Gegen die Verhaftung von Boris Kagarlitzki!

Am Mittwoch, den 26. Juli, wurde der Chefredakteur der Website Rabkor.ru, Boris Kagarlitzki, eine bekannte Figur der russischen und internationalen Pseudolinken, unter dem Vorwurf der „Rechtfertigung von Terrorismus“ verhaftet. Er befindet sich jetzt in Syktywkar in der Republik Komi; ihm drohen bis zu sieben Jahre Haft.

Die Grundlage für die Anklage ist ein nicht identifiziertes Video, in dem sich Kagarlitzki zu einem Angriff der Ukraine auf die Kertsch-Brücke äußert, welche die Halbinsel Krim mit dem russischen Festland verbindet.

Der russische Geheimdienst FSB durchsuchte auch die Wohnungen von drei Mitarbeitern Kagarlitzkis bei Rabkor.ru.

Die Junge Garde der Bolschewiki-Leninisten (YGBL) und die WSWS verurteilen seine Verhaftung vom prinzipiellen Standpunkt der Verteidigung demokratischer Rechte und fordern seine Freilassung. Doch das bedeutet nicht, dass wir die reaktionäre Politik von Kagarlitzki unterstützen. Wir lehnen außerdem seine Einstufung als „linker“ Kritiker des Putin-Regimes oder des Kriegs in der Ukraine ab.

Publikationen wie das liberale Magazin Nation oder Jacobin, das Sprachrohr der Democratic Socialists of America – einer Fraktion innerhalb der Demokratischen Partei – haben zu seiner Freilassung aufgerufen und beschreiben Kagarlitzki als „Marxisten“ und „Sozialisten“ sowie als linken Gegner des Ukrainekriegs.

In Wirklichkeit hat Kagarlitzki nichts mit linker Politik, geschweige denn mit Sozialismus oder Marxismus zu tun.

Als nach dem US-unterstützten Putsch in Kiew 2014 der Bürgerkrieg begann, unterstützte er pro-russische Separatisten in der Ostukraine. Seit Beginn des Nato-Stellvertreterkriegs gegen Russland im Februar 2022 hat er sich auf die Seite der von der Nato unterstützten Kräfte innerhalb der russischen Oligarchie gestellt.

Die Hintergründe von Kagarlitzkis Verhaftung sind undurchsichtig, und alles an seiner politischen Vergangenheit deutet darauf hin, dass sie mit den erbitterten Fraktionskämpfen innerhalb der russischen herrschenden Klasse und ihres Staatsapparats zusammenhängt. Vor etwas mehr als einem Monat hatte der Söldnerführer und langjährige Putin-Verbündete Jewgeni Prigoschin einen gescheiterten Putschversuch unternommen, bei dem er sich ausdrücklich an die Nato-freundlichen Kräfte gewandt hat. Seither hat der Kreml begonnen, die russische Armeeführung von Prigoschins Anhängern zu säubern, während Prigoschin selbst und seinen Wagner-Söldnern freies Geleit gegeben wurde.

Am 21. Juli wurde Igor Strelkow verhaftet, ein rechter Kritiker von Putins Militärpolitik und führender Separatistenführer aus der Ostukraine. Ihm wird aufgrund der Anschuldigungen eines ehemaligen Wagner-Mitarbeiters vorgeworfen, im Internet Extremismus geschürt zu haben, wofür ihm bis zu fünf Jahre Haft drohen. Er gehört zu dem Teil der ultranationalistischen „Pro-Kriegs-Opposition“, die Putins Vorgehen für unzureichend hält, um sich dem Nato-Imperialismus entgegenzustellen. Diese Fraktion der herrschenden Klasse und des Staatsapparats erklärt ausdrücklich, dass sie bereit ist, Atomwaffen einzusetzen und eine Generalmobilmachung in Russland auszurufen.

Kagarlitzki hingegen hat sich in den letzten 20 Jahren als „legaler Kritiker“ von Putins Regime etabliert und unterhält Beziehungen zu fast allen nationalistischen, stalinistischen und pseudolinken Tendenzen, die in Russland aktiv sind. Er wird sowohl mit pro-westlichen pseudolinken Kreisen als auch mit der weitgehend Putin-nahen stalinistischen Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) in Verbindung gebracht.

Seine politische Biografie begann in den späten 1970er Jahren in der Sowjetunion, als er sich der „linken“ Dissidentenbewegung anschloss. Er wurde von den antimarxistischen Strömungen der „Neuen Linken“ beeinflusst, die damals im Westen in Mode waren. Kagarlitzki und seine Anhänger einigten sich auf eine gemeinsame Plattform für „Reformen von oben und Druck von unten“ und vertraten eine Mischung aus Eurokommunismus (einer Variante des Stalinismus), Sozialdemokratie und der kleinbürgerlich-radikalen „Neuen Linken“.

