Vor achtzig Jahren, am 20. August 1940, wurde der Revolutionsführer und Gründer der Vierten Internationale Leo Trotzki von einem Agenten der sowjetischen Geheimpolizei GPU tödlich verwundet. Trotzki, der gemeinsam mit Lenin die Oktoberrevolution 1917 angeführt hatte, lebte im mexikanischen Exil. Er starb 26 Stunden nach dem Mordanschlag, am Abend des 21. August, in einem Krankenhaus in Mexiko-Stadt.
Der Mord an Trotzki war das Ergebnis einer gigantischen politischen Verschwörung des totalitären bürokratischen Regimes unter Stalin, dessen Name für alle Zeiten als Synonym für konterrevolutionären Betrug, Verrat und grenzenlose Verbrechen stehen wird. Die Hinrichtung Trotzkis bildete den Höhepunkt des politischen Genozids unter der Führung des Kremls. Das Ziel des Regimes war die physische Ausrottung der gesamten Generation marxistischer Revolutionäre und fortschrittlicher sozialistischer Arbeiter, die eine bedeutende Rolle in der Vorbereitung und Anführung der bolschewistischen Revolution und dem Aufbau des ersten Arbeiterstaats der Geschichte gespielt hatten. Die drei Moskauer Schauprozesse zwischen 1936 und 1938 – ein Justizkomplett, der die Ermordung fast aller Führer der Oktoberrevolution in einer juristischen Farce legitimieren sollte – waren nur der öffentliche Teil einer Terrorkampagne, die Hunderttausende Menschenleben verschlang und sowohl der intellektuellen und kulturellen Entwicklung der Sowjetunion als auch dem weltweiten Kampf für Sozialismus einen schweren Schlag versetzte.
Ins Exil getrieben und seiner sowjetischen Staatsbürgerschaft beraubt, lebte Trotzki auf einem „Planeten ohne Visum“ und hatte keinen Zugang zu konventionellen Machtmitteln. Nur bewaffnet mit seiner Feder und unterstützt von einem relativ kleinen Kreis verfolgter Genossen auf der ganzen Welt, war Trotzki für die herrschenden Mächte der meist gefürchtete Mann auf Erden. Der Gründer und Führer der Vierten Internationale, der „Partei der unversöhnlichen Opposition, nicht nur in den kapitalistischen Ländern, sondern auch in der UdSSR“, übte einen politischen und intellektuellen Einfluss aus, der von keinem seiner Zeitgenossen übertroffen wurde. Er überragte sie alle. C.L.R. James, der karibische sozialistische Intellektuelle und Historiker, schrieb 1940 in seinem Aufsatz „Trotzkis Platz in der Geschichte“:
In seinen letzten zehn Jahren war er [Trotzki] Exilant, scheinbar machtlos. In eben diesen zehn Jahren erlangte sein Rivale Stalin Macht in Europa wie kaum ein anderer seit Napoleon. Hitler hat die Welt erschüttert und verspricht, sie wie ein Riese zu beherrschen, solange er lebt. Roosevelt ist der mächtigste Präsident, der jemals in Amerika regiert hat – und Amerika ist die mächtigste Nation der Welt. Doch das marxistische Urteil über Trotzki ist ebenso sicher wie Engels’ Urteil über Marx. Vor und während seiner Zeit an der Macht und nach seinem Sturz nahm Trotzki unter all seinen Zeitgenossen den zweiten Platz nach Lenin ein, und nach Lenins Tod war er der größte Kopf unserer Zeit. Dieses Urteil überlassen wir der Geschichte. [1]
Die Größe Trotzkis beruhte nicht allein auf der Genialität, mit der er wie kein anderer die Welt analysieren konnte. Er verkörperte auch den revolutionären Prozess, der die Zukunft bestimmen sollte. Trotzki selbst erklärte auf einer Sitzung der Dewey-Kommission, die im April 1937 einberufen wurde, um die Vorwürfe des Kremls gegen Trotzki zu untersuchen und die zu dem Schluss kam, dass die Moskauer Prozesse ein Komplott sind: „Meine Politik dient nicht dem Zweck diplomatischer Konventionen, sondern der Entwicklung einer internationalen Bewegung der Arbeiterklasse.“ [2]
Trotzki verachtete jede Form der politischen Scharlatanerie, die davon ausging, es gäbe einfache, d.h. nichtrevolutionäre Lösungen für die ungeheuren historischen Probleme, die aus dem Todeskampf des Kapitalismus erwachsen. Revolutionäre Politik erreicht seine Ziele nicht, indem sie Wunder verspricht. Große soziale Fortschritte, betonte Trotzki, lassen sich „ausschließlich durch die Erziehung der Massen durch Agitation [verwirklichen], indem wir den Arbeitern erklären, was sie verteidigen und was sie stürzen sollen“. Diese prinzipielle Herangehensweise an revolutionäre Politik prägte auch Trotzkis Verständnis von Moral. „Es sind nur solche Methoden zulässig“, schrieb er, „die den Interessen der Revolution nicht widersprechen.“ Sein Festhalten an diesem Grundsatz brachte Trotzki, selbst wenn man es nur vom moralischen Standpunkt aus betrachtet, in direkte Opposition zum Stalinismus, dessen Methoden für die soziale Revolution und damit den Fortschritt der Menschheit vernichtende Folgen hatte. [3]
Der vorzeitige Tod Lenins im Januar 1924 mit nur 53 Jahren war eine politische Tragödie. Die Ermordung Trotzkis im Alter von 60 Jahren war eine Katastrophe. Sie beraubte die Arbeiterklasse des letzten Vertreters des Bolschewismus und des größten Strategen der sozialistischen Weltrevolution. Doch die theoretische und politische Arbeit, die Trotzki in seinem letzten Lebensjahr leistete – einem Jahr, das vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beherrscht wurde – war entscheidend dafür, das Überleben der Vierten Internationale angesichts scheinbar unüberwindlicher Schwierigkeiten zu sichern.
Trotzki wurde auf dem Höhepunkt seiner geistigen Kräfte ermordet. Obwohl er spürte, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, gab es keine Anzeichen dafür, dass seine politische Energie abnahm. Selbst während er täglich politische Analysen und polemische Essays verfasste, arbeitete Trotzki intensiv an einer Stalin-Biografie, die – obwohl unvollendet geblieben – mit Recht als literarisches Meisterwerk bezeichnet werden kann.
Trotzkis Schriften in seinem letzten Lebensjahr waren nicht nur ebenso brillant wie die aus früheren Schaffensperioden. Die Bedeutung seiner Analyse der Ereignisse von 1939–40 reichte weit in die Zukunft. Kein Zeitgenosse hatte ein vergleichbares Verständnis davon, in welcher Lage sich die Welt befindet und wohin sie geht.
Das zeigt zum Beispiel ein Interview, das amerikanische Journalisten mit Trotzki am 23. Juli 1939 führten – nur sechs Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Sie wollten unbedingt hören, wie er die Weltlage einschätzt. In ihrem Interesse sprach Trotzki auf Englisch. Er begann damit zu erzählen, dass er einem amerikanischen Gastprofessor versprochen hatte, sein Englisch zu verbessern, wenn die amerikanische Regierung ihm ein Visum für die Vereinigten Staaten geben würde. Trotzki merkte an, dass sie bedauerlicherweise „scheinbar nicht an meinem Englisch interessiert sind“.
Obwohl Trotzki mit seinen Englischkenntnissen nicht zufrieden war, lassen seine Antworten keinen Zweifel daran, dass er die Komplexität der Weltsituation meisterhaft erklären konnte. „Das kapitalistische System befindet sich in einer Sackgasse“, so Trotzki.
Aus meiner Sicht gibt es keinen normalen, legalen, friedlichen Ausweg aus dieser Sackgasse. Ein Ausweg kann nur durch eine gewaltige historische Explosion kommen. Es gibt zwei Arten historischer Explosionen: Kriege und Revolutionen. Ich glaube, wir werden beides haben. Die Programme der gegenwärtigen Regierungen – die guten wie die schlechten, wenn wir davon ausgehen, dass es auch gute Regierungen gibt –, die Programme verschiedener Parteien, die pazifistischen und die reformistischen Programme erscheinen zumindest jemandem wie mir, der sie von außen betrachtet, wie Kinderspiele am steilen Hang eines Vulkans kurz vor dem Ausbruch. Das ist das allgemeine Bild der heutigen Welt. [4]
Trotzki ging dann auf die New Yorker Weltausstellung ein, die damals unter dem Thema „Die Welt von morgen“ lief:
Sie haben eine Weltausstellung geschaffen. Ich kann sie aus demselben Grund, aus dem mein Englisch so schlecht ist, nur von außen beurteilen. Aber nach dem, was ich aus den Zeitungen erfahren habe, ist die Weltausstellung aus Sicht der „Welt von morgen“ eine gewaltige menschliche Errungenschaft. Ich glaube, diese Charakterisierung ist ein wenig einseitig. Nur aus technischer Sicht kann Ihre Weltausstellung den Namen „Welt von morgen“ tragen. Denn wenn Sie die reale Welt von morgen erkennen wollen, müssten wir über der Weltausstellung hundert Militärflugzeuge mit Bomben sehen, einige hundert Bomben, und das Ergebnis wäre die Welt von morgen. Einerseits grandiose menschliche Schaffenskraft, andererseits schreckliche Rückständigkeit im gesellschaftlichen Bereich, der für uns am wichtigsten ist – technisches Genie, und, gestatten Sie mir das Wort, soziale Idiotie: das ist die Welt von heute. [5]
Man müsste kaum ein Wort ändern, um die gegenwärtige „Welt von heute“ zu beschreiben oder die „Welt von morgen“ vorherzusehen, die aus den Krisen dieses Jahrzehnts hervorgehen wird. Wenn auf der ganzen Welt Regierungen an der Macht sind, die grenzenlose Gier mit grenzenloser Dummheit verbinden – unfähig, mit Kompetenz und Menschlichkeit auf Ereignisse zu reagieren – dann drängt sich überall die Frage auf: Wie wird diese Krise gelöst? Wir antworten mit Trotzki: Die Lösung wird in Form einer „gewaltigen historischen Explosion“ kommen. Wie Trotzki 1939 erklärte, gibt es zwei Arten dieser Explosionen: Kriege und Revolutionen. Beide stehen auf der Tagesordnung.
Die Journalisten, die Trotzki im Juli 1939 interviewten, wollten auch wissen, ob er der amerikanischen Regierung Ratschläge für ihre Außenpolitik geben könne. Nicht ohne Humor antwortete Trotzki:
Ich muss sagen, dass ich mich nicht kompetent fühle, der Regierung in Washington Ratschläge zu erteilen, und zwar aus demselben politischen Grund, aus dem die Regierung in Washington es nicht für notwendig hält, mir ein Visum zu geben. Wir befinden uns in einer anderen gesellschaftlichen Position als die Regierung in Washington. Ich könnte einer Regierung, die die gleichen Ziele wie ich verfolgt, Ratschläge geben, aber nicht einer kapitalistischen Regierung. Und die Regierung der Vereinigten Staaten ist meiner Meinung nach trotz des New Deal eine imperialistische und kapitalistische Regierung. Ich kann nur sagen, was eine revolutionäre Regierung tun sollte – eine echte Arbeiterregierung in den Vereinigten Staaten.
Ich glaube, das erste wäre, die sechzig Familien zu enteignen. Das wäre eine sehr gute Maßnahme, nicht nur aus nationaler Sicht, sondern auch aus Sicht der Weltpolitik – es wäre ein gutes Beispiel für die anderen Nationen. [6]
Trotzki erkannte, dass man dieses Ziel nicht in unmittelbarer Zukunft erreichen würde. Die Niederlagen der Arbeiterklasse in Europa und der drohende Krieg würden die Revolution in den Vereinigten Staaten verzögern. Der Eintritt der USA in den kommenden Krieg war nur eine Frage der Zeit. „Wenn der amerikanische Kapitalismus überlebt, und er wird für einige Zeit überleben, werden wir in den Vereinigten Staaten den mächtigsten Imperialismus und Militarismus der Welt haben.“ [7]
Trotzki machte in dem Interview vom Juli 1939 eine weitere Vorhersage. Er entwickelte seine Analyse der sowjetischen Außenpolitik weiter, die er in den vorangegangenen fünf Jahren gemacht hatte. Im Mai war der alte sowjetische Diplomat Maxim Litwinow als Außenminister abgesetzt und von Stalins engstem Komplizen Molotow ersetzt worden. Trotzki erklärte, diese Neubesetzung sei „ein Fingerzeig des Kremls an Hitler, dass wir [Stalin] bereit sind, unsere Politik zu ändern, unser Ziel zu verwirklichen, unser Ziel, das wir Ihnen und Hitler vor einigen Jahren vorgestellt haben. Denn das Ziel Stalins in der internationalen Politik ist eine Einigung mit Hitler.“ [8]
Selbst zu diesem späten Zeitpunkt fanden praktisch alle „Experten“ die Vorstellung, die Sowjetunion könne sich mit Nazi-Deutschland verbünden, absurd. Aber wie so oft in der Geschichte bestätigten die Ereignisse Trotzkis Analyse. Exakt einen Monat nach Trotzkis Interview, am 23. August 1939, wurde in Moskau der Hitler-Stalin-Pakt unterzeichnet. Das letzte Hindernis für Hitlers Kriegspläne hatte Stalin damit beseitigt. Am 1. September 1939 fiel das Nazi-Regime in Polen ein. Zwei Tage später erklärten Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg. 25 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs begann der Zweite Weltkrieg.
Nachdem Trotzki wiederholt die Hinwendung des Kremls zu Hitler vorhergesagt hatte, war er von Stalins Verrat nicht im Geringsten überrascht. Die Sowjetunion, warnte er, würde einen schrecklichen Preis für Stalins Kurzsichtigkeit und Inkompetenz zahlen. Die Zuversicht des Diktators, er habe die Sowjetbürokratie vor den Gefahren eines Kriegs mit Nazi-Deutschland verschont, würde sich als eine weitere katastrophale Fehlkalkulation erweisen.
* * * * *
Der Kriegsausbruch löste eine politische Krise innerhalb der Vierten Internationale aus, die im Mittelpunkt von Trotzkis Arbeit in seinem letzten Lebensjahr stand. Sein Fokus auf diese Krise erwies sich als weitsichtig. Seine Antwort auf die Minderheit in der amerikanischen Socialist Workers Party (SWP), die von James Burnham, Max Shachtman und Martin Abern geführt wurde, war von grundlegender Bedeutung für die Verteidigung der theoretischen Grundlagen des Marxismus und der historischen Fortschritte, die – ungeachtet der Verbrechen der Sowjetbürokratie – in der Oktoberrevolution erreicht wurden. Zugleich nahm Trotzkis Polemik viele schwierige Fragen der revolutionären Strategie, des Programms und der Perspektive vorweg, die sich während und nach dem Zweiten Weltkrieg stellen sollten.
Die Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts, gefolgt von der sowjetischen Invasion Polens Mitte September 1939 und Finnlands (Winterkrieg 1939–40), löste in breiten Kreisen der kleinbürgerlichen radikalen Intellektuellen und Künstler in den Vereinigten Staaten Empörung aus. Viele Vertreter dieses großen und einflussreichen sozialen Milieus hatten sich damit arrangiert und es sogar unterstützt, dass Stalin im Großen Terror die Altbolschewiki ermordete und die Spanische Revolution erdrosselte. Während der Verbrechen in den Jahren 1936 bis 1939 strebte das stalinistische Regime noch ein internationales Bündnis mit den „westlichen Demokratien“ an. Diese Orientierung hatte zur Folge, dass die stalinistischen Parteien in ihren jeweiligen Ländern für eine „Volksfront“ eintraten, d.h. ein Bündnis zwischen den Organisationen der Arbeiterklasse und den kapitalistischen Parteien auf der Grundlage eines kapitalistischen Programms. Mit seiner Übereinkunft mit Deutschland versetzte Stalin dieser besonderen Form der Klassenzusammenarbeit auf äußerst zynische und opportunistische Weise einen schweren Schlag. Die Stimmung des demokratischen Kleinbürgertums wandte sich gegen die Sowjetunion. In dem Maß, wie die demokratischen Intellektuellen den Stalinismus zuvor unkritisch und fälschlicherweise mit dem Sozialismus identifiziert hatten, nahm ihre Kehrtwende gegen die Sowjetunion jetzt einen offen antikommunistischen Charakter an.
