Julian Assange: Britisches Gericht billigt Auslieferung. Das letzte Wort hat Innenministerin Patel

Zum ersten Mal hat ein Gericht ausdrücklich die Auslieferung Julian Assanges an die USA beschlossen. Der Fall geht jetzt an die britische Innenministerin Priti Patel, die in der Entscheidung, ob der WikiLeaks-Gründer an die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird, das letzte Wort haben wird.

Der WikiLeaks-Gründer Julian Assange in einem Gefängnistransporter vor dem Westminster Magistrates Court in London, 20.Dezember 2019 (AP Photo/Frank Augstein)

Assange wird wegen seiner Arbeit als unbestechlicher Journalist verfolgt; er hat Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und diplomatische Intrigen der USA und ihrer Verbündeten aufgedeckt. In den USA droht ihm ein Verfahren nach dem Espionage Act und eine lebenslange Haftstrafe.

Am Mittwochmorgen, den 20. April, fand vor dem Westminster Magistrates’ Court eine kurze Anhörung statt. Dort erklärte der leitende Richter Paul Goldspring: „Ich bin verpflichtet, Ihren Fall an die Außenministerin weiterzuleiten, die darüber entscheiden wird, ob Sie ausgeliefert werden sollen oder nicht.“

Der High Court hatte Goldspring angewiesen, diese Entscheidung zu treffen, nachdem er im vergangenen Dezember einer Berufung der USA gegen eine ursprüngliche Entscheidung stattgegeben hatte. Die ursprüngliche Gerichtsentscheidung war mit der ausschließlichen Begründung gegen eine Auslieferung getroffen worden, dass angesichts von Assanges psychischem Zustand und seiner Suizidgefahr eine Auslieferung repressiv wäre.

Der High Court dagegen war der Ansicht, dass die Zusicherungen der USA bezüglich Assanges dortiger Behandlung ausreichten, um ein solches Risiko auszuschließen. Assanges Anwälte hatten solche „Zusicherungen“ als wertlos entlarvt. Auf dieser Grundlage hatte der High Court jedoch das niedrigere Magistratsgericht angewiesen, seine Entscheidung zu revidieren.

Assanges Anwälte hatten versucht, diese Entscheidung vor dem Supreme Court, dem obersten Gerichtshof Großbritanniens, anzufechten. Sie wurden jedoch abgewiesen, obwohl der High Court bescheinigt hatte, dass sie eine „Rechtsfrage von öffentlicher Bedeutung“ aufgeworfen hatten.

Nach dem Auslieferungsgesetz von 2003, das das Verfahren regelt, hat Assange nun vier Wochen Zeit, bis zum 18. Mai, um bei der Innenministerin Priti Patel vorstellig zu werden, ehe sie ihre Entscheidung bekanntgeben wird. In dieser Zeit wird er weiterhin im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh einsitzen, wo er nun schon seit mehr als drei Jahren inhaftiert ist.

Dabei steht Patels Entscheidung schon von vorneherein fest. Sie ist eine Innenministerin, die die autoritäre Agenda der Regierung mit gangsterhafter Haltung und einer wahrhaft sadistischen Befriedigung umsetzt. Sie wird nichts lieber tun, als Assange an die USA auszuliefern. Patel ist eine prominente Vertreterin des Brexit-Kabinetts, dessen Außenpolitik auf den Interessen des britischen Imperialismus und einer sklavischen Loyalität zu Washington beruht. Ihr Chef, Premierminister Boris Johnson, gratulierte in seiner Eigenschaft als damaliger Außenminister der Polizei, als sie Assange im April 2019 aus der ecuadorianischen Botschaft gezerrt hatte.

Unterstützer des Wikileaks-Gründers Julian Assange vor dem Westminster Magistrates Court in London, 20. April 2022 (AP Photo/Alastair Grant)

Assanges Rechtsanwälte haben eine umfangreiche Einspruchschrift gegen die Auslieferung vorbereitet. Aber sie werden, wie Goldspring am Mittwoch bestätigte, „nicht angehört werden, bevor die Innenministerin nicht ihre Entscheidung gemäß dem Gesetz getroffen hat“. Die wichtigsten Punkte in dieser Schrift hat die World Socialist Web Site in einem früheren Artikel wie folgt zusammengefasst:

Die Anwälte argumentieren, dass Assanges Auslieferung jedes ordnungsgemäße Verfahren mit Füßen treten würde, denn sie wird mit einer politischen Straftat begründet, die schon allein durch den Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Großbritannien von vorneherein ausgeschlossen sein müsste (…) Das Verfahren verstößt gegen Artikel 3 (unmenschliche und erniedrigende Behandlung), Artikel 5 (ungerechtfertigte Inhaftierung), Artikel 6 (Verweigerung eines fairen Verfahrens), Artikel 7 (rückwirkende Gerechtigkeit) und Artikel 10 (Recht auf Meinungsfreiheit) der Europäischen Menschenrechtskonvention. Außerdem beruht die Auslieferung auf der Falschdarstellung von Tatsachen und wird aus geheimen politischen Motiven heraus angestrebt.