Auf der Grundlage dieser Orientierung wurde Kagarlitzki in den 1980er Jahren zum bekanntesten russischen Vertreter der Pablisten, einer revisionistischen kleinbürgerlichen Tendenz, die 1953 von der Vierten Internationale gespalten und sich an die stalinistische Bürokratie und bürgerlich-nationalistische Kräfte angepasst hat. Wie die Pablisten unterstützte auch Kagarlitzki die Wiedereinführung des Kapitalismus in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschows Politik der „Perestroika“, die er als „Selbstreform“ der Sowjetbürokratie und Schritt zum Sozialismus bezeichnete.

Kagarlitzkis Ansichten basierten immer auf Feindseligkeit gegenüber dem Marxismus und dem Kampf Leo Trotzkis gegen den Stalinismus zur Verteidigung des Programms der sozialistischen Weltrevolution. Selbst in den 1980er Jahren, als immer mehr Dokumente veröffentlicht wurden, die das schreckliche Ausmaß des Großen Terrors der 1930er Jahre zeigten, als Generationen von Marxisten ermordet wurden, zeigte er sich völlig gleichgültig gegenüber den schlimmsten Verbrechen des Stalinismus.

Der Vorsitzende der World Socialist Web Site und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, David North, schrieb 1990 in einem Brief an einen sowjetischen Jugendlichen über Kagarlitzkis damals bekanntestes Werk Dialektik des Wandels, dessen englische Ausgabe von dem Pablisten-nahen Verlag Verso veröffentlicht wurde:

Kagarlitzkis Dialektik des Wandels quillt über von vulgären Allgemeinplätzen, wie man sie immer in den Schriften kleinbürgerlicher Politiker findet, die weder eine historische Perspektive noch feste programmatische Prinzipien haben. Wie alle Opportunisten behauptet Kagarlitzki, er sei „frei von ideologischen Vorurteilen“ – was nur bedeutet, dass er sich über die theoretischen Grundlagen seines eigenen Denkens (nämlich Pragmatismus) nicht bewusst ist.

Ich verurteile Kagarlitzki nicht einfach, weil er kein Trotzkist und Anhänger der Vierten Internationale ist. Es ist aber unmöglich, einen sogenannten „Sozialisten“ in der UdSSR als politisch und intellektuell integer anzuerkennen, der Trotzki einfach mit ein paar Phrasen abtut, ohne das Werk dieser monumentalen historischen Persönlichkeit auch nur zu untersuchen, geschweige denn zu widerlegen. Was Kagarlitzki über Trotzki sagt, besteht aus einer hässlichen Mischung aus Unwissenheit und Unaufrichtigkeit. ...

Es wäre naiv zu glauben, dass Kagarlitzki diese Schriften [Trotzkis] einfach nicht kennt – obwohl in der Politik, genauso wie in der Justiz, die Unwissenheit einen Menschen nicht von der Verantwortung für seine Taten befreit. Kagarlitzki fälscht Trotzki vielmehr deshalb, weil er ein kleinbürgerlicher Reformist und Gegner des Marxismus ist. Und aus diesem Grund bleibt er ideologisch den politischen Grundauffassungen des Stalinismus treu. [Quelle: Vierte Internationale Jg. 18, Nr. 1 (1991), S. 160f.]

Diese Orientierung auf den Stalinismus und die Bürokratie sollte die Grundlage für Kagarlitzkis künftige politische Aktivitäten während der Wiedereinführung des Kapitalismus und dann des Regimes von Jelzin und Putin werden. Wie die WSWS dokumentiert hat, fungierte Kagarlitzki zuerst als Berater eines Teils der Bürokratie und später der Oligarchie und des Staatsapparats.

Während der Perestroika agierten er und seine Partner aus dem Club für Soziale Initiativen (CSI) als Berater der Bürokratie bei der Wiedereinführung des Kapitalismus. Die Aktivitäten des CSI richteten sich hauptsächlich an den „linken Flügel“ der stalinistischen Bürokratie, von dem sie fälschlicherweise behaupteten, er könnte die wahren Interessen der sowjetischen Arbeiterklasse ausdrücken.

Ende der 1980er Jahre begann der CSI, Boris Jelzin zu unterstützen. Jelzin vertrat damals den Flügel der Bürokratie, der am aggressivsten für die kapitalistische Restauration eintrat. Sie bezeichneten ihn als „Held des Volkes“ und kritisierten lediglich die inkonsequente Präsentation des „Programms“ und die schlechte Organisation der Kader. Er beharrte ausdrücklich darauf, dass die „radikalen Reformen“ nicht nur den Bereich der Verteilung betreffen sollten, „sondern auch die Bereiche Produktion, Verwaltung und Eigentum“. Mit anderen Worten, er setzte sich für die vollständige Wiedereinführung des Kapitalismus ein.