Dieser politische Wandel fand in der Entstehung einer oppositionellen Tendenz innerhalb der Socialist Workers Party und anderer Sektionen der Vierten Internationale Ausdruck. Die wichtigsten Führer dieser Gruppe innerhalb der SWP waren Max Shachtman, ein Gründungsmitglied der amerikanischen trotzkistischen Bewegung und neben James P. Cannon der einflussreichste Vertreter der SWP, und James Burnham, Professor für Philosophie an der New York University. Sie vertraten den Standpunkt, dass mit dem Hitler-Stalin-Pakt und dem Einmarsch der Roten Armee in Polen die Definition der Sowjetunion als degenerierter Arbeiterstaat nicht mehr zutreffend sei. Die Sowjetunion, so behaupteten sie, habe sich zu einer neuen Form der Ausbeutergesellschaft entwickelt, wobei die Bürokratie eine neue Art einer herrschenden Klasse repräsentiere, die in der marxistischen Theorie nicht vorgesehen war. Einer der Begriffe, die die Minderheit zur Beschreibung der sowjetischen Gesellschaft verwendete, war „bürokratischer Kollektivismus“. Mit dieser neuen Einschätzung ging einher, dass sie die Verteidigung der Sowjetunion im Fall eines Kriegs mit einem imperialistischen Staat ablehnten, selbst wenn der Gegner Nazideutschland wäre.
Aus der Sicht Trotzkis war die Forderung von Shachtman und Burnham, dass die Vierte Internationale ihre Definition der Sowjetunion als degenerierter Arbeiterstaat zurücknehmen solle, nicht nur eine Frage der Terminologie. Was wären, fragte Trotzki, die praktischen politischen Konsequenzen, wenn man die Sowjetunion nicht länger als Arbeiterstaat definieren würde?
Gehen wir einmal davon aus, die Bürokratie sei eine neue „Klasse“ und dass das gegenwärtige Regime in der UdSSR ein besonderes System der Klassenausbeutung. Welche neuen politischen Schlussfolgerungen ergeben sich für uns aus diesen Definitionen? Die Vierte Internationale hat schon vor langer Zeit erkannt, dass es notwendig ist, die Bürokratie durch einen revolutionären Aufstand der Arbeiter zu stürzen. Nichts anderes wird oder kann von denjenigen vorgeschlagen werden, die die Bürokratie zu einer ausbeutenden „Klasse“ erklären. [9]
Doch die veränderte Definition der Sowjetunion, die die Minderheit in der SWP einforderte, hatte Implikationen, die weit über die bloße Klärung der Begrifflichkeiten hinausgingen. Die bisherige Definition der UdSSR als degenerierter Arbeiterstaat war mit der Forderung einer politischen im Gegensatz zu einer sozialen Revolution verbunden. Dieser Unterscheidung lag die Überzeugung zugrunde, dass der Sturz der stalinistischen Bürokratie nicht mit einer Veränderung der Eigentumsverhältnisse, die durch die Oktoberrevolution begründet wurden, verbunden sein würde. Die Arbeiterklasse würde, nachdem sie das bürokratische Regime beseitigt und die Sowjetdemokratie wiederhergestellt hätte, das Wirtschaftssystem erhalten, das auf der Verstaatlichung des Eigentums basierte, die durch den Sturz der russischen Bourgeoisie und die Enteignung des kapitalistischen Eigentums erreicht wurde. Diese fundamentale Errungenschaft der Oktoberrevolution, die die entscheidende Basis der anschließenden wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Sowjetunion bildete, durfte nicht preisgegeben werden.
Die Position der Minderheit ging von der Annahme aus, dass von der Oktoberrevolution nichts übriggeblieben war, was sich zu retten lohnte. Daher gab es keinen Grund, an der Verteidigung der Sowjetunion im Programm der Vierten Internationale festzuhalten.
Trotzki brachte noch eine weitere entscheidende Frage auf. Wenn denn die Bürokratie eine neue Klasse repräsentierte, die in der UdSSR eine neue Form einer auf Ausbeutung beruhenden Gesellschaft errichtet habe, worin bestanden dann die neuen Formen der Eigentumsverhältnisse, die eigens mit dieser neuen Klasse identifiziert werden konnten? Welche neue Stufe der ökonomischen Entwicklung – nach Kapitalismus und Sozialismus – brachte der „bürokratische Kollektivismus“ als historisch begründeter, sogar notwendiger Prozess zum Ausdruck? Der Standpunkt der Vierten Internationale war, dass die Bürokratie die politische Macht an sich gerissen hatte und diese benutzte, um sich Privilegien anzueignen, die auf der Verstaatlichung des Eigentums in der Arbeiterrevolution von 1917 beruhten. Die diktatorische Macht, die die Bürokratie unter Stalins Führung ausübte, war ein Produkt der Degeneration des Sowjetstaats unter bestimmten politischen Bedingungen. Dies waren in erster Linie die historische Rückständigkeit der kapitalistischen Wirtschaft Russlands vor 1917, die die Bolschewiki geerbt hatten, sowie die anhaltende politische Isolierung der Sowjetunion, die aus der Niederlage der revolutionären Bewegungen Europas und Asiens nach der bolschewistischen Machteroberung in Russland folgte.
Sollte sich an diesen Bedingungen nichts ändern – das heißt, sollte die Sowjetunion infolge von Niederlagen der Arbeiterklasse und eines langfristigen Überlebens des Kapitalismus in den wichtigsten imperialistischen Ländern weiter isoliert bleiben –, so würde der Arbeiterstaat aufhören zu existieren. Doch das Ergebnis dieses Prozesses, so betonte Trotzki beharrlich, würde die Form der Liquidierung des verstaatlichten Eigentums und der Wiedereinführung kapitalistischer Eigentumsverhältnisse annehmen. Eine mächtige Fraktion von Bürokraten würde ihre politische Macht für den Diebstahl von Staatseigentum ausnutzen und sich in eine neu formierte Kapitalistenklasse verwandeln. Trotzki warnte, dass dieses Ergebnis eine reale Entwicklungsmöglichkeit darstellte, die nur durch die politische Revolution – in Verbindung mit sozialistischen Revolutionen in den fortgeschrittenen kapitalistischen Nationen – abgewendet werden konnte.
Diese sorgfältige Untersuchung der Auseinandersetzung um die angemessene begriffliche Definition der Sowjetunion versetzte Trotzki in die Lage, die weitreichenden historischen und politischen Implikationen der programmatischen Veränderungen zu identifizieren, die von der Opposition in der SWP gefordert wurden:
Die historische Alternative, zu Ende geführt, ist Folgende: Entweder ist das Stalin-Regime ein abscheulicher Rückschlag in dem Prozess der Umwandlung der bürgerlichen Gesellschaft in eine sozialistische, oder das Stalin-Regime ist die erste Etappe einer neuen Ausbeutungsgesellschaft. Wenn sich die zweite Vorhersage als richtig erweist, dann wird natürlich die Bürokratie eine neue Ausbeuterklasse werden. Wie erdrückend auch immer die zweite Perspektive sein mag, wenn sich das Weltproletariat tatsächlich als unfähig erweisen sollte, die Mission zu erfüllen, die ihm der Gang der Entwicklung auferlegt hat, dann würde uns nichts anderes übrig bleiben als anzuerkennen, dass das sozialistische Programm, das sich auf die inneren Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft gründet, sich als Utopie herausgestellt hat. Es liegt auf der Hand, dass ein neues „Minimal“-Programm nötig wäre – um die Interessen der Sklaven in der totalitär bürokratischen Gesellschaft zu verteidigen.
Aber liegen so unwiderlegbare oder auch nur beeindruckende objektive Fakten vor, die uns heute dazu zwingen würden, auf die Perspektive der sozialistischen Revolution aufzugeben? Darin besteht die ganze Frage. [10]
Was hier demnach auf dem Spiel stand, war die historische Legitimität des gesamten sozialistischen Projekts. War Stalins Bündnis mit Hitler – zusammen mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs – der unwiderlegbare Beweis dafür, dass die Arbeiterklasse unfähig war, die historische Aufgabe zu erfüllen, die ihr in der marxistischen Theorie zugewiesen wird? Somit drehte sich die ganze Auseinandersetzung mit Burnham und Shachtman – und darüber hinaus mit all den vielen Gruppen von demoralisierten kleinbürgerlichen Intellektuellen für die Burnham und Shachtman sprachen – um die Frage, ob die Arbeiterklasse eine revolutionäre Klasse war, wie Marx und Engels in der Entwicklung und Ausarbeitung der materialistischen Geschichtsauffassung nachgewiesen hatten. Trotzkis Antwort auf diese historische Frage, die das politische und geistige Leben der letzten 80 Jahre beherrscht hat, reicht an sich bereits aus, um sein Format als scharfsinnigster und weitsichtigster Denker des 20. Jahrhunderts – dem nur Lenin gleichkam – nachzuweisen. Es erscheint daher angemessen, die folgende Passage in Gänze zu zitieren:
Die Krise der kapitalistischen Gesellschaft, die im Juli 1914 offen zu Tage trat, erzeugte vom allerersten Tag des Krieges an eine scharfe Krise in der proletarischen Führung. Im Verlauf der 25 Jahre, die seitdem verstrichen sind, hat das Proletariat in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern noch keine Führung geschaffen, die sich auf die Höhe der Aufgaben unserer Epoche erheben könnte. Die Erfahrung mit Russland beweist, dass eine solche Führung geschaffen werden kann. (Das heißt natürlich nicht, dass sie gegen Degeneration immun sein wird.) Deshalb stellt sich die Frage folgendermaßen: Wird die objektive historische Notwendigkeit letzten Endes einen Weg in das Bewusstsein der Vorhut der Arbeiterklasse finden, d. h., wird im Verlauf dieses Krieges und der tiefreichenden Erschütterungen, die er verursachen muss, eine wirklich revolutionäre Führung geschaffen werden, die in der Lage ist, das Proletariat zur Eroberung der Macht zu führen?
Die Vierte Internationale hat diese Frage mit ja beantwortet, und zwar nicht nur durch den Text ihres Programms, sondern auch durch die bloße Tatsache ihrer Existenz. All die verschiedenen Arten enttäuschter und verängstigter Vertreter des Pseudomarxismus gehen im Gegensatz dazu davon aus, dass der Bankrott der Führung nur die Unfähigkeit des Proletariats „widerspiegelt“, seinen revolutionären Auftrag zu erfüllen. Nicht alle unsere Gegner drücken diesen Gedanken klar aus, aber allesamt – Ultralinke, Zentristen, Anarchisten, ganz zu schweigen von den Stalinisten und Sozialdemokraten – wälzen die Verantwortung für die Niederlagen von sich selbst auf die Schultern des Proletariats ab. Keiner von ihnen äußert sich dazu, was genau die Bedingungen sind, unter denen das Proletariat in der Lage sein wird, den sozialistischen Umsturz durchzuführen.
Wenn wir annehmen, es wäre wahr, dass der Grund für die Niederlagen in den sozialen Eigenschaften des Proletariats selbst begründet liegt, dann müsste man die Lage der modernen Gesellschaft als hoffnungslos bezeichnen. Unter den Bedingungen eines verfaulenden Kapitalismus wächst das Proletariat weder zahlenmäßig noch kulturell. Man kann daher nicht erwarten, dass es sich irgendwann auf die Höhe der revolutionären Aufgaben erheben wird. Allerdings stellt sich die Sache für denjenigen völlig anders dar, der sich klar geworden ist über den tiefen Antagonismus zwischen dem organischen, tiefgehenden und unüberwindlichen Drängen der Arbeitermassen, sich aus dem blutigen kapitalistischen Chaos zu befreien, und dem konservativen, patriotischen und durch und durch bürgerlichen Charakter der überlebten Arbeiterführung. Wir müssen uns für eine dieser beiden unvereinbaren Auffassungen entscheiden. [11]
Weder Shachtman noch Burnham hatten den Versuch unternommen, die Konsequenzen zu durchdenken, auf die ihre Perspektive zulief. Sie waren nicht einmal dazu in der Lage, ihren eigenen rechten und pro-imperialistischen politischen Kurs, geschweige denn den künftigen Lauf der Weltgeschichte, vorauszusehen. Ihr politisches Denken folgte dem vulgärsten Pragmatismus, der aus improvisierten politischen Reaktionen auf der Grundlage von täglich neuen Eindrücken über „die Realität der lebendigen Ereignisse“ bestand, ohne dabei zu versuchen, die Ereignisse, auf die sie reagierten, im grundlegenden Zusammenhang der Weltgeschichte zu verorten. Trotzki macht auf ihren politischen Eklektizismus aufmerksam.
Die Oppositionsführer trennen die Soziologie vom dialektischen Materialismus. Sie trennen Politik von Soziologie. Im Bereich der Politik trennen sie unsere Aufgaben in Polen von unserer Erfahrung in Spanien, unsere Aufgaben in Finnland von unserer Haltung zu Polen. Die Geschichte wird zu einer Reihe von außergewöhnlichen Ereignissen, Politik wird zu einer Reihe von Improvisationen. Wir haben hier, im vollen Sinne des Wortes, den Zerfall des Marxismus, den Zerfall des theoretischen Denkens, den Zerfall der Politik in ihre einzelnen Bestandteile. Der Empirismus und sein Ziehbruder, der Impressionismus, dominieren alles. [12]
Im Verlauf dieser Polemik führte Trotzki die Frage der dialektischen Logik in die Diskussion ein – in einer Weise, auf die Burnham und Shachtman sicherlich nicht vorbereitet waren. Natürlich war sich Trotzki der Tatsache bewusst, dass Burnham die Dialektik als bedeutungslos abtat und Hegel verachtete. Der aufgeblasene Professor beschrieb Hegel in dümmlicher Art und Weise als den „jahrhunderttoten Hauptverwirrer des menschlichen Geistes“. [13] Was Max Shachtman betrifft, so zeigte er kein sonderliches Interesse an Fragen der Philosophie und erklärte sich selbst hinsichtlich der Verbindung zwischen dialektischem Materialismus und revolutionärer Politik zum Agnostiker. Vor diesem Hintergrund hatte Trotzkis „philosophische Wende“ nichts künstliches oder launenhaftes an sich.
Eine wissenschaftliche Perspektive zu entwickeln, die für die politische Orientierung der Arbeiterklasse notwendig war, erforderte die Analyse einer komplexen, widersprüchlichen und sich daher rasch verändernden sozioökonomischen und politischen Situation auf einem Niveau, das auf Grundlage der formalen Logik, verwässert mit pragmatischem Impressionismus, schlicht nicht zu erreichen war. Obwohl er für sich in Anspruch nahm, auf dem Gebiet der Philosophie über eine gewisse Expertise zu verfügen, mangelte es Burnham an einer wissenschaftlichen Methode. Dieser Mangel kam in besonders vulgärer Art und Weise darin zum Ausdruck, dass Burnhams Analyse der sowjetischen Gesellschaft und Politik über keinerlei historischen Inhalt verfügte und weitgehend auf der impressionistischen Beschreibung von Phänomen basierte, die an der Oberfläche der Gesellschaft sichtbar wurden. Burnhams pragmatische und auf den gesunden Menschenverstand gestützte Herangehensweise an komplexe sozioökonomische und politische Prozesse war auf theoretischer Ebene wertlos. Er stellte die existierende Sowjetunion einem Idealbild gegenüber, das er sich unter einem echten Arbeiterstaat vorstellte. Er versuchte nicht, den historischen Prozess und den Konflikt der sozialen und politischen Kräfte auf nationaler und internationaler Ebene zu erklären, die der Degeneration zugrunde lagen.
Trotzki rügte ihn dafür entsprechend:
Das gewöhnliche Denken arbeitet mit solchen Konzepten wie Kapitalismus, Moral, Freiheit, Arbeiterstaat usw. als unveränderliche Abstraktionen, wobei davon ausgegangen wird, dass Kapitalismus gleich Kapitalismus, Moral gleich Moral ist usw. Das dialektische Denken untersucht alle Dinge und Erscheinungen in ihrer ununterbrochenen Veränderung, und bestimmt in den materiellen Bedingungen dieser Veränderungen jene kritische Grenze, jenseits derer „A“ aufhört „A“ zu sein, ein Arbeiterstaat aufhört, ein Arbeiterstaat zu sein.
