliner Landesregierung versucht ebenfalls gezielt, kritische Stimmen einzuschüchtern und mundtot zu machen. Zuletzt wurde bekannt, dass der Berliner Staatsschutz gegen das Künstlerkollektiv Peng! vorgeht und es auf die bundesweite Terrorismus-Liste setzen lässt. Vom Berliner Verfassungsschutz werden Klimaaktivisten von „Ende Gelände“ und Proteste gegen die Gentrifizierung und Verdrängung als „linksextremistisch“ verleumdet und überwacht.
Diese politische Bilanz verdeutlicht, dass es nicht nur um einen rechtsradikalen Professor geht. Baberowski und sein gewalttätiges Verhalten werden von den Senatsparteien verteidigt, weil sie selbst eine extrem rechte Agenda verfolgen.
Das macht den Kampf der IYSSE an der Humboldt-Universität umso bedeutsamer. Es geht darum zu verhindern, dass die Hochschulen in Zentren rechter und militaristischer Ideologie verwandelt werden, die den Weg für den Rechtsruck von oben bereiten. Wir rufen alle Kommilitonen auf, unsere Arbeit zu unterstützen und noch heute Mitglied der IYSSE zu werden.
Doch der Kampf darf nicht auf die HU oder die Universitäten beschränkt werden. Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiter kann der rechten Politik sämtlicher Bundestagsparteien und des rot-rot-grünen Senats entgegentreten. Die Sozialistische Gleichheitspartei, deren Jugendorganisation die IYSSE ist, tritt zu den Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahlen an, um eine solche Bewegung aufzubauen und mit einer sozialistischen Perspektive zu bewaffnen.