Boris Kagarlitzki (dritter von links) bei einem Runden Tisch des Gorbatschow-Fonds mit führenden russischen Experten und Politikern. Zweiter von rechts ist Michail Gorbatschow, der 1985 mit der Perestroika die Wiedereinführung des Kapitalismus in die Wege leitete [Photo: Gorbachev fund ]

In den 1990er Jahren war Kagarlitzki als Experte für die regierungsnahe „Föderation unabhängiger Gewerkschaften in Russland“ (FNPR) tätig, die direkt aus dem stalinistischen Gewerkschaftsapparat hervorgegangen ist. Danach arbeitete er von 1994 bis 2002 am Institut für vergleichende Politikwissenschaft und Probleme der Arbeiterbewegung der russischen Akademie der Wissenschaften.

Seine Beziehungen zu offenen Stalinisten und Nationalisten sind besonders entlarvend. Seine Publikation Rabkor.ru wurde mehr als einmal zur Plattform von Stalinisten und „linken“ Nationalisten.

Der berüchtigtste Fall war die Unterstützung von Rabkor.ru für die staatliche Verfolgung des Historikers Juri Dmitrijew. Dmitrijew leistete Pionierarbeit bei der Entdeckung eines der größten stalinistischen Erschießungsplätze im Wald Sandarmoch. Im Großem Terror unter Stalin wurden dort Tausende von Arbeitern aus Leningrad (St. Petersburg) und viele alte Bolschewiki und Angehörige der Linken Opposition hingerichtet. Dmitrijew wurde deshalb unter falschen Vorwürfen zu einer Haftstrafe verurteilt, in einem offensichtlichen Versuch des russischen Staats, alle zu unterdrücken und einzuschüchtern, die die Wahrheit über die Verbrechen des Stalinismus aufdecken wollen. Doch Rabkor.ru veröffentlichte einen ausführlichen stalinistischen Hetzartikel, der die Verfolgung Dmitrijews durch den Kreml unterstützte und eine neostalinistische Rechtfertigung für den Terror lieferte.

Kagarlitzkis gesamte politische Vergangenheit macht ihn zu einem politischen Feind der Arbeiterklasse und zu einem Komplizen des Stalinismus und der russischen Oligarchie.

Selbst nach seiner Verhaftung betrachten Teile des Putin-Regimes Kagarlitzki noch als nützlich. Der Politikwissenschaftler Sergei Markow von der Regierungspartei Einiges Russland erklärte in einem aufschlussreichen Kommentar, Kagarlitzki sollte nicht verhaftet werden, sondern als Person mit Beziehungen zu Pseudolinken auf der ganzen Welt in den Apparat der Regierung aufgenommen werden.

Der russische Präsident Wladimir Putin erklärte öffentlich, er kenne Kagarlitzkis Namen nicht, doch: „Wir haben das Jahr 2023, und die Russische Föderation befindet sich in einem bewaffneten Konflikt mit einem Nachbarn. Ich glaube, es sollte eine gewisse Haltung gegenüber Leuten geben, die uns innerhalb des Landes Schaden zufügen.“

Putin fügte hinzu, er werde die Frage Kagarlitzkis überprüfen. Das bedeutet, die Lage des Verhafteten könnte sich auch dramatisch ändern. Putin hat bereits bei der Söldnerfirma Wagner und Prigoschins Meuterei einen Zickzackkurs eingeschlagen und seine Wut in Gnade verwandelt.

Der rechtsextreme Politiker Alexander Dugin, dessen Tochter Daria letzten Sommer ermordet wurde, schrieb einen Artikel für RIA-Novosti mit dem Titel „Russland braucht Zensur und Unterdrückung“.

Darin forderte er die Ausweitung und Konkretisierung von Unterdrückungsmaßnahmen gegen Feinde von Putins Regime, vor allem gegen Vertreter der von der Nato unterstützten „liberalen“ Fraktion der Oligarchie. Dies müsse auf der Grundlage einer neuen Art von russischem Nationalchauvinismus geschehen, der von einer neuen „authentischen, souveränen Weltanschauung“ repräsentiert werde. Er forderte außerdem, auf Regimekritiker wie Kagarlitzki zu achten, aber behutsamer vorzugehen.

Mit Kagarlitzki attackiert der Kreml eine Person, die seit drei Jahrzehnten vollständig in das russische kapitalistische Establishment integriert ist. Doch das Hauptziel des Angriffs auf demokratische Rechte sind die russische Arbeiterklasse und echte sozialistische Kriegsgegner. Die Verteidigung von Kagarlitzkis demokratischen Rechten und die Forderung nach seiner Freilassung sind deshalb eine Frage der Prinzipien.

Vom Standpunkt der Arbeiterklasse ist die Verteidigung demokratischer Rechte ein integraler Bestandteil des Kampfs gegen Krieg und Kapitalismus. Doch um diesen Kampf zu führen, müssen Arbeiter und Jugendliche die opportunistische und neostalinistische Politik zurückweisen, die Kagarlitzki repräsentiert. Die Arbeiterklasse muss ihre eigene politische Linie entwickeln und sowohl gegen russischen Nationalismus als auch westlichen Imperialismus kämpfen. Dies erfordert den Aufbau einer Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in Russland.

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