Der grundlegende Fehler des gewöhnlichen Denkens liegt darin, dass es sich mit bewegungslosen Eindrücken einer Wirklichkeit zufrieden geben will, die aus ewiger Bewegung besteht. Durch größere Annäherungen, Berichtigungen, Konkretisierungen gibt das dialektische Denken Konzepten einen inhaltlichen Reichtum und größere Flexibilität; ich würde sogar sagen, eine „Saftigkeit“, die sie in gewisser Hinsicht den lebendigen Phänomenen näher bringt. Nicht der Kapitalismus im Allgemeinen, sondern ein bestimmter Kapitalismus auf einer bestimmten Entwicklungsstufe. Nicht ein Arbeiterstaat im Allgemeinen, sondern ein bestimmter Arbeiterstaat in einem rückständigen Land in einer imperialistischen Umzingelung usw.
Dialektisches Denken steht zum gewöhnlichen Denken in demselben Verhältnis wie der Film zu einem Standfoto. Der Film macht Standfotos nicht wertlos, sondern verbindet eine Reihe von ihnen entsprechend den Gesetzen der Bewegung. Dialektik leugnet den Syllogismus nicht, sondern lehrt uns, Syllogismen derartig zu verbinden, dass wir unser Verständnis an die sich ewig verändernde Wirklichkeit annähern. Hegel stellte in seiner Logik eine Reihe von Gesetzen auf: das Umschlagen von Quantität in Qualität, die Entwicklung durch Widersprüche, der Widerstreit von Inhalt und Form, die Unterbrechung der Kontinuität, das Umschlagen von Möglichkeit in Unvermeidbarkeit usw.; diese Gesetze sind für das theoretische Denken ebenso wichtig wie der einfache Syllogismus für einfachere Aufgaben. [14]
Trotzki gehörte jener seltenen Art von wahrhaft großartigen Autoren an, die danach strebten und dazu in der Lage waren, die tiefsinnigsten Gedanken in verständlicher Sprache zu erklären. Gleichzeitig erreichte er Klarheit nicht auf Kosten intellektuellen Tiefgangs. Seine Klarheit war vielmehr Ausdruck seines meisterhaften Umgangs mit den grundlegenden theoretischen Fragen.
Zudem lohnt es sich an dieser Stelle anzumerken, dass diese Passage eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen Trotzkis und Lenins Konzeption der dialektischen Logik zeigt. In seinem „Konspekt zu Hegels ‚Wissenschaft der Logik‘“, das einen Teil von Lenins philosophischen Heften enthält, die in Band 38 der Lenin Werke veröffentlicht wurden, schreibt Lenin über Hegel:
Die Logik ist die Lehre von der Erkenntnis. Sie ist die Erkenntnistheorie. Erkenntnis ist die Widerspiegelung der Natur durch den Menschen. Aber das ist keine einfache, keine unmittelbare, keine totale Widerspiegelung, sondern der Prozess einer Reihe von Abstraktionen, der Formierung, der Bildung von Begriffen, Gesetzen etc., welche Begriffe, Gesetze etc. (Denken, Wissenschaft = „logische Idee“) eben bedingt, annähernd die universelle Gesetzmäßigkeit der sich ewig bewegenden und entwickelnden Natur umfassen. Hier gibt es wirklich, objektiv drei Glieder: 1) die Natur; 2) die menschliche Erkenntnis = das Gehirn des Menschen (als höchstes Produkt eben jener Natur) und 3) die Form der Widerspiegelung der Natur in der menschlichen Erkenntnis, und diese Form sind eben die Begriffe, Gesetze, Kategorien etc. Der Mensch kann die Natur nicht als ganze, nicht vollständig, kann nicht ihre „unmittelbare Totalität“ erfassen = widerspiegeln = abbilden, er kann dem nur ewig näher kommen, indem er Abstraktionen, Begriffe, Gesetze, ein wissenschaftliches Weltbild usw. usf. schafft. [15]
Im April 1940 brach die Minderheit mit der SWP und gründete ihre „Workers Party“. Burnham hielt sich kaum länger als einen Monat in ihren Reihen auf. Am 21. Mai schickte er ein Austrittsschreiben an die Organisation, die er zusammen mit Shachtman gegründet hatte. In dem Brief verkündete er seine vollständige und absolute Zurückweisung des Sozialismus. In einem Abschnitt, in dem er die finalen Schlussfolgerungen aus seiner Ablehnung des dialektischen Materialismus zog, schrieb Burnham: „Von den wichtigsten Überzeugungen, die mit der marxistischen Bewegung verbunden sind, sei es in ihrer reformistischen, leninistischen, stalinistischen oder trotzkistischen Variante, gibt es praktisch keine, die ich in ihrer traditionellen Form akzeptiere.“ [16] Nachdem die Nachricht, dass der Theoretiker der Opposition desertiert war, Trotzki erreicht hatte, schrieb dieser an seinen Anwalt (und Mitglied der SWP) Albert Goldman: „Burnham erkennt die Dialektik nicht an, aber die Dialektik lässt ihn nicht entkommen. Er ist gefangen wie eine Fliege im Spinnennetz.“ [17]
Nachdem er sich von der Workers Party abgewandt hatte, steuerte Burnham rasch auf den extremen rechten Rand der bürgerlichen Politik zu und setzte sich für einen nuklearen Präventivkrieg gegen die Sowjetunion ein. Nicht lange vor seinem Tod im Jahr 1987 verlieh ihm US-Präsident Ronald Reagan die Medal of Freedom. Shachtmans Entwicklung ging langsamer vor sich. Die Parole seines „Dritten Lagers“ lautete: „Weder Washington noch Moskau“. Schließlich warf Shachtman seine Zurückhaltung hinsichtlich der Unterstützung Washingtons über Bord und mauserte sich zu einem Verfechter des Kalten Kriegs. Dazu gehörte schließlich auch seine volle Unterstützung für die Invasion in der Schweinebucht auf Kuba im Jahr 1961 und – zum Ende dieses Jahrzehnts – für die Bombardierung Nordvietnams.
Nach der Spaltung mit der Minderheit der Socialist Workers Party konnte Trotzki seine Aufmerksamkeit auf die Abfassung eines Manifests für die Notkonferenz der Vierten Internationale lenken, die als Reaktion auf die plötzliche Ausweitung des Krieges in Westeuropa einberufen worden war. Auf die rasche Eroberung Polens durch Nazi-Deutschland im Herbst 1939 folgte eine längere Pause im militärischen Konflikt, der sogenannte „Sitzkrieg“. Doch im April 1940 leitete Hitler eine neue Phase des Krieges ein. Die Wehrmacht rückte nach Westen vor, eroberte zunächst Norwegen und Dänemark und marschierte im Mai durch die Niederlande und Belgien nach Frankreich ein.
Trotzkis Manifest begann mit einem aufrüttelnden Appell an alle Opfer kapitalistisch-imperialistischer Unterdrückung.
Die Vierte Internationale wendet sich nicht an die Regierungen, die die Völker in das Gemetzel trieben, nicht an die bürgerlichen Politiker, die die Verantwortung für diese Regierungen tragen, und auch nicht an die Arbeiterbürokratie, die das kriegführende Bürgertum stützt. Die Vierte Internationale wendet sich an die arbeitenden Männer und Frauen, an die Soldaten und Matrosen, die ruinierten Bauern und die geknechteten Kolonialvölker. Nichts verbindet die Vierte Internationale mit den Unterdrückern, den Ausbeutern, den Imperialisten. Sie ist die Weltpartei der Werktätigen, der Unterdrückten und der Ausgebeuteten. An sie richtet sich dieses Manifest. [18]
Das Manifest wies alle offiziellen Erklärungen für den Ausbruch des Krieges zurück. „Entgegen den offiziellen Fabeln, die das Volk einlullen sollen, ist die Hauptursache des Krieges, wie aller anderen sozialen Übel – Arbeitslosigkeit, hohe Lebenskosten, Faschismus, koloniale Unterdrückung – das Privateigentum an den Produktionsmitteln und der bürgerliche Staat, der darauf beruht.“ [19] Wie im Ersten Weltkrieg lag dem Ausbruch des militärischen Konflikts die Rivalität unter den imperialistischen Mächten zugrunde.
Die Hauptprotagonisten in diesem globalen Konflikt waren vorerst Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien, während Japan seine Interessen in Asien verfolgte. Doch im Hintergrund lauern die Vereinigten Staaten, die, wie Trotzki voraussagte, „in den ungeheuren Zusammenprall eingreifen [werden], um ihre Weltherrschaft aufrechtzuerhalten. Die Form und der Zeitpunkt des Kampfes zwischen dem amerikanischen Kapitalismus und seinen Feinden ist noch nicht bekannt – vielleicht nicht einmal in Washington. Ein Krieg mit Japan wäre ein Kampf um ‚Lebensraum‘ im Pazifischen Ozean. Ein Krieg im Atlantischen Ozean wäre, selbst wenn er unmittelbar gegen Deutschland gerichtet wäre, ein Krieg um das Erbe Großbritanniens.“ [20]
Trotzki wies Behauptungen zurück, dass die herrschenden Eliten den Krieg zur „Verteidigung des Vaterlandes“ führten. „Die Bourgeoisie“, so schrieb er, „verteidigt das Vaterland nie um des Vaterlandes willen. Sie verteidigt Privateigentum, Vorrechte, Profite. […] Der offizielle Patriotismus ist eine Maske für die Ausbeuterinteressen. Klassenbewusste Arbeiter schleudern diese Maske verächtlich beiseite.“ [21] Was die anmaßende Berufung auf demokratische Ideale betrifft, so waren diese nicht weniger betrügerisch als die patriotischen Erklärungen. Alle Demokratien, mit Großbritannien vorneweg, hatten dazu beigetragen, Hitler an die Macht zu bringen. Und sie alle haben einen wesentlichen Teil ihres Reichtums aus der brutalen Ausbeutung der Kolonialvölker bezogen.
Hitlers Regime war nichts anderes als „Imperialismus in Reinkultur“. Die heuchlerische Behauptung, die demokratischen Mächte würden den Faschismus bekämpfen, war eine eklatante politische Verzerrung von Geschichte und Realität.
Die demokratischen Regierungen, die seinerzeit Hitler für seinen Kreuzzug gegen den Bolschewismus priesen, erkennen heute in ihm eine Art Satan, der unerwartet aus den Tiefen der Hölle hervorbrach und gegen geheiligte Abkommen, Grenzen, Regeln und Vorschriften verstößt. Ohne Hitler wäre die kapitalistische Welt ein blühender Garten. Welch erbärmliche Lüge! Dieser deutsche Epileptiker mit einer Rechenmaschine in seinem Schädel und unbegrenzter Macht in seinen Händen fiel nicht vom Himmel und kam nicht aus der Hölle; er ist nichts als die Verkörperung der Zerstörungskräfte des Imperialismus. [22]
Trotzki wandte sich dann einer Untersuchung der Rolle zu, die das stalinistische Regime bei der Begünstigung des Kriegsausbruchs spielte.
Stalins Bündnis mit Hitler, das das Startsignal zum Weltkrieg gab und unmittelbar zur Knechtung des polnischen Volkes führte, ist ein Resultat der Schwäche der Sowjetunion und der Panik des Kremls vor Deutschland. Die Verantwortung für diese Schwäche trägt niemand anderes als der Kreml selbst: seine Innenpolitik, die zwischen der herrschenden Kaste und dem Volk einen Abgrund aufriss; seine Außenpolitik, die die Interessen der Weltrevolution denen der Stalin-Clique opferte. [23]
Ungeachtet der Verbrechen Stalins würde eine Invasion der Sowjetunion durch die Nazis – die Trotzki für unvermeidlich hielt – nicht nur das Überleben der Kreml-Diktatur, sondern auch das der UdSSR in Frage stellen. Die Eroberungen der Revolution, wie verzerrt und entstellt sie durch den Stalinismus auch sein mochten, durften den einfallenden Armeen des Imperialismus nicht preisgegeben werden. „Während sie einen unermüdlichen Kampf gegen die Moskauer Oligarchie führt“, verkündete Trotzki, „lehnt die Vierte Internationale entschieden jede Politik ab, die dem Imperialismus gegen die Sowjetunion helfen würde.“ Er fuhr fort:
Die Verteidigung der Sowjetunion fällt im Prinzip mit der Vorbereitung der sozialistischen Weltrevolution zusammen. Wir verwerfen ausdrücklich die Theorie des Sozialismus in einem Lande, diese Ausgeburt des unwissenden und reaktionären Stalinismus. Nur die Weltrevolution kann die Sowjetunion für den Sozialismus retten. Aber die Weltrevolution bringt unvermeidlich die Austilgung der Kremloligarchie mit sich. [24]
Trotzkis Analyse des Krieges umfasste die Entwicklungen in den kolonialen Besitztümern, von denen er überzeugt war, dass sie zu einem massiven Schauplatz globaler revolutionärer Kämpfe werden würden. „Der ganze gegenwärtige Krieg“, schrieb er, „ist ein Krieg um Kolonien. Die einen jagen danach; die anderen besitzen sie und lehnen es ab, sie aufzugeben. Keine Seite hat die geringste Absicht, sie freiwillig in die Unabhängigkeit zu entlassen. Die im Abstieg befindlichen ‚Mutterländer‘ sind gezwungen, so viel wie möglich aus den Kolonien herauszuziehen und ihnen dafür so wenig wie möglich zurückzugeben. Nur der direkte und offene revolutionäre Kampf der geknechteten Völker kann den Weg zu ihrer Befreiung eröffnen.“ [25]
Trotzki untersuchte die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen in China, Indien und Lateinamerika. In jeder Situation und unter Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen hing der Sieg des Kampfes gegen die imperialistischen Mächte von der Herstellung der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von den korrupten und kompromittierten nationalen herrschenden Eliten ab. Die Theorie der permanenten Revolution – die die russische Arbeiterklasse 1917 an die Macht führte – behielt ihre volle Gültigkeit für die Arbeiterklasse in allen vom Imperialismus unterdrückten Ländern. Der Sturz der imperialistischen Herrschaft war untrennbar mit dem Kampf um Arbeitermacht und Sozialismus verbunden. Darüber hinaus gab es, wie das Beispiel Russlands gezeigt hatte, keine besondere Ordnung, die a priori festlegte, wann das eine oder andere Land über Bedingungen verfügte, die es der Arbeiterklasse erlaubten, die Macht zu erobern. Trotzki schrieb:
Die Perspektive der permanenten Revolution bedeutet keinesfalls, dass die rückständigen Länder das Signal der fortgeschrittenen abwarten müssen oder dass die Kolonialvölker geduldig auf das Proletariat der Metropolen warten sollen, sie zu befreien. Das Schicksal hilft dem, der sich selbst zu helfen weiß. Die Arbeiter müssen den revolutionären Kampf in jedem Lande, kolonial oder imperialistisch, entfalten, wo günstige Bedingungen dafür entstanden sind, und dadurch den Arbeitern anderer Länder ein Beispiel geben. Nur Initiative und Aktivität, Entschlossenheit und Kühnheit können die Parole ‚Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch!‘ verwirklichen. [26]
In den abschließenden Abschnitten des Manifests kehrte Trotzki zu den zentralen theoretischen und politischen Fragen zurück, die er in der Anfangsphase des Fraktionskampfes gegen die kleinbürgerliche Minderheit aufgeworfen hatte und die ihn in den letzten Wochen seines Lebens beschäftigen sollten. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war durch den Verrat aller existierenden Massenorganisationen der Arbeiterklasse - ob sozialdemokratisch, stalinistisch, anarchistisch oder einer anderen Spielart des Reformismus - vorbereitet worden. Wie würde die Arbeiterklasse dann den Weg zur Macht finden?
Trotzki überprüfte die wesentlichen Bedingungen für die Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse: eine Krise, die eine politische Sackgasse schafft, die die herrschende Klasse verunsichert; scharfe Unzufriedenheit mit den bestehenden Bedingungen in großen Teilen der Mittelklasse, die den Großkapitalisten ihre Unterstützung entzieht; die Überzeugung innerhalb der Arbeiterklasse, dass die Situation untragbar ist, und die Bereitschaft zu radikalen Maßnahmen; und schließlich ein Programm und eine entschlossene Führung innerhalb der fortgeschrittenen Teile der Arbeiterklasse. Aber jede dieser Bedingungen könne sich in unterschiedlichem Tempo entwickeln. Während sich die Bourgeoisie in einer politischen Sackgasse befinde und das Bürgertum nach Alternativen zu den bestehenden Verhältnissen suche, zeige die Arbeiterklasse – unter dem Einfluss vergangener Niederlagen – vielleicht eine Zurückhaltung, sich auf entscheidende Kämpfe einzulassen. Trotzki räumte ein, dass der Verrat in den Jahren vor dem Ausbruch des Krieges bei den Arbeitern eine Stimmung der Entmutigung erzeugt hatte. „Man sollte indessen die Stabilität oder Dauer solcher Stimmungen nicht überschätzen“, riet Trotzki. „Die Ereignisse schufen sie, die Ereignisse werden sie vertreiben.“ [27]
In Anbetracht des komplexen Zusammenspiels der widersprüchlichen Elemente einer grundlegenden gesellschaftlichen Krise hängt das Schicksal der Revolution letztlich von der Lösung der Krise der Führung ab. Bei der Auseinandersetzung mit diesem Problem stellte Trotzki hypothetisch zwei Fragen: „Wird die Revolution nicht auch diesmal verraten werden, da es ja zwei Internationalen [die sozialdemokratische Zweite Internationale und die stalinistische Kommunistische Internationale, auch Komintern genannt] im Dienste des Imperialismus gibt, während die echten Revolutionäre nur jene winzige Minderheit darstellen, mit anderen Worten: Werden wir noch rechtzeitig eine Partei vorbereiten können, die fähig ist, die proletarische Revolution zu führen?“ [28]
In seinem acht Monate zuvor im September 1939 verfassten Essay „Die UdSSR im Krieg“ hatte Trotzki darauf hingewiesen, dass sich der Ausgang des Zweiten Weltkriegs als entscheidend für die Bestimmung der Lebensfähigkeit der Perspektive der sozialistischen Revolution erweisen könnte. „Die Ergebnisse dieser Prüfung“, hatte er geschrieben, „werden zweifellos von entscheidender Bedeutung für unsere Einschätzung der modernen Epoche als Epoche der proletarischen Revolution sein.“ [29] Aber diese Aussage hatte den Charakter eines obiter dictum, einer beiläufigen Bemerkung, mit der legitimerweise der Ernst der Weltsituation und die Gefahren, die sie für die Arbeiterklasse darstellten, hervorgehoben werden sollte. Er sollte nicht als unveränderlicher historischer Zeitplan gelesen werden. In einem darauf folgenden Dokument, das im April 1940 geschrieben wurde, machte Trotzki einen kritischen Punkt über die Methodologie der marxistischen Analyse:
Jede historische Vorhersage ist grundsätzlich bedingt, und je konkreter sie ist, umso bedingter ist sie. Eine Prognose ist kein Schuldschein, der an einem bestimmten Tag eingelöst werden kann. Eine Prognose skizziert nur bestimmte Entwicklungstendenzen. Aber zusammen mit diesen Entwicklungstendenzen wirkt eine unterschiedliche Abfolge von Kräften und Tendenzen, die in einem bestimmten Augenblick vorzuherrschen beginnen. Diejenigen, die exakte Voraussagen konkreter Ereignisse haben wollen, sollten einen Astrologen konsultieren. Die marxistische Prognose hilft nur bei der Orientierung. [30]
Im Mai war klar, dass Trotzki versuchte, die Vierte Internationale auf der Grundlage einer Perspektive zu orientieren, deren Analyse über den Krieg und sein unmittelbares Ergebnis hinausging. Der Krieg war nicht nur der Höhepunkt der Krise der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg; er war auch der Beginn einer neuen Etappe in der Krise des kapitalistischen Systems und der Weltrevolution. Die Kader der Vierten Internationale mussten sich auf eine längere Zeit des Kampfes vorbereiten. „Natürlich“, räumte er freimütig ein, „kann und wird dieser oder jener Aufstand aufgrund der Unreife der revolutionären Führung mit einer Niederlage enden. Aber es geht nicht um einzelne Aufstände. Es geht um eine ganze revolutionäre Epoche.“
Welche Schlussfolgerung ergab sich aus dieser Einschätzung des Krieges als einem Wendepunkt in der Weltgeschichte?
Die kapitalistische Welt hat keinen Ausweg, wenn man nicht einen in die Länge gezogenen Todeskampf als solchen betrachten will. Man muss sich auf viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, von Krieg, Aufständen, kurzen Zwischenspielen des Waffenstillstandes, neuen Kriegen und neuen Aufständen gefasst machen. Eine junge revolutionäre Partei muss sich auf diese Perspektive gründen. Die Geschichte wird ihr ausreichend Gelegenheiten und Möglichkeiten verschaffen, sich zu bewähren, Erfahrungen zu sammeln und zu reifen. Je rascher die Reihen der Vorhut zusammengeschweißt werden, desto kürzer wird die Epoche der blutigen Erschütterungen sein, desto weniger Zerstörung wird unser Planet erleiden. Aber die große historische Aufgabe wird nicht gelöst werden, ehe eine revolutionäre Partei an der Spitze des Proletariats steht. Die Frage der Tempi und Zeitabschnitte ist von ungeheurer Bedeutung, aber sie ändert weder die allgemeine historische Perspektive noch die Richtung unserer Politik. Die Schlussfolgerung ist einfach: Die Arbeit der Erziehung und Organisierung der proletarischen Vorhut muss mit verzehnfachter Energie fortgesetzt werden. Gerade darin besteht die Aufgabe der Vierten Internationale. [31]
Nachdem Trotzki das Manifest für die Notkonferenz der Vierten Internationale fertiggestellt hatte, wurde sein strikter Arbeitsplan von einem Ereignis unterbrochen, das er lange vorhergesehen hatte, auch wenn der genaue Zeitpunkt nicht absehbar war. In den frühen Morgenstunden des 24. Mai 1940 wurde der Führer der Vierten Internationale von einem bewaffneten Stoßtrupp angegriffen. Die Attentäter unter der Führung des mexikanischen Malers und fanatischen Stalinisten David Alfaro Siqueiros waren mit Thompson-Maschinenpistolen im Kaliber 45, automatischen Gewehren im Kaliber 30 und Brandbomben ausgerüstet.
Die Angreifer mussten Trotzkis Villa an der Avenida Viena nicht stürmen. Der diensthabende Wachmann Robert Sheldon Harte schloss das Eisentor auf und ließ sie eintreten. Sie waren offensichtlich mit der gesamten Anlage vertraut. Eine Gruppe ging zu dem Teil des Hauses, in dem sich das Schlafzimmer von Trotzki und seiner Frau Natalja sowie das ihres Enkels Sewa befand. Eine andere Gruppe bewegte sich rasch zum gegenüberliegenden Ende des Hofs, außerhalb des Bereichs, in dem Trotzkis Wachen untergebracht waren. Während die zweite Gruppe das Feuer in Richtung der Räumlichkeiten der Wachen eröffnete und sie so effektiv festsetzte und handlungsunfähig machte, betrat das erste Schießkommando Trotzkis Schlafzimmer.
Der Raum war dunkel, und die Attentäter feuerten wild in alle Richtungen. Trotzki hatte an dem Abend eine Schlaftablette genommen und war noch etwas benommen, als er von den Schüssen geweckt wurde. Natalja reagierte schneller und rettete Trotzki das Leben. Er schilderte den Angriff in seinem Aufsatz „Stalin will meinen Tod“, den er in der ersten Juniwoche 1940 verfasste:
Meine Frau war bereits aus ihrem Bett gesprungen. Die Schießerei ging unaufhörlich weiter. Meine Frau erzählte mir später, dass sie mir auf den Boden half und mich in die Lücke zwischen Bett und Wand schob. Das stimmte tatsächlich. Sie war an der Wand stehen geblieben, als wolle sie mich mit ihrem Körper schützen. Aber durch Flüstern und Gesten überzeugte ich sie, sich flach auf den Boden zu legen. Die Schüsse kamen von allen Seiten, es war schwer zu sagen, woher genau. Irgendwann konnte meine Frau, wie sie mir später erzählte, eindeutig Feuerfunken von einer Waffe erkennen; also wurde direkt im Zimmer geschossen, obwohl wir niemanden sehen konnten. Mein Eindruck ist, dass insgesamt etwa 200 Schüsse abgegeben wurden, von denen etwa 100 direkt neben uns fielen. Glassplitter der Fensterscheiben und Späne von den Wänden flogen in alle Richtungen. Etwas später hatte ich das Gefühl, dass mein rechtes Bein an zwei Stellen leicht verwundet worden war. [32]
Als die Attentäter den Raum verließen, hörte Trotzki seinen 14-jährigen Enkel Sewa schreien. Trotzki erinnerte sich an diesen schrecklichen Moment:
Die Stimme des Kindes in der Dunkelheit unter den Schüssen bleibt die tragischste Erinnerung an diese Nacht. Der Junge warf sich unters Bett, nachdem der erste Schuss quer über sein Bett geflogen war, wie Spuren an der Tür und der Wand belegen. Einer der Angreifer schoss anscheinend in Panik in das Bett, die Kugel durchschlug die Matratze, traf unseren Enkel in den großen Zeh und blieb im Boden stecken. Die Attentäter warfen zwei Brandbomben und verließen das Schlafzimmer unseres Enkels. Er schrie „Großvater!“ und rannte ihnen in den Innenhof nach, wobei er eine Blutspur hinterließ. Im Kugelhagel stürmte er in das Zimmer einer der Wachen. [33]
Dass er selbst das Attentat überlebte, hielt Trotzki für „einen glücklichen Zufall“.
Die Betten standen im Kreuzfeuer. Vielleicht hatten die Angreifer Angst, sich gegenseitig zu treffen, und schossen instinktiv höher oder tiefer, als sie es hätten tun sollen. Aber das ist nur eine psychologische Vermutung. Es ist auch möglich, dass meine Frau und ich dem glücklichen Zufall zu Hilfe kamen, indem wir nicht den Kopf verloren, nicht durch den Raum rannten, nicht schrien oder um Hilfe riefen, da es hoffnungslos war, nicht schossen, da es sinnlos war, sondern still am Boden liegen blieben und uns tot stellten. [34]
Das Schießkommando machte sich davon – ohne zu wissen, dass die Mission gescheitert war. Trotzki verließ sein Zimmer und betrat den Hof, der noch im Rauch des Kugelhagels lag. Er suchte nach den Wachmännern, die immer noch in ihren Zimmern waren. Keiner von ihnen hatte gelernt, auf einen solchen Angriff zu reagieren. Ihre vereinzelten Bemühungen, das Feuer zu erwidern, blieben wirkungslos. Harold Robins’ Maschinengewehr blockierte schon beim ersten Schuss. Wie er später erfuhr, war die Waffe mit der falschen Munition geladen. Robins erinnerte sich, dass Trotzki bemerkenswert ruhig blieb. Der ehemalige Oberbefehlshaber der Roten Armee, der während des russischen Bürgerkriegs zwischen 1918 und 1921 zahlreiche grausame Schlachten erlebt hatte, war mit Gewehrfeuer vertraut. Aber Robins spürte auch, dass Trotzki über die völlig wirkungslose Reaktion seiner Wachen enttäuscht war. [35]
Die Wachen stellten fest, dass Wachposten der mexikanischen Polizei vor der Villa von den Attentätern gefesselt worden waren. Auf Trotzkis Anweisung wurden sie sofort losgebunden. Noch mehr beunruhigte sie, dass der Wachmann Robert Sheldon Harte mit den Attentätern verschwunden war, was den Verdacht weckte, dass er an der Verschwörung beteiligt gewesen sein könnte. Da es keine eindeutigen Beweise dafür gab, hielt Trotzki daran fest, dass er unschuldig war – eine Einschätzung, die sich zu bestätigen schien, als einige Wochen später Hartes Leiche entdeckt wurde.
Aus nachvollziehbaren Gründen zögerte Trotzki, unmittelbar nach dem Angriff Vorwürfe gegen Harte zu erheben. Aber er schloss die Möglichkeit nicht aus, dass Harte mit der GPU zusammengearbeitet hatte. „Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen“, schrieb Trotzki, „ist es natürlich unmöglich, kategorisch auszuschließen, dass sich ein isolierter Agent der GPU in die Wache einschleichen könnte.“ [36] Hartes Verschwinden nähre zwar den Verdacht, so Trotzki. Aber angesichts der dünnen Beweislage war er nicht bereit, Harte zu beschuldigen. Er schloss jedoch nicht aus, dass Hartes Rolle neu bewertet werden müsste, wenn weitere Informationen auftauchten. Unabhängig davon, wie das Urteil letztlich ausfallen würde, sagte Trotzki: „Wenn entgegen all meiner Vermutungen eine solche Beteiligung bestätigt werden sollte, dann würde dies nichts Wesentliches am Charakter des Attentats ändern. Mit oder ohne Hilfe einer der Wachmänner organisierte die GPU eine Verschwörung, um mich zu töten und meine Archive zu verbrennen.“ [37]
Trotzki vertraute der SWP bei der Auswahl der Wachmänner. „Sie wurden alle von meinen erfahrenen und alten Freunden hierhergeschickt, nachdem man sie sorgfältig ausgewählt hatte.“ [38] Er wusste aber nicht, dass die Socialist Workers Party keine ernsthafte Überprüfung der Personen vornahm, die sie aus den Vereinigten Staaten nach Coyoacán schickte. Der 25-jährige Harte aus New York war in der SWP noch ein eher unbeschriebenes Blatt. Nach dem Verschwinden seines Sohns flog sein Vater Jesse Harte, ein wohlhabender Geschäftsmann und Freund des damaligen FBI-Direktors J. Edgar Hoover, nach Mexiko. Bei Treffen mit der mexikanischen Polizei teilte er mit, dass in der New Yorker Wohnung seines Sohns ein Foto von Stalin gefunden worden sei. Als diese Information etwas später an die Presse durchsickerte, schickte Trotzki Jesse Harte ein Telegramm mit der Bitte, den Bericht zu bestätigen. Harte antwortete mit einem ebenso klaren wie unaufrichtigen Dementi: „ZWEIFELSFREI FESTGESTELLT, DASS KEIN BILD STALINS IN SHELDONS ZIMMER IST.“ [39]
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale leitete 1975 eine Untersuchung zum Mord an Trotzki ein und prüfte alle Beweise hinsichtlich der Rolle von Sheldon Harte bei dem Angriff vom 24. Mai 1940. Das IKVI kam zu dem Schluss, dass Harte tatsächlich an der Verschwörung beteiligt war. Die Socialist Workers Party (SWP) unter der Führung von Joseph Hansen verurteilte dieses Ergebnis und erhielt dabei Unterstützung von ihren Verbündeten in anti-trotzkistischen pablistischen Organisationen auf der ganzen Welt, die die Aufdeckung stalinistischer und anderer Agenten innerhalb der Vierten Internationale erbittert bekämpften. Sie denunzierten die Untersuchung zu Trotzkis Ermordung als „Agentenhatz“. Das IKVI wurde in einer öffentlichen Erklärung der SWP und ihrer internationalen Verbündeten beschuldigt, „das Grab von Robert Sheldon Harte zu schänden“. [40]
Aufgrund der Öffnung der GPU-Archive nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 konnte endgültig festgestellt werden, dass Harte ein stalinistischer Agent war und beim Attentat auf Trotzki vom 24. Mai eine entscheidende Rolle spielte. Einige Tage nach dem Mordversuch belohnte die GPU Harte für seinen Verrat, indem sie ihn ermordete. Siqueiros und seine Komplizen verachteten den jungen Harte und hielten ihn für unzuverlässig. Sie befürchteten, dass er reden könnte, wenn er von der Polizei verhört werden würde. Während Harte schlief, schossen sie ihm eine Kugel in den Kopf. Sie warfen seine Leiche in eine Grube und bedeckten sie mit Kalk. Hartes verweste Überreste wurden einige Wochen später entdeckt.
Obwohl offensichtlich war, dass Stalin den Anschlag auf Trotzki angeordnet hatte, initiierten die Helfershelfer der GPU, die in der Kommunistischen Partei Mexikos operierten, zusammen mit den Gewerkschaften und Medien eine Kampagne, um die öffentliche Meinung in die Irre zu führen. Sie behaupteten, das Attentat vom 24. Mai sei in Wirklichkeit von Trotzki selbst organisiert worden – ein „Selbstangriff“. Trotzki widerlegte die stalinistischen Lügen in zwei vernichtenden Artikeln: „Stalin will meinen Tod“ und „Die Komintern und die GPU“. Letzteren vollendete er erst am 17. August 1940, nur drei Tage vor dem zweiten und erfolgreichen Anschlag durch Ramón Mercader.
In „Die Komintern und die GPU“ entlarvte Trotzki die absurde Behauptung, er hätte den Angriff vom 24. Mai selbst orchestriert oder orchestrieren lassen.
Welche Ziele könnte ich verfolgen, wenn ich mich auf ein so monströses, widerwärtiges und gefährliches Unternehmen einlasse? Niemand hat es bis heute erklärt. Es wird angedeutet, dass ich Stalin und seine GPU anschwärzen wollte. Aber wieso sollte ein weiterer Anschlag überhaupt etwas an dem Ruf eines Mannes ändern, der die gesamte alte Generation der Bolschewistischen Partei ausgelöscht hat? Es wird gesagt, dass ich die Existenz der „Fünften Kolonne“ beweisen will. Warum? Wozu? Außerdem sind GPU-Agenten völlig ausreichend, um einen Angriff durchzuführen; es besteht keine Notwendigkeit für die mysteriöse „Fünfte Kolonne“. Es wird gesagt, dass ich der mexikanischen Regierung Schwierigkeiten bereiten wollte. Welche möglichen Motive könnte ich haben, der einzigen Regierung, die mir Gastfreundschaft gewährt hat, Schwierigkeiten zu bereiten? Es wird gesagt, dass ich einen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko provozieren wollte. Aber diese Erklärung gehört gänzlich in den Bereich der Wahnvorstellungen. Um einen solchen Krieg zu provozieren, wäre es auf jeden Fall zweckmäßiger gewesen, einen Angriff auf einen amerikanischen Botschafter oder auf einen Ölmagnaten zu organisieren, statt auf einen revolutionären Bolschewiken, der den imperialistischen Kreisen fremd und verhasst ist.
Wenn Stalin einen Attentatsversuch auf mich organisiert, ist der Sinn seines Handelns klar: Er will seinen Feind Nummer eins vernichten. Stalin geht dabei keine Risiken ein; er handelt auf große Distanz. Wenn ich hingegen einen „Selbstangriff“ organisiere, muss ich für ein solches Unterfangen selbst die Verantwortung übernehmen. Ich riskiere mein eigenes Schicksal, das Schicksal meiner Familie, meinen politischen Ruf und den Ruf der Bewegung, der ich diene. Was würde ich daraus gewinnen?
Aber selbst wenn man das Unmögliche zuließe, wenn ich also – nachdem ich meinem ganzen Lebensinhalt entsagt und den gesunden Menschenverstand und meine eigenen Lebensinteressen mit Füßen getreten hätte – um eines unbekannten Ziels willen einen „Selbstangriff“ organisiert hätte, dann bleibt doch noch die folgende Frage: Wo und wie habe ich zwanzig Vollstrecker bekommen? Wie habe ich ihnen Polizeiuniformen verschafft? Wie habe ich sie bewaffnet? Wie habe ich sie mit allen notwendigen Dingen ausgestattet? usw. usw. Mit anderen Worten: Wie soll einem Mann, der fast völlig isoliert von der Außenwelt lebt, ein solches Unternehmen gelingen, das nur ein mächtiger Apparat vollführen kann? Ich muss gestehen, dass es mir unangenehm ist, einen Gedanken zu kritisieren, der unter jeder Kritik ist. [41]
Mit seiner Analyse der politischen Vorbereitung des GPU-Attentats stellte Trotzki erneut seinen Scharfsinn unter Beweis. Er machte auf den außerordentlichen Kongress der Kommunistischen Partei Mexikos aufmerksam, der im März 1940 abgehalten wurde. Das Hauptthema, das den Kongress beherrschte, war die Notwendigkeit, den Trotzkismus auszurotten. Es wurde beschlossen, den Generalsekretär der Kommunistischen Partei Mexikos, Hernán Laborde, und den führenden Gewerkschafter Valentín Campa auszuschließen. Trotzki vermutete, dass damit Führungspersonen entfernt werden sollten, die zögerten, die Partei in ein politisch gefährliches und unpopuläres Attentatskomplott zu verwickeln. Trotzki betonte, dass diese Säuberung eindeutig von außen initiiert sein musste, d. h. von der GPU auf Anweisung des Kremlregimes. Um diese brutalen organisatorischen Veränderungen auf dem Kongress durchzusetzen, waren mehrere Monate Vorbereitung notwendig, so Trotzki. Deshalb ging er davon aus, dass der Befehl aus Moskau für den Attentatsversuch im November oder Dezember 1939 gekommen sein musste.
Trotzkis Analyse der langwierigen Vorbereitungen für den Anschlag am 24. Mai 1940 und der Bedeutung des außerordentlichen Kongresses der mexikanischen KP wurde durch Forschungen untermauert, die zeigen, dass die Planung für Trotzkis Ermordung im Frühjahr 1939 begann. Laborde wurde von einem Agenten der GPU angesprochen, der unter dem Deckmantel der Komintern operierte. Die Aufgabe des Agenten „bestand darin, das Sekretariat der mexikanischen KP um Zusammenarbeit bei den Plänen zur Eliminierung Trotzkis zu ersuchen. Laborde beriet sich mutmaßlich mit Campa und Rafael Carrillo [ein weiteres führendes Mitglied der mexikanischen KP] und kam zu dem Schluss, dass ein solcher Schritt nicht nur die Beziehungen der Partei zur Regierung von Cárdenas gefährden würde, sondern auch in jedem Fall unnötig wäre, da Trotzki eine verbrauchte Kraft sei“.[42]
Die GPU stimmte in der Frage von Trotzkis politischem Einfluss nicht mit der Einschätzung von Laborde und Campa überein. Im Mai 1939 reisten Laborde, Campa und Carrillo nach New York, um bei Earl Browder, dem Führer der Kommunistischen Partei der Vereinigten Staaten (CPUSA), Unterstützung für ihre Ablehnung des Anschlags zu suchen. Sie waren nicht erfolgreich. Die Entscheidung, einen außerordentlichen Kongress der mexikanischen KP einzuberufen, wurde auf dem Plenum der Nationalkomitees im September 1939 getroffen. Dem Historiker Barry Carr zufolge waren die CPUSA und die Komintern „besorgt über die Unzulänglichkeiten der Anti-Trotzki-Kampagne der mexikanischen Partei und über ihre angeblich oberflächliche Verteidigung der sowjetischen Außenpolitik, insbesondere der Entscheidung, im November 1939 militärisch in Finnland zu intervenieren“. [43]
Der erste öffentliche Aufruf für den außerordentlichen Parteitag erschien im November. Komintern-Delegierte aus Europa, eigentlich Agenten der GPU, kamen nach Mexiko, darunter Vittorio Codovilla, der in Spanien stationiert war. Carr schreibt, dass die Gesandten der Komintern mit den Vorbereitungen und der Tagesordnung des geplanten Kongresses unzufrieden waren.
Codovilla schlug eine komplette Neufassung der Tagesordnung vor – mit Fokus auf einen wesentlichen Punkt, „um die Aufmerksamkeit der Delegierten nicht abzulenken“. Er fuhr fort, den Aufbau der überarbeiteten Tagesordnung zu umreißen, darunter den neuen Punkt über den Kampf gegen die Volksfeinde (wobei das Hauptthema der Kampf gegen den Trotzkismus war...).
Die Gesandten beschränkten ihre Arbeit nicht auf Vorschläge zu den vorläufigen Dokumenten des außerordentlichen Kongresses. Sie drängten die Partei auch dazu, vor dem Parteitag einen „Hausputz“ zu machen und Trotzkisten auszuschließen. [...] Für die letztere Aufgabe wurden die Dienste der exilierten spanischen Kommunisten angeboten. [44]
Stalin sah in Trotzki die größte politische Bedrohung für sein Regime. In der Entscheidung, Trotzki 1929 aus der Sowjetunion auszuweisen, erkannte er seinen größten politischen Fehler. Stalin hatte nicht damit gerechnet, dass Trotzki, isoliert in einem fremden Land, in der Lage sein würde, eine ernsthafte Opposition gegen den Kreml aufzubauen. Aber Stalin hatte sich geirrt. Wie Trotzki bemerkte: „Die Ereignisse haben jedoch gezeigt, dass es möglich ist, am politischen Leben teilzunehmen, ohne über einen Apparat oder materielle Ressourcen zu verfügen.“ [45] Stalins Biograf Dmitri Wolkogonow, der Zugang zu dessen Privatarchiv hatte, schrieb, dass der Diktator von Trotzkis „Geist“ besessen gewesen sei.
Stalin erinnerte sich an Trotzki mit Ingrimm. Während er den Reden Molotows, Kaganowitschs, Chrustschows oder Schdanows [Mitglieder des stalinistischen Politbüros] zuhörte, wird er gedacht haben, wie viel klüger war doch Trotzki als diese Funktionäre! Keiner seiner Mitarbeiter war mit Trotzki zu vergleichen. Weder als Organisator noch als Redner, noch als Publizist. Und Trotzki war klüger und talentierter als er selbst. Im Kreis seiner Vertrauten hat er einmal gesagt, es sei der größte Fehler seines Lebens gewesen Trotzki aus der Sowjetunion herausgelassen zu haben. [...]
Besonders schmerzhaft traf Stalin, dass Trotzki beanspruchte, auch im Namen jener zu sprechen, die in der Sowjetunion zum Schweigen gebracht worden waren. Wenn Stalin die Übersetzungen von Trotzkis Büchern las, [wie Stalins Schule der Fälschung, Ein offener Brief an die Mitglieder der Bolschewistischen Partei oder Der stalinistische Thermidor], muss ihn der Zorn ergriffen haben. [46]
Stalins Hass auf Trotzki war nicht nur und auch nicht vordergründig von persönlichen Motiven getrieben. Seine bis zum Mordrausch gesteigerte Wut brachte in konzentrierter Form die Feindschaft zum Ausdruck, die die herrschende Bürokratie als privilegierte Kaste gegen ihren unerbittlichsten Gegner empfand. Trotzki schrieb in „Die Komintern und die GPU“:
Der Hass, den die Moskauer Oligarchie gegen mich hegt, entspringt ihrer tief verwurzelten Überzeugung, dass ich sie „verraten“ habe. Dieser Vorwurf hat eine eigene historische Bedeutung. Die sowjetische Bürokratie hat Stalin nicht sofort und ohne Zögern an die Spitze gehoben. Bis 1924 war Stalin selbst in den breiteren Parteikreisen, geschweige denn in der Bevölkerung, unbekannt, und wie ich bereits sagte, erfreute er sich in den Reihen der Bürokratie keiner Beliebtheit. Die neue herrschende Schicht hatte die Hoffnung, dass ich die Verteidigung ihrer Privilegien übernehmen würde. Es wurden nicht wenige Anstrengungen in diese Richtung unternommen. Erst nachdem die Bürokratie davon überzeugt war, dass ich nicht ihre Interessen gegen die Arbeiter verteidigen wollte, sondern im Gegenteil die Interessen der Arbeiter gegen die neue Aristokratie, wurde die vollständige Wende zu Stalin vollzogen und ich zum „Verräter“ erklärt. Dieser Beiname aus dem Mund der privilegierten Kaste ist ein Beweis für meine Loyalität gegenüber der Sache der Arbeiterklasse. Es ist kein Zufall, dass 90 Prozent jener Revolutionäre, die die Bolschewistische Partei aufgebaut, die Oktoberrevolution getragen, den Sowjetstaat und die Rote Armee geschaffen und den Bürgerkrieg geführt haben, in den letzten zwölf Jahren als „Verräter“ vernichtet wurden. Andererseits hat der stalinistische Apparat in dieser Zeit Menschen in seine Reihen aufgenommen, die in den Jahren der Revolution in ihrer überwältigenden Mehrheit auf der anderen Seite der Barrikaden gestanden hatten. [47]
Die politische Degeneration und der moralische Verfall beschränkten sich nicht auf die sowjetische Kommunistische Partei. Derselbe schleichende Prozess war in der gesamten Komintern zu beobachten, deren Führungspersonal in jedem Land entsprechend den politischen und ideologischen Erfordernissen des Kremls ausgewechselt worden war. Die nationalen Parteiführer wurden nicht auf Grundlage ihrer revolutionären Unnachgiebigkeit, ihrer politischen Klugheit und ihrer persönlichen Integrität ausgewählt. Die Personen, die der Kreml in die Führung der nationalen Parteien holte, zeichneten sich vielmehr durch Rückgratlosigkeit, Opportunismus und Befehlsgehorsam aus. Trotzki war mit dem von Stalin bevorzugten Menschentypus sehr vertraut:
Die Führer der Komintern-Sektionen, die keinen unabhängigen Standpunkt, keine unabhängigen Ideen, keinen unabhängigen Einfluss haben, sind sich voll und ganz bewusst, dass ihre Position wie auch ihr Ruf mit dem des Kremls steht und fällt. In materieller Hinsicht leben sie, wie sich später zeigen wird, von den Almosen der GPU. Der Kampf um ihre Existenz führt daher in eine tollwütige Verteidigung des Kremls gegen jegliche Opposition. Sie können nicht umhin, die Richtigkeit und damit die Gefahr der Kritik zu spüren, die von den sogenannten Trotzkisten kommt. Aber das verdoppelt nur ihren Hass auf mich und meine Mitdenker. Wie ihre Herren im Kreml sind die Führer der kommunistischen Parteien nicht in der Lage, die wahren Ideen der Vierten Internationale zu kritisieren, sondern müssen auf Fälschungen und Komplotte zurückgreifen, die in unbegrenzter Menge aus Moskau exportiert werden. Das Verhalten der mexikanischen Stalinisten ist keineswegs „national“; sie übersetzen lediglich die Politik Stalins und die Befehle der GPU ins Spanische. [48]
Trotzki dokumentierte die systematische Korruption der Komintern-Sektionen, die von der GPU gefördert wurde. Bestechungsgelder, untermauert durch Drohungen, ersetzten die politische Auseinandersetzung und dienten als Mittel zur Umsetzung der Politik, die der Kreml forderte.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verstärkte Stalins Furcht vor Trotzki. Auch wenn Stalin verzweifelt darauf hoffte, dass Hitler sich an den Nichtangriffspakt halten und nicht in die Sowjetunion einmarschieren würde, war ihm klar, dass die Gefahr einer deutschen Invasion sehr real war – trotz aller Zugeständnisse, die er Hitler gegenüber gemacht hatte. Wenn es dazu kommen sollte, wäre Stalins Regime aufgrund der katastrophalen Folgen seiner Politik völlig diskreditiert. In einer blutigen Säuberung des Militärs in den Jahren 1937/38 hatte Stalin die erfahrensten und fähigsten Generäle der Roten Armee und etwa drei Viertel des Offizierskorps physisch vernichtet. Erst vor rund 20 Jahren hatten die Niederlagen der zaristischen Armee im Ersten Weltkrieg wesentlich zum Ausbruch der Russischen Revolution beigetragen. Der Zar, der den Oberbefehl über das Militär übernommen hatte, wurde von der Macht gefegt. Bestand also nicht die Möglichkeit, dass ein neuer Krieg zu einem Aufstand innerhalb der Sowjetunion führen würde, insbesondere, wenn dem Kriegsausbruch Niederlagen folgten, die der Inkompetenz des Regimes zuzurechnen wären? Stalin war sicherlich mit dem Essay des berühmten Schriftstellers und Revolutionärs Victor Serge aus dem Jahr 1937 vertraut. Trotz aller Verfolgungen, schrieb Serge, habe das sowjetische Volk den „Alten“ – wie Trotzki von vielen seiner Anhänger liebevoll genannt wurde – nicht vergessen.
Solange der Alte lebt, ist die triumphierende Bürokratie nicht sicher. Ein Kopf der Oktoberrevolution bleibt – und das ist der Kopf eines wahren Führers. Beim ersten Schock werden sich die Massen ihm zuwenden. Im dritten Monat eines Kriegs, wenn die Schwierigkeiten beginnen, wird niemand verhindern können, dass sich die ganze Nation dem „Organisator des Sieges“ zuwendet. [49]
Es gab noch einen weiteren Grund, warum Stalin Trotzkis Tod wollte. Der Kreml-Diktator wusste, dass Trotzki intensiv an einer Biografie Stalins arbeitete. Eines der Ziele der Razzia vom 24. Mai war die Zerstörung von Trotzkis Archiven gewesen. Stalin ging sicherlich davon aus, dass sich unter Trotzkis Papieren das Manuskript der Biografie befand, das die Attentäter vom 24. Mai nicht ausfindig machen und zerstören konnten. Die einzige Möglichkeit, die Fertigstellung der Biografie zu verhindern, war die Ermordung ihres Autors. Stalin fürchtete Trotzkis Enthüllungen über seine Herkunft, seine politische Mittelmäßigkeit, seine geringe Rolle in der Geschichte der Bolschewistischen Partei vor 1917 und während der Revolution, seine Inkompetenz während des Bürgerkriegs und vor allem seine ständige Illoyalität und Tücke, die Lenin Anfang 1923 dazu veranlasst hatten, Stalins Absetzung vom Posten des Generalsekretärs zu empfehlen. Stalins Entschlossenheit, die Fertigstellung und Veröffentlichung der Biografie zu verhindern, war sicherlich ein wichtiger Faktor in der sehr kurzen Zeitspanne – weniger als drei Monate – zwischen dem erfolglosen Anschlag vom 24. Mai und dem Attentat von Ramón Mercader am 20. August 1940.
Das Attentat verhinderte in der Tat die Vollendung der Biografie. Aber Trotzki hinterließ ein umfangreiches Manuskript, das einen außergewöhnlichen Einblick in Stalins Persönlichkeit und politische Entwicklung bot. Erst 1946 wurde die Biografie veröffentlicht, allerdings in einer schlecht lektorierten Ausgabe, in der abgeschlossene Kapitel mit Notizfragmenten und Passagen vermischt wurden, die Trotzki nicht eindeutig in die biografische Darstellung integriert hatte. Der Übersetzer Charles Malamuth arbeitete stümperhaft. Bereits 1939 beklagte sich Trotzki, nachdem er Malamuths erste Übersetzungsversuche von Teilen des Manuskripts gesehen hatte: „Malamuth scheint mindestens drei Qualitäten zu haben: Er kann kein Russisch, er kann kein Englisch, und er ist ungeheuer anmaßend.“ [50]
Es kam noch schlimmer. Nach Trotzkis Ermordung nahm sich Malamuth mit dem Text außerordentliche Freiheiten heraus, indem er willkürlich eigene Worte und Sätze einfügte und der Biografie damit gezielt Standpunkte unterjubelte, die denen des Autors direkt widersprachen. Malamuths Einschübe erstreckten sich häufig über mehrere Seiten, was Trotzkis Darstellung verwässerte und verzerrte. Rund 70 Jahre lang war dies die einzige Fassung der Biografie, die öffentlich zugänglich war. 2016 wurde eine Neufassung veröffentlicht, in der die Übersetzung und Gliederung des Manuskripts und der zuvor nicht aufgenommenen Fragmente weitaus gewissenhafter angegangen wurden. [51]
Im letzten Band seiner Trotzki-Trilogie schrieb Isaac Deutscher, dass die Stalin-Biografie, auch wenn der Autor sie noch zu Ende geschrieben hätte, „wahrscheinlich sein schwächstes Werk geblieben wäre“. Diese Kritik entbehrt jeder Grundlage. Sie entspringt Deutschers politischen Vorbehalten gegen Trotzkis klare Einschätzung des Stalinismus als konterrevolutionär. Die Biografie blieb zwar unvollständig – sowohl inhaltlich als auch redaktionell, sodass der große Schriftsteller nicht die Möglichkeit hatte, in dem Text die ganze Kraft seines künstlerischen Schaffens zum Ausdruck zu bringen. Trotzdem ist Trotzkis Stalin ein Meisterwerk. Es sind unzählige Biografien über Stalin erschienen, darunter eine von Deutscher, die Stalin als politischen Giganten darstellt. Im Hinblick auf politische Tiefe, psychologische Einsicht und literarische Brillanz kann keine andere Biografie Trotzkis Stalin auch nur annähernd das Wasser reichen.
Die Biografie zeugt von einer unübertroffenen Kenntnis der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Bedingungen, unter denen sich die revolutionäre Arbeiterbewegung in dem riesigen Russischen Reich entwickelte. Trotzkis Darstellung von Stalins Persönlichkeit ist keine Karikatur. Die Persönlichkeit von Dschugaschwili-Stalin wurde, wie Trotzki zeigt, durch die rückständigen Verhältnisse seiner familiären Erziehung und das kulturelle und politische Umfeld geprägt, in dem sich seine frühen politischen Aktivitäten entfalteten.
Dies ist nicht der Ort für eine umfassende und detaillierte Besprechung dieses außergewöhnlichen Werks. Aber ein entscheidendes Element in der Stalin-Biografie verdient besondere Beachtung. Trotzki untersucht in erster Linie, welche objektiven Bedingungen und welche subjektiven Prozesse, in denen sich diese Bedingungen niederschlugen, Stalins Aufstieg zur Macht ermöglichten. Immer wieder weist Trotzki darauf hin, wie sich die soziale Kultur in der Bolschewistischen Partei nach dem Bürgerkrieg veränderte. Die Partei, die die Revolution anführte, war ein heroisches Beispiel der „Solidarität, des idealistischen Aufschwungs, der Hingabe, der Selbstlosigkeit“ – kaum vergleichbar mit anderen Bewegungen in der Geschichte. [52]
Innerhalb der Bolschewistischen Partei gab es interne Debatten, Konflikte, mit einem Wort, all jene Dinge, die ein natürlicher Bestandteil der menschlichen Existenz sind. Was die Mitglieder des Zentralkomitees betrifft, so waren auch sie nur Menschen, aber eine besondere Epoche ließ sie über sich hinauswachsen. Ohne etwas idealisieren zu wollen oder die Augen vor den menschlichen Schwächen zu verschließen, können wir dennoch sagen, dass die Luft, die man in jenen Jahren in der Partei atmete, frisch wie auf einem Berggipfel war. [53]
Aber das Klima veränderte sich nach dem Bürgerkrieg, als neue, unerprobte und klassenfremde Elemente in die Partei strömten. Es gab zwar Episoden, in denen versucht wurde, die Partei vor dem Zustrom von Karrieristen zu schützen. Doch die objektiven Bedingungen drängten in eine ungünstige Richtung.
Nach dem Bürgerkrieg und insbesondere nach der Niederlage der Revolution in Deutschland fühlten sich die Bolschewiki nicht mehr auf dem Vormarsch. Gleichzeitig ging die Partei von der revolutionären Periode in die sesshafte über. Nicht wenige Ehen wurden in den Jahren des Bürgerkriegs geschlossen. Gegen Ende des Bürgerkriegs kamen Kinder zur Welt. Die Frage von Wohnung, Einrichtung, Familie begann eine immer größere Bedeutung zu erlangen. Die Bande der revolutionären Solidarität, mit der die Schwierigkeiten insgesamt überwunden worden waren, wurden zu einem beträchtlichen Teil durch die Bande bürokratischer und materieller Abhängigkeiten ersetzt. Vorher war es möglich, sich allein durch revolutionäre Ideale durchzusetzen. Nun begannen viele Menschen, sich mit Posten und materiellen Privilegien durchzusetzen. [54]
Trotzki plädierte nicht dafür, in einer fortwährenden und unerreichbaren Askese fernab aller privaten und materiellen Sorgen zu leben. Er hatte selbst vier Kinder. Er erklärte vielmehr, wie sich innerhalb der Partei allmählich ein konservatives soziales Umfeld entwickelte. Dieser Wandel fand vor dem Hintergrund weitreichender sozioökonomischer Prozesse in der Sowjetunion statt, die mit der Wiederbelebung des kapitalistischen Markts in der Neuen Ökonomischen Politik zusammenhingen. Die wieder wachsende Bedeutung des privaten Unternehmertums auf dem Land führte dazu, dass soziale Ungleichheit plötzlich akzeptiert und sogar gefördert wurde. Wenn Trotzki und seine Anhänger in der Linken Opposition die Bedeutung der Gleichheit betonten, gerieten sie unter Beschuss. Stalin passte sich dieser Stimmung an und nutzte sie aus. Gleichheit „wurde von der Bürokratie zu einem kleinbürgerlichen Vorurteil erklärt“. Die Ablehnung der Gleichheit ging mit einer wachsenden Feindseligkeit gegenüber der Perspektive der permanenten Revolution einher:
Die Theorie des Sozialismus in einem Lande wurde damals von einem Block der Bürokratie und des Kleinbürgertums der Dörfer und Städte vertreten. Der Kampf gegen die Gleichheit schweißte die Bürokratie enger denn je nicht nur mit diesem Kleinbürgertum, sondern gleicherweise mit der Arbeiteraristokratie zusammen. Die Ungleichheit wurde die gemeinsame soziale Basis und die raison d’être dieser Bundesgenossen. Ökonomische und politische Bande hielten die Bürokratie und das Kleinbürgertum in den Jahren von 1923 bis 1928 zusammen. [55]
Stalins Aufstieg zur Macht war mit der Entstehung des bürokratischen Apparats und dessen wachsendem Bewusstsein für seine besonderen Interessen verbunden. „In dieser Hinsicht nimmt Stalin eine absolute Sonderstellung ein. Er ist weder ein Denker, noch ein Schriftsteller, noch ein Redner. Er ist in den Besitz der Macht gekommen, bevor noch die Massen gelernt hatten, bei den triumphalen Aufmärschen auf dem Roten Platz seine Figur von anderen überhaupt zu unterscheiden. Stalin riss die Macht an sich, nicht aufgrund persönlicher Leistungen, sondern mit Hilfe eines unpersönlichen Apparates. Und es war nicht er, der den Apparat geschaffen, sondern der Apparat hatte ihn geschaffen.“ [56]
Trotzki zerschlug den „Mythos Stalin“, indem er die sozioökonomischen und Klassenbeziehungen offenlegte, aus denen er hervorgegangen war. Dieser Mythos, so schrieb Trotzki, „entbehrt jeder künstlerischen Qualität. Er schafft es lediglich, die Vorstellungskraft mit einem grandiosen Schwung an Schamlosigkeit zu verblüffen, der ganz dem Charakter der gierigen Kaste der Emporkömmlinge entspricht, die schneller den Tag herbeiführen will, an dem sie Herr im Haus ist“. [57]
Trotzkis Beschreibung der Beziehungen, die Stalin zu seinem Gefolge korrupter Satrapen pflegte, erinnert an die Satiren von Juvenal:
Caligula machte sein Lieblingspferd zum Senator. Stalin hat kein Lieblingspferd, und bisher sitzt im Obersten Sowjet kein pferdeähnlicher Abgeordneter. Die Mitglieder des Obersten Sowjets haben jedoch ebenso wenig Einfluss auf den Lauf der Dinge in der Sowjetunion wie Caligulas Pferd – oder sogar ebenso wenig Einfluss wie die Senatoren auf die Angelegenheiten Roms. Die Prätorianergarde stand über dem Volk und in gewisser Weise sogar über dem Staat. Sie brauchte einen Kaiser als endgültigen Schiedsrichter. Die stalinistische Bürokratie ist das moderne Gegenstück zur Prätorianergarde mit Stalin als ihrem Obersten Führer. Die Macht Stalins ist eine moderne Form des Cäsarismus. Es ist eine Monarchie ohne Krone und bisher ohne Erben. [58]
Im Reich der Politik war Trotzki der größte Geist seiner Zeit. Er stellte eine unerträgliche Bedrohung für das stalinistische Regime dar, das letztlich als Agentur des Weltimperialismus fungierte. Das Regime konnte nicht zulassen, dass er am Leben blieb. Trotzki verstand die gegen ihn gerichteten Kräfte sehr gut: „Ich lebe auf dieser Erde nicht in Übereinstimmung mit der Regel, sondern als Ausnahme von der Regel.“ [59] Aber selbst angesichts der größten Gefahr bewahrte Trotzki ein außerordentliches Maß an persönlicher Objektivität:
In einer reaktionären Zeit wie der unseren muss ein Revolutionär gegen den Strom schwimmen. Das tue ich so gut ich kann. Der Druck der Weltreaktion wirkt sich vielleicht in meinem eigenen Schicksal und dem Schicksal jener, die mir nahestehen, besonders unerbittlich aus. Darin sehe ich nicht im Geringsten ein Verdienst meinerseits, sondern es ist das Ergebnis der Verflechtung historischer Umstände. [60]
Trotzkis wundersames Überleben des Attentats vom 24. Mai 1940 erwies sich nur als Gnadenfrist. Die GPU setzte sofort einen alternativen Plan für die Ermordung Trotzkis in Gang. Der nächste Versuch sollte nicht von einem schwer bewaffneten Trupp von Angreifern, sondern von einem einzelnen Attentäter durchgeführt werden. Ramón Mercader, der von der GPU für den Auftrag ausgewählte spanische Agent, war bereits 1938 von seiner Freundin Sylvia Ageloff in das Milieu der Vierten Internationale eingeführt worden. Ihre spezifische Beziehung zur Socialist Workers Party bleibt unklar, obwohl sie offenbar als Kurier für die Vierte Internationale und die SWP fungiert hat.
Es ist schwer, Ageloffs hochrangige Verbindungen zur Vierten Internationale mit ihrer persönlichen und politischen Naivität in Einklang zu bringen. Im Laufe einer fast zweijährigen intimen Beziehung verdrängte sie die Sorgen über die eklatanten Anomalien, Widersprüche und Geheimnisse, die ihren sehr merkwürdigen Gefährten umgaben, oder sie bemerkte sie nicht: seine vielfältigen Identitäten (Frank Jacson, Jacques Mornard, Vandendresched), seine höchst dubiosen geschäftlichen Aktivitäten und seine unbegrenzten Reserven an Bargeld. Es ist Ageloff nie in den Sinn gekommen – jedenfalls behauptete sie das nach dem Attentat gegenüber den argwöhnischen und ungläubigen mexikanischen Staatsanwälten –, dass mit ihrem Freund etwas ganz und gar nicht stimmte, und dass er definitiv nicht die Art von Person war, der man es gestatten sollte, auch nur in die Nähe Trotzkis zu kommen.
Im Frühjahr 1940 nutzte Jacson-Mornard die Gelegenheit, die Ageloff bot, um sich bei Trotzkis Wachen bekannt zu machen, obwohl er keinerlei Interesse an einer Begegnung mit dem Revolutionsführer zeigte. Jacson-Mornard fuhr Ageloff häufig zur Villa an der Avenida Viena und schien sich damit zufrieden zu geben, draußen zu warten, bis sie ihre Arbeit beendet hatte. Aber er unterhielt sich mit den Wachen und pflegte sorgfältig seine Beziehungen zu Trotzkis engen Freunden, Alfred und Marguerite Rosmer. Trotz Jahrzehnten in der revolutionären Bewegung fanden sie an Jacson-Mornard, dem angeblich unpolitischen Geschäftsmann mit einer Menge Geld und reichlich freier Zeit, nichts Besonderes. Das französische Ehepaar konnte bei dem in Spanien geborenen Agenten, der behauptete, Belgier zu sein, keinen Akzent entdecken.
Erst vier Tage nach dem Überfall vom 24. Mai betrat Jacson-Mornard zum ersten Mal das Gelände und traf sich kurz mit Trotzki. Auf einer seiner Reisen nach Coyoacán sprach Jacson-Mornard mit den Wachen, die die Außenmauern der Villa verstärken sollten. Sie sagten ihm, dass sie sich auf einen weiteren Angriff der GPU vorbereiten. Jacson-Mornard bemerkte mit einstudierter Beiläufigkeit, dass die GPU beim nächsten Angriff auf Trotzkis Leben eine andere Methode anwenden würde.
Trotzkis Arbeit ging in seinem gewohnt zermürbenden Tempo weiter. Obwohl er sich intensiv mit der Aufdeckung der Verschwörung vom 24. Mai und der Widerlegung der dreisten Behauptungen der mexikanischen Kommunistischen Partei und der stalinistisch kontrollierten Gewerkschaften und der Presse beschäftigte, der Angriff sei ein von Trotzki geplanter und von seinen Anhängern ausgeführter „Selbstangriff“, verfolgte er aufmerksam den Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Mitte Juni hatte Frankreich kapituliert und Hitlers Armeen beherrschten Westeuropa. Eine Tragödie beispiellosen Ausmaßes war über die Arbeiterklasse hereingebrochen. In einer kurzen Notiz vom 17. Juni 1940, zwei Tage nach der Niederlage Frankreichs, schrieb Trotzki:
Die Kapitulation Frankreichs ist nicht bloß eine militärische Episode. Es ist die Katastrophe Europas. Die Menschheit kann nicht weiter unter dem Regime des Kapitalismus leben. Hitler ist kein Zufall; er ist lediglich die vollkommenste, die konsequenteste und brutalste Ausdrucksform des Imperialismus, der unsere Zivilisation zu vernichten droht. [61]
Die monströsen Verbrechen Hitlers entstanden aus dem Kapitalismus und der üblen Weltpolitik des Imperialismus. Aber Hitlers Eroberung Westeuropas wurde durch die Hilfe ermöglicht, die er von Stalin erhielt. Der Verrat des Diktators an der Arbeiterklasse – zuerst durch seine Bündnisse im Rahmen der „Volksfront“ mit den demokratischen Imperialisten, dann plötzlich gefolgt von seinem Abkommen mit Hitler – desorientierte die Arbeiterklasse und stärkte die militärische Position Nazi-Deutschlands. „Indem Stalin die Volksmassen Europas – und nicht nur Europas – demoralisierte, hat er den Agent provocateur im Dienste Hitlers gespielt. Die Kapitulation Frankreichs ist eines der Resultate dieser Politik“, schrieb Trotzki. Stalin hat die UdSSR „bis an den Rand des Abgrunds“ geführt. Trotzki warnte, Hitlers „Siege im Westen bereiten nur eine groß angelegte Offensive gegen den Osten vor.“ [62] Fast genau ein Jahr später, am 22. Juni 1941, begann Hitler die Operation Barbarossa, den Überfall auf die Sowjetunion.
Die politischen und die Sicherheitsfragen, die sich aus dem Überfall vom 24. Mai und den epochalen Ereignissen in Europa ergaben, machten einen Besuch einer Delegation von SWP-Führern unter Leitung des Parteigründers und -führers James P. Cannon in Mexiko erforderlich. Vom Mittwoch, den 12. Juni, bis Samstag, den 15. Juni, nahm Trotzki an einer umfangreichen Diskussion über die politische Arbeit der SWP unter Kriegsbedingungen teil. An dieser Diskussion nahmen neben Trotzki und Cannon auch Charles Cornell, Farrell Dobbs, Sam Gordon, Antoinette Konikow, Harold Robins und Joseph Hansen teil. Lange unterdrückte Dokumente, die das Internationale Komitee der Vierten Internationale in den 1970er und 1980er Jahren erhalten hatte, sollten später belegen, dass es sich bei Hansen um einen GPU-Agenten innerhalb von Trotzkis Sekretariat handelte.
Ein unbearbeiteter stenographischer Bericht dieser Diskussion wurde an die SWP-Mitglieder verteilt. Die Diskussion über den ersten Tagesordnungspunkt, ein Bericht über die Notkonferenz der Vierten Internationale, wurde nicht transkribiert. Das wortwörtliche Protokoll der Diskussionen beginnt mit dem zweiten Tagesordnungspunkt „Krieg und Perspektiven“. Trotzkis Beiträge zu dieser Diskussion betonten, dass die prinzipielle Opposition der Partei gegen den imperialistischen Krieg nicht mit kleinbürgerlichem Pazifismus verwechselt oder in irgendeiner Weise mit diesem in Verbindung gebracht werden sollte.
Der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg war unvermeidlich. Trotzki bestand darauf, dass die SWP die prinzipielle Opposition gegen den Krieg in effektive revolutionäre Agitation umsetzen müsse, die sich mit dem Bewusstsein der Arbeiter überschneidet, ohne sich dem nationalen Chauvinismus anzupassen.
Die Militarisierung schreitet in unerhörtem Ausmaß voran. Wir können ihr nicht mit pazifistischen Phrasen entgegentreten. Die Militarisierung wird von breiten Schichten der Arbeiter unterstützt. Ihr gefühlsmäßiger Hass gegen Hitler mischt sich mit konfusem Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Klasse. Sie hassen die siegreichen Räuber. Die Bürokratie nutzt dies aus und sagt, helft dem besiegten Räuber. Wir ziehen ganz andere Schlussfolgerungen. Aber dieses Gefühl ist die unerlässliche Grundlage für unsere letzte Vorbereitungsperiode. [63]
Die Herausforderung, vor der die SWP stand, bestand darin, einen Zugang zu den jungen Arbeitern zu entwickeln, der schon beim Eintritt ins Militär ihr Klassenbewusstsein entwickelte. Die Partei musste ihre Agitation „auf eine Klassengrundlage stellen“. [64] Trotzki lieferte Beispiele für den Ansatz, den die Partei verfolgen sollte:
Wir sind gegen die bürgerlichen Offiziere, die euch wie Vieh behandeln, die euch als Kanonenfutter benutzen. Wir sind besorgt über die Toten unter den Arbeitern, im Gegensatz zu den bürgerlichen Offizieren. Wir wollen Arbeiteroffiziere.
Wir können zu den Arbeitern sagen: Wir sind bereit für die Revolution. Aber ihr seid nicht bereit. Doch wir beide wollen in dieser Situation unsere eigenen Arbeiteroffiziere. Wir wollen spezielle Arbeiterschulen, die uns zu Offizieren ausbilden...
Wir lehnen die Kontrolle der sechzig Familien ab. Wir wollen bessere Bedingungen für den Arbeitersoldaten. Wir wollen sein Leben schützen. Wir wollen es nicht verschwenden. [65]
Die Diskussion drehte sich am Donnerstag, 13. Juni, um die Politik der SWP für die Präsidentschaftswahlen 1940. Der Amtsinhaber der Demokraten, Franklin D. Roosevelt, kandidierte für eine dritte Amtszeit. Die Partei hatte keinen eigenen Kandidaten nominiert. „Was sagen wir den Arbeitern, wenn sie fragen, welchen Präsidenten sie wählen sollen?“ Cannon antwortete: „Sie sollten nicht so peinliche Fragen stellen“. [66]
Trotzki fragte, warum die SWP nicht zu einem Gewerkschaftskongress aufgerufen habe, um einen Kandidaten in Opposition zu Roosevelt zu nominieren. „Wir können nicht völlig gleichgültig bleiben“, argumentierte er. „Wir können in Gewerkschaften, in denen wir Einfluss haben, sehr wohl darauf bestehen, dass Roosevelt nicht unser Kandidat ist und die Arbeiter ihren eigenen Kandidaten haben müssen. Wir sollten einen landesweiten Kongress fordern, der mit der [Forderung nach einer] unabhängigen Arbeiterpartei verbunden ist.“ [67]
Trotzki warf die Frage der Präsidentschaftskandidatur der Kommunistischen Partei Amerikas auf. Seit der Unterzeichnung des Nichtangriffspakts hatte die Kommunistische Partei eine Position der Opposition gegen den Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg eingenommen. Zweifellos wurde dieses Manöver der stalinistischen Führung ganz von der Außenpolitik des Kremls bestimmt. Doch von Teilen der Mitgliedschaft der Kommunistischen Partei wurde es ernst genommen. War dies nicht eine Gelegenheit für die SWP, bei den stalinistischen Arbeitern zu intervenieren? Trotzki schlug vor, dass die SWP, da sie keinen eigenen Kandidaten hat, erwägen sollte, die Präsidentschaftskampagne des Führers der Kommunistischen Partei, Earl Browder, kritisch zu unterstützen. Wie desorientiert die stalinistische Führung auch sein mochte, die Mitgliedschaft der Partei schloss eine bedeutende Schicht klassenbewusster Arbeiter ein. Ein rechtzeitiges politisches Manöver der SWP – die Ausweitung der kritischen Unterstützung für die Kampagne der Kommunistischen Partei auf der Grundlage ihrer gegenwärtigen Opposition gegen den Kriegseintritt der USA – würde die Möglichkeit eröffnen, auf die stalinistischen Arbeiter zuzugehen.
Trotzkis Vorschlag wurde von Cannon und praktisch allen anderen Teilnehmern der Diskussion vehement abgelehnt. Im Laufe der Jahre des erbitterten Kampfes gegen die Stalinisten hatte es der Einfluss der SWP innerhalb der Gewerkschaften erforderlich gemacht, Bündnisse mit „fortschrittlichen“ Teilen der Gewerkschaftsbürokratie einzugehen. Das von Trotzki vorgeschlagene Manöver würde diese Beziehungen untergraben.
Trotzki kritisierte die Haltung der SWP gegenüber den „progressiven Bürokraten“, die politisch mit Roosevelt und der Demokratischen Partei verbündet waren. „Diese fortschrittlichen Bürokraten“, bemerkte Trotzki, „können sich als Berater im Kampf gegen die Stalinisten auf uns stützen. Aber die Rolle eines Beraters für die fortschrittlichen Bürokraten verspricht auf lange Sicht nicht viel.“ [68]
Anders als Trotzki erklärte Antoinette Konikow – die bereits in den 1920er Jahren eine der ersten amerikanischen Unterstützerinnen der Linken Opposition gewesen war –, dass im Gegensatz zu den Stalinisten amerikanische AFL-Führer wie Dan Tobin (Führer der Teamster) und John L. Lewis (Führer der United Mine Workers) nicht versuchen würden, Trotzkisten zu töten.
„Da bin ich mir nicht so sicher“, antwortete Trotzki. „Lewis würde uns sehr effizient töten, wenn er gewählt würde und es zum Krieg käme.“ [69]
Trotzki bestand nicht darauf, dass die SWP die von ihm vorgeschlagene Politik übernimmt. Doch als die Diskussion am Freitag, dem 14. Juni, weiterging, übte er scharfe Kritik an der Ausrichtung der Partei auf die Progressiven.
Ich glaube, wir haben den kritischen Punkt ganz klar. Wir befinden uns in einem Block mit so genannten Progressiven – nicht nur Schwindler, sondern ehrliche Leute aus der Basis. Ja, sie sind ehrlich und progressiv, aber von Zeit zu Zeit stimmen sie für Roosevelt – ein einziges Mal in vier Jahren. Das ist entscheidend. Du schlägst eine Gewerkschaftspolitik vor, keine bolschewistische Politik. Bolschewistische Politik beginnt außerhalb der Gewerkschaften. Der Arbeiter ist ein ehrlicher Gewerkschafter, aber weit entfernt von bolschewistischer Politik. Der ehrliche Aktivist kann sich entwickeln, aber das ist nicht identisch mit einem Bolschewiken. Du befürchtest, Dich in den Augen der Roosevelt-Gewerkschaftler zu kompromittieren. Sie dagegen kümmern sich nicht im Geringsten darum, ob sie sich kompromittieren, wenn sie gegen Dich für Roosevelt stimmen. Wir befürchten, uns zu kompromittieren. Wenn man sich fürchtet, verliert man seine Unabhängigkeit und wird zum halben Roosevelt-Anhänger. In Friedenszeiten ist das keine Katastrophe. Im Kriegsfall macht es uns unglaubwürdig. Dann können sie uns zerschmettern. Unsere Politik ist mehr, als die Roosevelt-Gewerkschaftler verkraften können. Daran passt sich der Northwest Organizer [die Zeitung des Teamster Local 544 in Minneapolis, herausgegeben und kontrolliert von der SWP] an. Wir haben schon früher darüber diskutiert, aber es wurde kein Wort darin verändert, kein einziges Wort. Die Gefahr – eine furchtbare Gefahr – droht uns in Form einer Anpassung an die Roosevelt-Anhänger in den Gewerkschaften. Ihr gebt keine Antwort auf die Wahlen, nicht einmal den Anfang einer Antwort. Aber wir müssen eine Politik haben. [70]
Trotzki setzte seine Kritik an der Anpassung der SWP an die Progressiven in den Gewerkschaften am Samstag, dem 15. Juni, dem letzten Tag der Diskussion, fort.
Mir scheint, es gibt eine Art passive Anpassung an unsere Gewerkschaftsarbeit. Das ist keine unmittelbare Bedrohung, aber eine ernstzunehmende Warnung, dass wir einen Richtungswechsel vornehmen müssen. Viele Genossen interessieren sich mehr für Gewerkschaftsarbeit als für Parteiarbeit. Wir brauchen einen festeren Zusammenhalt in der Partei, eine schärfer abgezirkelte Wendigkeit, ernstere, systematische, theoretische Ausbildung, andernfalls können die Gewerkschaften unsere Genossen verschlingen. [71]
Als die Diskussion über die Haltung der SWP bei den Wahlen von 1940 zum Ende kam, stellte sich eine letzte Frage: Kann die Kommunistische Partei als legitimer Teil der Arbeiterbewegung angesehen werden? Trotzki antwortete mit Nachdruck:
Natürlich sind die Stalinisten ein legitimer Teil der Arbeiterbewegung. Dass sie von ihren Führern für bestimmte Ziele der GPU missbraucht werden, ist eine Sache, für die Ziele des Kreml eine andere. Sie unterscheiden sich in keiner Weise von den anderen oppositionellen Arbeiterbürokratien. Die mächtigen Interessen Moskaus beeinflussen die Dritte Internationale, aber der Unterschied ist kein prinzipieller. Natürlich betrachten wir den Terror der GPU anders; wir kämpfen mit allen Mitteln, sogar mit der bürgerlichen Polizei. Aber die politische Strömung des Stalinismus ist eine Strömung in der Arbeiterbewegung. [72]
Trotz der von den Stalinisten begangenen Verbrechen – und zu diesem Zeitpunkt waren nur drei Wochen seit dem Attentat auf ihn vergangen – bestand Trotzki auf einer objektiven Bewertung des Stalinismus. „Wir müssen sie vom objektiven marxistischen Standpunkt aus betrachten“, beharrte Trotzki. „Sie sind ein sehr widersprüchliches Phänomen. Sie begannen mit dem Oktober als Grundlage, sie sind deformiert worden, aber sie haben großen Mut.“ [73] Der Zweck des von Trotzki vorgeschlagenen Manövers bestand darin, diesen Widerspruch in der Loyalität der stalinistischen Mitgliedschaft auszunutzen:
Ich denke, dass wir hoffen können, diese Arbeiter zu gewinnen, die als eine Kristallisation des Oktobers begannen. Wir sehen sie negativ; wie man dieses Hindernis durchbrechen kann. Wir müssen die Basis gegen die Führung stellen. Die Moskauer Bande betrachten wir als Gangster, aber die Basis sieht sich nicht als Gangster, sondern als Revolutionäre [...] Wenn wir zeigen, dass wir sie verstehen, dass wir eine gemeinsame Sprache haben, können wir sie gegen ihre Führer aufbringen. Wenn wir fünf Prozent gewinnen, ist die Partei dem Untergang geweiht. [74]
Trotzki und die SWP-Delegation kamen nicht zu einer Einigung über den Vorschlag, den Kandidaten der Kommunistischen Partei kritisch zu unterstützen, und Trotzki bestand auch nicht darauf. Die Meinungsverschiedenheit untergrub Trotzkis Beziehung zur Socialist Workers Party nicht, und die Diskussionen endeten einvernehmlich. Jedenfalls hatte Trotzkis Kritik im Hinblick darauf, dass die SWP sich erkennbar an die fortschrittlichen Bürokraten angepasst hatte, einen heilsamen Einfluss auf die Partei. Innerhalb weniger Wochen bemerkte und kommentierte Trotzki die politische Stärkung des Northwest Organizer positiv.
Einer der Diskussionsteilnehmer erinnerte sich später an einen bemerkenswerten Vorfall, der Trotzkis pädagogische Herangehensweise an politische Diskussionen beleuchtete. Harold Robins, ein in New York geborener Arbeiter, der 1939 nach Mexiko gekommen war und Leiter von Trotzkis Wachen wurde, nahm an der morgendlichen Diskussion am 13. Juni teil, bei der Trotzki die Frage der kritischen Unterstützung für den Präsidentschaftskandidaten der Kommunistischen Partei aufwarf. In einem Nachruf, den ich nach Robins' Tod 1987 im Alter von 79 Jahren schrieb, berichtete ich über seine persönlichen Erfahrungen, von denen er mir berichtet hatte.
Als Harold an der Reihe war zu sprechen, verurteilte er in beißenden Worten die Stalinisten, zählte ihre zahllosen Verrätereien an der Arbeiterklasse auf, und ihre sklavische Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Politikern. Leidenschaftlich rief er aus, es gebe „keinen gottverdammten Unterschied zwischen den Stalinisten und den Demokraten.“
Trotzki hob die Hand und unterbrach Harolds Rede. „Erlaube mir eine Frage, Genosse Robins. Wenn es keine Unterschiede zwischen den Stalinisten und den Demokraten gibt, weshalb bewahren sie dann eine unabhängige Existenz und nennen sich Kommunisten? Warum treten sie nicht einfach der Demokratischen Partei bei?“
Diese einfachen Fragen verblüfften Harold. Diese elementare Lektion in Dialektik machte ihm sofort klar, dass seine Position falsch war. Aber die Geschichte ging noch weiter.
In der Mittagspause, als die Frage immer noch nicht entschieden war, trat Trotzki an Harold heran und fragte ihn, welche Position er jetzt habe.
„Inzwischen denke ich, dass du recht hast, Genosse Trotzki.“
Der „Alte“ strahlte vor Befriedigung. „Dann, Genosse Robins, schlage ich vor, Genosse Robins, dass wir einen Block bilden und den Kampf gemeinsam führen, wenn das Treffen weitergeht.“
Harold erinnerte sich, dass er nicht glauben konnte, dies sei ernst gemeint.
„Warum zum Teufel sollte Trotzki mit einem Harold Robins einen Block wollen oder nötig haben?“
Wie dem auch war, er stimmte Trotzkis Vorschlag zu und sah der Fortsetzung der Diskussion am Nachmittag gespannt entgegen. Aber gegen Ende der Mittagspause wurde Robins von einer anderen Wache angesprochen, Charles Cornell. Dieser war bitter enttäuscht, dass er auch am Nachmittag Dienst tun sollte und nicht an der Diskussion mit Trotzki teilnehmen konnte. Cornell bat Robins, mit ihm zu tauschen, und Robins gab nach. Und so ging Cornell zu der Diskussion, während Robins Wache schob.
Am späten Nachmittag, nach Ende des Treffens, stand plötzlich ein offensichtlich verärgerter Trotzki vor Harold. „Wo warst du, Genosse Robins?“, fragte Trotzki streng.
Harold versuchte, die Umstände zu erklären, die ihm in der Mittagspause dazwischengekommen waren. Trotzki wischte seine Argumente beiseite. „Wir hatten einen Block, Genosse Robins, und du hast ihn verraten.“
Harold berichtete solche Vorfälle ohne jede Verlegenheit, obwohl sie ihn nicht gerade ins beste Licht rückten. Aber diese Ereignisse waren für Harold wertvolle Beispiele für Trotzkis Vollkommenheit als Revolutionär, der in allen Aspekten seines Lebens und unter allen Umständen an seinen Prinzipien festhielt.
Dieser Mann, schien Harold sagen zu wollen, hatte an der Spitze der größten Revolution der Geschichte gestanden, eine Millionenarmee organisiert, und neben legendären Persönlichkeiten der internationalen marxistischen Bewegung epochale politische Kämpfe geführt. Und doch konnte eben dieser Mann, Trotzki, einen Block mit einem gewöhnlichen, unbekannten „Jimmy Higgins“ vorschlagen und ihn genauso ernst nehmen, wie einst seinen Block mit Lenin! Harold erzählte von seinen Jugendsünden, auch wenn er nicht gut dabei wegkam, umso lieber, als er so Trotzkis moralische Größe aufzeigen konnte. [75]
Im Verlauf ihrer Reise nach Coyoacán inspizierten die SWP-Führer die Villa und genehmigten Bauarbeiten, die das Gelände gegen Angriffe sichern sollten. Trotz ihres aufrichtigen Engagements für Trotzkis Verteidigung wurden ihre Bemühungen durch ein beunruhigendes Maß an persönlicher Unachtsamkeit untergraben. Obwohl einige Fragen zur Rolle von Sheldon Harte bei dem Angriff vom 24. Mai noch unbeantwortet waren, gibt es keinen Hinweis darauf, dass die SWP-Führer eine vorsichtigere Haltung in ihren persönlichen Beziehungen einnahmen. Angesichts der anhaltenden Kampagne gegen Trotzki in der stalinistischen Presse hätte den SWP-Führern klar sein müssen, dass das politische Umfeld in Mexiko-Stadt gefährlich war und dass die Hauptstadt von GPU-Agenten wimmelte, die Trotzki eliminieren wollten.
Dennoch nahmen James P. Cannon und Farrell Dobbs am Abend des 11. Juni eine Einladung zum Abendessen im Hotel Geneva an, gefolgt von Drinks an einem anderen Ort. Der Gastgeber der beiden SWP-Führer war Jacson-Mornard. [76] Über diese Begegnung berichtete Cannon im Rahmen einer kurzen internen Untersuchung, die die SWP-Führung nach dem Attentat durchgeführt hatte. Diese Information wurde jedoch vor der breiten Parteimitgliedschaft verheimlicht.
In den Gesprächen mit James P. Cannon und Farrell Dobbs während des Besuchs einer Delegation der Socialist Workers Party im Juni 1940 in Coyoacán hatte sich Trotzki besorgt gezeigt, dass die SWP in ihrer Gewerkschaftsarbeit eine zu syndikalistische Orientierung einnimmt. Sie widmete den politischen Fragen, d. h. der revolutionären sozialistischen Strategie, zu wenig Aufmerksamkeit. Das wurde in der Anpassung der SWP an die Roosevelt-Gewerkschafter deutlich, die Trotzki als „eine furchtbare Gefahr“ bezeichnete. [77] „Bolschewistische Politik beginnt außerhalb der Gewerkschaften“, erinnerte Trotzki die SWP-Führer. [78]
Offensichtlich wollte Trotzki die Diskussion über die Fragen, die während des Besuchs der SWP-Vertreter aufgekommen waren, fortsetzen und vertiefen. Nach ihrer Abreise aus Mexiko begann Trotzki mit der Arbeit an einem Artikel über die Gewerkschaften. Der Entwurf wurde nach Trotzkis Ermordung auf seinem Schreibtisch gefunden und posthum unter dem Titel „Die Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs“ in der Februar-Ausgabe 1941 der theoretischen Zeitschrift Vierte Internationale veröffentlicht.
Trotzki versuchte – wie es für seine Schriften charakteristisch ist –, die Analyse der Gewerkschaften in den richtigen historischen und internationalen Kontext zu stellen. Er untersuchte die grundlegenden Prozesse, die jenseits der persönlichen Motive und Erklärungsmuster der einzelnen Gewerkschaftsführer die Politik dieser Organisationen bestimmten. Nur auf dieser objektiven Grundlage war es möglich, eine marxistische und damit wirklich revolutionäre Herangehensweise an die Arbeit in den Gewerkschaften zu entwickeln. Am Anfang seines Artikels bestimmt Trotzki in präzisen Worten den Platz der Gewerkschaften in der kapitalistischen Weltordnung:
Es gibt in der Entwicklung, oder besser, in der Degeneration der gegenwärtigen Gewerkschaftsorganisationen der ganzen Welt einen allen gemeinsamen Zug: die Annäherung an die Staatsgewalt und das Verschmelzen mit ihr. Dieser Prozess charakterisiert die unpolitischen Gewerkschaften in gleicher Weise wie die sozialdemokratischen, kommunistischen und „anarchistischen“. Allein diese Tatsache beweist schon, dass die Tendenz zum Verwachsen mit der Staatsgewalt nicht aus dieser oder jener Doktrin, sondern aus allgemein gesellschaftlichen Bedingungen entspringt, denen alle Gewerkschaften in gleicher Weise unterworfen sind.
Der Monopolkapitalismus fußt nicht auf Privatinitiative und freier Konkurrenz, sondern auf zentralisiertem Kommando. Die kapitalistischen Cliquen an der Spitze mächtiger Trusts, Syndikate, Bankkonsortien usw. sehen das Wirtschaftsleben ganz von derselben Höhe wie die Staatsgewalt und benötigen bei jedem Schritt deren Mitarbeit. Ihrerseits finden sich die Gewerkschaften in den wichtigsten Zweigen der Industrie der Möglichkeit beraubt, die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Unternehmen auszunützen. Sie haben einem zentralisierten, eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu begegnen. [79]
Ausgehend von diesem allgemeinen Merkmal der modernen kapitalistischen Entwicklung argumentierte Trotzki, dass die Gewerkschaften, insoweit sie den kapitalistischen Rahmen akzeptieren, keine unabhängige Position haben konnten. Die Gewerkschaftsführer – die Bürokratie – versuchen, den Staat auf ihre Seite zu ziehen. Damit haben sie aber nur Erfolg, wenn sie zeigen können, dass ihre Interessen nicht unabhängig vom kapitalistischen Staat oder ihm sogar feindlich gesonnen sind. Um das Ausmaß und die Folgen dieser Unterordnung unter den Staat deutlich zu machen, schrieb Trotzki: „Indem der Faschismus die Gewerkschaften in Organe des Staates verwandelt, erfindet er nichts Neues; er entwickelt nur die dem Imperialismus innewohnenden Tendenzen zu ihrer letzten Schlussfolgerung.“ [80] Trotzki betonte, dass die Entwicklung des modernen Imperialismus erforderte, jeglichen Anschein von Demokratie in den alten Gewerkschaften auszumerzen. „In Mexiko“, so bemerkte er, „wurden die Gewerkschaften durch ein Gesetz in halbstaatliche Einrichtungen verwandelt und nahmen dadurch, der Natur der Dinge entsprechend, halbtotalitären Charakter an.“ [81]
Trotzki beharrte darauf, dass Revolutionäre weiterhin in den Gewerkschaften arbeiten mussten, weil noch immer Massen von Arbeitern in ihnen organisiert waren. Aus demselben Grund, und nur aus diesem Grund, konnten die Revolutionäre, so Trotzki, „nicht auf den Kampf innerhalb der vom Faschismus geschaffenen Zwangsorganisationen verzichten“. [82] Trotzki glaubte sicherlich nicht, dass faschistische Gewerkschaften „Arbeiterorganisationen“ in dem Sinne waren, dass sie die Interessen der Arbeiterklasse vertraten. Die Arbeit in den Gewerkschaften war eine taktische Notwendigkeit, die keine Versöhnung mit der Bürokratie, geschweige denn ein Vertrauensvotum für diese reaktionäre Schicht bedeutete. Die Marxisten intervenierten in den Gewerkschaften unter allen Bedingungen, „um die Massen nicht nur gegen die Bourgeoisie zu mobilisieren, sondern auch gegen das totalitäre Regime innerhalb der Gewerkschaften selbst und gegen die Führer, welche dieses Regime aufrechterhalten“. [83]
Trotzki schlug zwei Losungen vor, auf die sich der Kampf gegen die bürokratischen Agenten des Imperialismus stützen sollte. Die erste war die „vollständige und bedingungslose Unabhängigkeit der Gewerkschaften vom kapitalistischen Staat. Dies bedeutet einen Kampf für die Umwandlung der Gewerkschaften von einem Organ der Arbeiteraristokratie in ein Organ der breiten, ausgebeuteten Massen.“ (Hervorhebung im Original) [84] Aber um das zu erreichen, war es unumgänglich, die Arbeitermassen für die revolutionäre Partei und das Programm des Sozialismus zu gewinnen.
Im Hinblick auf die Situation in den Vereinigten Staaten betrachtete Trotzki das plötzliche Entstehen von Industriegewerkschaften als eine wichtige Entwicklung. Die Gründung des Gewerkschaftsbunds CIO (Congress of Industrial Organizations) sei „der unwiderlegliche Beweis für die revolutionären Tendenzen innerhalb der arbeitenden Massen“. [85] Aber die Schwäche der neuen Gewerkschaften war bereits offenkundig.
Im höchsten Grade bezeichnend und bemerkenswert ist jedoch die Tatsache, dass die neue „linke“ Gewerkschaftsorganisation, kaum gegründet, auch schon in die eiserne Umarmung durch den imperialistischen Staat fiel. Der Kampf zwischen den Leitungen der alten und der neuen Föderation kann weitgehend auf den Kampf um Roosevelts und seines Kabinetts Sympathie und Unterstützung reduziert werden. [86]
Die Zuspitzung der globalen Krise des Kapitalismus und die wachsenden sozialen Spannungen führten zu einem scharfen Rechtsruck innerhalb der Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten und weltweit. Sie gingen dazu über, den Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus noch vehementer zu unterdrücken. „Die Führer der Gewerkschaften fühlten, verstanden, oder man gab es ihnen zu verstehen, dass heute nicht Zeit war, Opposition zu spielen“, erklärte Trotzki. Die Gewerkschaftsfunktionäre waren keine unschuldigen Zuschauer, als die repressivsten Formen der bürgerlichen Herrschaft gestärkt wurden. „Der Grundzug, die Annäherung an das totalitäre Regime, geht durch die Arbeiterbewegung der ganzen Welt“, stellte Trotzki schonungslos fest. [87]
In dem Maße, wie die Socialist Workers Party auch nur geringste Illusionen in die Möglichkeit freundschaftlicher Beziehungen mit den „progressiven“ Gewerkschaftsführern hegte, überging sie die historische Rolle der Arbeiterbürokratien in der Epoche des Imperialismus. Wie Trotzki die sehr mutige, aber überraschend naive Genossin Antoinette Konikow von der SWP-Delegation gewarnt hatte: „Lewis [der berühmte Führer der United Mine Workers] würde uns sehr effizient töten...“ [88]
Im letzten Absatz seines Artikels fasst Trotzki die historische Situation zusammen, mit der die Gewerkschaften konfrontiert waren:
Demokratische Gewerkschaften im alten Sinne des Wortes, das heißt, Körperschaften, wo im Rahmen ein und derselben Massenorganisation verschiedene Tendenzen mehr oder weniger frei kämpften, können nicht mehr länger bestehen. Es ist ebenso unmöglich, die alte Arbeiterdemokratie zurückzubringen, wie es unmöglich ist, den bürgerlich-demokratischen Staat wiederherzustellen; ihr Schicksal widerspiegelt das seine. Es ist eine Tatsache, dass die klassenmäßige Unabhängigkeit der Gewerkschaften hinsichtlich des bürgerlichen Staates unter den gegenwärtigen Bedingungen nur durch eine vollkommen revolutionäre Führung, das heißt, nur durch die der Vierten Internationale gesichert werden kann. Diese Führung kann und muss natürlich den Gewerkschaften das Höchstmaß der unter den augenblicklichen konkreten Bedingungen vorstellbaren Demokratie sichern. Aber ohne eine politische Führung der Vierten Internationale ist die Unabhängigkeit der Gewerkschaften unmöglich. [89]
Diese Worte wurden vor achtzig Jahren geschrieben. Trotzkis Analyse über die Degeneration der Gewerkschaften – ihre Integration in die Staatsgewalt und die Unternehmensleitung – war außerordentlich weitsichtig. Die „Tendenz zum Verwachsen“ der Gewerkschaften mit dem Staat und den kapitalistischen Konzernen setzte sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Die globale Integration der Weltwirtschaft und die transnationalen Produktionsprozesse entzogen den Gewerkschaften den nationalen Boden, auf dem sie Druck für begrenzte Sozialreformen ausüben konnten. Selbst für die bescheidensten Methoden des Klassenkampfs, um minimale Erfolge zu gewinnen, gab es keine Grundlage mehr. