Dies ist der Beitrag von Andrei Ritsky, einem Vertreter der Jungen Garde der Bolschewiki-Leninisten in Russland, zur Online-Veranstaltung vom 10. Dezember „Für eine Massenbewegung von Jugendlichen und Studierenden gegen den Krieg in der Ukraine“, die von den International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) organisiert wurde.
Informationen dazu, wie ihr bei den IYSSE mitmachen könnt, findet ihr unter iysse.de.
Die heutige Antikriegsveranstaltung findet inmitten einer schweren sozioökonomischen Krise des kapitalistischen Weltsystems statt, die die Vergänglichkeit der kapitalistischen Gesellschaft verdeutlicht.
Die Krise offenbart alte Widersprüche, vor allem zwei grundlegende Widersprüche: erstens den Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der kapitalistischen Aneignung; und zweitens der Widerspruch zwischen einer globalisierten Wirtschaft und der Aufteilung der Welt in Nationalstaaten.
Die harmonische Entwicklung der Menschheit und ihrer Produktivkräfte ist im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise unmöglich. Der irrationale Charakter des Systems macht seinen Sturz notwendig.
Die gegenwärtige Krise ist nicht nur ein Erbe der Krisen des 20. Jahrhunderts, die zwei Weltkriege und andere soziale Katastrophen verursacht haben, sondern birgt auch die Gefahr eines neuen Weltkriegs.
Der Haupttreiber eines künftigen Weltkriegs ist der US-Imperialismus, der das bürgerliche Putin-Regime zu einem reaktionären Einmarsch in die Ukraine provozierte.
Der Ukrainekrieg, der mit Putins Einmarsch am 24. Februar 2022 begann, ist nur ein Zwischenstadium in der Eskalation eines Weltkriegs, der alle Länder weltweit betreffen wird.
Die Krise des globalen Finanzkapitals, besonders des amerikanischen und europäischen, treibt sie in einen Krieg um die Neuaufteilung der Welt, um das kapitalistische Gleichgewicht wiederherzustellen und damit die kapitalistische Ordnung zu erhalten.
Ganz gleich, wie sehr das kapitalistische Putin-Regime versucht, mit den Gefühlen der russischen Bevölkerung über den Zweiten Weltkrieg, der in Russland als der Große Vaterländische Krieg bezeichnet wird, zu spielen, kann es die offensichtlichen Widersprüche zwischen dem Klassencharakter der Sowjetunion und der Russischen Föderation nicht für immer verschleiern.
Die Sowjetunion war das Ergebnis eines der größten Ereignisse der Geschichte, die Oktoberrevolution von 1917, aus der sie als erster Arbeiterstaat hervorging.
Die historischen Umstände führten dazu, dass das erste Land, in dem das Proletariat die Macht übernahm, das rückständige Russland war, wo hauptsächlich ungebildete Bauern lebten.
Doch die gleichen Gründe, die das russische Proletariat zwangen, die Macht vor dem Proletariat der fortgeschrittenen Länder zu übernehmen, trugen auch zur nationalen Reaktion der stalinistischen Bürokratie auf das internationale Programm des Oktobers bei, für das Lenin, Trotzki und die Bolschewiki gekämpft hatten.
Dies führte zur Entartung der Sowjetunion und zum Entstehen einer privilegierten Bürokratie, die den internationalen Interessen der Oktoberrevolution feindlich gegenüberstand.
Die widersprüchliche Übergangslage der Sowjetunion brachte Trotzki folgendermaßen zum Ausdruck: Entweder frisst der Bürokrat den Arbeiterstaat oder der Arbeiter stürzt den Bürokraten.
Die weitere Entwicklung der Sowjetunion bestätigte Trotzkis Formulierung im Negativem. Mitte der 1980er Jahre beschloss die Bürokratie die „Perestroika” und ebnete den Weg für die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion. Daraus entstanden 15 Staaten, darunter Russland und die Ukraine.
Die neu entstandene russische Bourgeoisie glaubte, dass sie sich in das Weltfinanzsystem integrieren und gleichzeitig ein freundschaftliches Verhältnis zu den imperialistischen Raubtieren pflegen könnte.
Diese Naivität wurde durch die Politik des westlichen Imperialismus erschüttert, der den Krieg eskaliert, getrieben von einer inneren Krise, die Ausdruck der fundamentalen internationalen Krise des Kapitalismus ist.
Das Putin-Regime hat keine Möglichkeit, diese Eskalation zu stoppen. Es geht ihm nur um den Erhalt der privilegierten Stellung der russischen Bourgeoisie in dem rohstoffreichen Land.
Die Ideen von einer „multipolaren Welt“ sind utopische Träume einer Klasse, die am Ende ihrer Geschichte steht. Die russische Bourgeoisie ist zu spät in das Stadium des sterbenden Kapitalismus eingetreten.
Was die ukrainische Oligarchie betrifft, so ist ihre demagogische Rhetorik über den Kampf für „Demokratie“ und einen „europäischen Weg“ ein übler Betrug an den Arbeitern.
Die Politik des ukrainischen Kapitals, das unter dem Stiefel des westlichen Imperialismus steht, ist nicht in der Lage, die wichtigen Probleme der ukrainischen Gesellschaft zu lösen.
Die ukrainischen Massen sind mit einer schweren historischen Last konfrontiert. Sie sind zwischen zwei Feuern gefangen: dem westlichen Imperialismus und Putins nationalem Chauvinismus.
Wir haben aufrichtiges Mitgefühl für die Lage der ukrainischen und russischen Arbeitermassen und rufen sie auf, die Ereignisse in ihren Ländern zu durchdenken.
Das Verständnis der sozioökonomischen und historischen Gründe für die Situation wird der russischen und ukrainischen Arbeiterklasse helfen, die volle Bedeutung des Kampfs für den Internationalismus zu begreifen, der alle nationalen, religiösen und ethnischen Grenzen überwindet.
Die falsche Politik von Stalin und seinen Anhängern, die mit der Nationalitätenpolitik Lenins brach, verwandelte die Sowjetunion in ein Pulverfass der interethnischen Konflikte, die nach der Restauration des Kapitalismus in der UdSSR sofort wieder aufflammten.
Der Bruderkrieg zwischen Russland und der Ukraine ist eine der gravierendsten Folgen dieser falschen Politik. Dafür zahlt die Arbeiterklasse der Ukraine und Russlands nicht nur mit der Verschlechterung ihrer Lage, sondern mit ihrem Leben.
Trotz ihrer internen Konflikte ist sich die Weltbourgeoisie in einer Grundfrage einig: Eine sozialistische Weltrevolution darf auf keinen Fall zugelassen werden.
Sie würde lieber die Welt in Blut ertränken, als die Abschaffung des Kapitalismus und den Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung zu ermöglichen, die die Menschheit ohne sinnlose menschliche Opfer voranbringt.
Sowohl in Russland als auch der Ukraine verbreiten die herrschenden Regime eine national-chauvinistische Rhetorik und versuchen, ihre eigenen Regime durch „nationale Einheit“ zu stabilisieren. Das zeigt sich in der Zunahme rechtsextremer Tendenzen wie dem Asow-Bataillon in der Ukraine und der Wagner-Söldnergruppe in Russland.
Doch es gibt ein Aber: Die internationale Arbeiterklasse nimmt in der Weltwirtschaft einen besonderen Platz ein. Auf ihr basieren alle internationalen Wirtschaftsbeziehungen und die Produktion des gesamten Reichtums der Gesellschaft.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die Stellung der Arbeiterklasse verleiht ihr eine weltgeschichtliche Bedeutung bei der Lösung der Widersprüche des Kapitalismus, die einen internationalen Charakter haben.
Der Internationalismus der Arbeiterklasse kann der Menschheit helfen, auf harmonische Weise alle nationalistischen Konflikte zu überwinden, auch den vom Imperialismus entfesselten Konflikt zwischen der Ukraine und Russland.
Doch objektive Faktoren allein reichen nicht aus, um die Krise zu überwinden. Es gibt auch den subjektiven Faktor. Die Arbeiterklasse braucht ihre eigene Organisation, eine Partei, die in der Lage ist, ihre Interessen international zu verteidigen und zu fördern.
Besonders aktuell ist dabei der Kampf von Lenin und Trotzki für die Dritte Internationale gegen den Verrat der Sozialdemokratie und Trotzkis darauffolgenden Kampf für die Vierte Internationale gegen die Dritte Internationale nach deren stalinistischer Degeneration.
Trotzki und Lenin kämpften beide unablässig für den Aufbau einer unabhängigen proletarischen Organisation, die auf internationaler Ebene vereint ist. Sie erkannten und verstanden die Frage der revolutionären Führung sehr genau.
Nicht umsonst gelang den Bolschewiki die Oktoberrevolution, die die Bedeutung der revolutionären Führung in jenen Tagen zeigte, in denen sich das Schicksal der Revolution auf Jahre hinaus entscheiden kann.
Die Krisen des 20. Jahrhunderts wurden nicht überwunden, weil die Weltrevolution aufgrund mehrerer Faktoren nicht verwirklicht werden konnte. Was die Revolution nicht geschafft hat, versuchte die Konterrevolution, vertreten durch die Bourgeoisie und die reformistischen und stalinistischen Parteien.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es ihnen, ein gewisses Gleichgewicht wiederherzustellen. Doch das war nur vorübergehend und hat die Probleme nur auf eine neue Ebene gehoben, ohne auch nur eines zu lösen.
Die Realität hat die Reformisten aller Couleur eingeholt. Alle alten Arbeiterorganisationen haben ihren konterrevolutionären Charakter gezeigt. Die meisten Arbeiter und Jugendlichen ignorieren diese Organisationen nicht nur, sondern hassen sie.
Die Einbeziehung der breiten Masse der Arbeiter und Jugendlichen in die Politik ist nur durch die Ablehnung aller alten reaktionären Organisationen möglich. Die Massen brauchen eine neue revolutionäre Organisation, die sich auf die bolschewistischen Prinzipien von 1917 stützt.
Wir nennen uns nicht ohne Grund Bolschewiki-Leninisten. Wir betonen damit unsere historische und prinzipielle Verbindung zum Kampf der Linken Opposition gegen den Stalinismus und für die Bewahrung der Traditionen des Bolschewismus. Die Bolschewiki-Leninisten waren die wirkliche sozialistische Alternative zu dem reaktionären stalinistischen Kurs des „Sozialismus in einem Land“.
Sie führten ihren Kampf gegen die Revision des Marxismus durch die stalinistische Thermidor-Bürokratie, deren Kurs die Restauration des Kapitalismus in der UdSSR zur Folge hatte. Aus den internationalen Reihen der Bolschewiki-Leninisten wurde schließlich die Vierte Internationale gebildet.
Die Junge Garde der Bolschewiki-Leninisten stellt sich die ernste historische Aufgabe, eine Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale aufzubauen, als unabhängige trotzkistische Partei in der ehemaligen Sowjetunion.
Die Entstehung unserer Organisation und die Aufnahme von Beziehungen zum Internationalen Komitee sind ein sehr wichtiges Ereignis. Sie zeigen die Wiederbelebung der bolschewistischen Prinzipien des Internationalismus auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale ruft nicht nur zu einer Massenbewegung der Jugend gegen den Krieg auf, sondern will sie weltweit führen und eng mit dem Kampf der Arbeiterklasse verbinden, als einzigen Weg, um die Krise des Kapitalismus zu überwinden.
„Kampf gegen den Krieg bedeutet heute Kampf um die Vierte Internationale!“ (Leo Trotzki, „Der Krieg und die Vierte Internationale“)