Es ist keineswegs sicher, dass das Oberste Gericht diese Berufungsschrift zur Kenntnis nehmen wird. Das bisherige Vorgehen dieses Gerichts lässt dies sehr fraglich erscheinen. So könnte Assange schon in etwas mehr als einem Monat in einem Flugzeug auf dem Weg in die USA sitzen.

Assanges Ehefrau Stella Moris, die er letzten Monat im Belmarsh-Gefängnis geheiratet hat, sagte vor dem Gericht: „Das war zwar heute nur eine Formalität. Aber dennoch bin ich ganz krank bei alledem, was hier passiert. Ein Richter unterschreibt eine Anordnung, Julian in die Vereinigten Staaten zu schicken. Das Vereinigte Königreich ist keineswegs verpflichtet, Julian Assange an die Vereinigten Staaten auszuliefern. Im Gegenteil verlangen die internationalen Verpflichtungen, dass es diese Auslieferung sofort einstellt.“

WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson sagte: „Vor 16 Monaten hat dieses Gericht entschieden, dass Assanges Auslieferung ein Risiko für sein Leben darstelle und einem Todesurteil gleichkomme. Jetzt hat dasselbe Gericht auf Anweisung beschlossen, dieses Todesurteil zu verhängen.“

Diese klare Bedrohung von Assanges Leben erhöht noch einmal die Dringlichkeit, die Frage zu prüfen, welche Art von Kampagne notwendig ist, um ihn zu befreien.

Vor dem Gericht war auch der ehemalige Vorsitzende der Labour Party, Jeremy Corbyn, zugegen. Er sagte der Menge, er hoffe, Patel werde „über die Bedeutung ihres Amts nachdenken, über die Bedeutung der Entscheidung, die sie zu treffen hat (…) Sie muss erwägen: Was ist eine Demokratie denn anderes, als die Fähigkeit von Journalisten, ihre Arbeit zu tun? Ist es nicht gerade ihre Aufgabe, den Politikern und Entscheidungsträgern die wichtigen Fragen zu stellen? Was ist eine Demokratie anderes, als dass sie die Meinungsfreiheit schützt, das Recht auf Information, das Versammlungsrecht, das Recht, ein Aktivist zu sein?“

Ein solcher Appell wird auf taube Ohren stoßen. Patels Ansichten über demokratische Rechte sind kein Geheimnis; sie sind für alle offen sichtbar in dem bösartig reaktionären Gesetzentwurf über Staatsangehörigkeit und Grenzen, und in dem Gesetzentwurf über Polizei, Verbrechen, Strafverfolgung und Gerichte. Beide Entwürfe werden derzeit unter ihrer Leitung im Parlament verhandelt. Zurzeit verantwortet sie den Plan, Asylbewerber während ihres Verfahrens nach Ruanda zu schicken.

Wer Assange wirklich unterstützen will, muss Corbyns Versuche, die öffentliche Meinung einzulullen, entschieden zurückweisen. Es ist höchste Zeit, in der internationalen Arbeiterklasse eine Massenbewegung aufzubauen; nur sie kann seine Freilassung erzwingen.

Unabhängig davon, ob der Berufung des WikiLeaks-Gründers noch stattgegeben wird, oder ob sich der Fall in die Vereinigten Staaten verlagert, wird der grundlose und reaktionäre Charakter der Anschuldigungen der amerikanischen Regierung vor Gericht entlarvt werden – vor dem High Court im Vereinigten Königreich oder vor der Grand Jury in den USA.

Der Kampf für Assanges Freiheit bedeutet, nicht nur mit der Tory-Regierung und der Biden-Administration politisch abzurechnen, sondern auch mit all jenen, die zu seiner Isolation beigetragen haben. In Großbritannien sind das die Labour Party, die Gewerkschaften und das breite Milieu der Pseudolinken, sowie Zeitungen wie der Guardian, die sich an der Verleumdungskampagne gegen Assange beteiligt haben. Der Fall muss erneut unter Millionen Arbeitern und Jugendlichen auf der ganzen Welt bekannt gemacht werden. Sie werden in Assange einen Helden sehen, denn er hat sich mutig gegen die Kriegsverbrechen der USA und ihrer Verbündeten gestellt.

Unter Bedingungen, unter denen die Nato-Mächte ihren Stellvertreterkrieg mit Russland in der Ukraine eskalieren und mit einem atomar geführten dritten Weltkrieg drohen, während Milliarden Menschen in schwere wirtschaftliche Not und Hunger stürzen, ist Assanges Widerstand gegen den Krieg notwendiger denn je. Sein Engagement für die Wahrheit und gegen einen staatlich vereinnahmten Journalismus ist beispielhaft. Deshalb ist die Verteidigung des WikiLeaks-Gründers eine wichtige Front im Kampf gegen Zensur und Kriegspropaganda.

Die World Socialist Web Site und die Sozialistischen Gleichheitsparteien verpflichten sich, ihre Anstrengungen in dieser Kampagne zu verdoppeln, die sie als integraler Bestandteil ihres Kampfs führen, eine sozialistische Antikriegsbewegung aufzubauen.

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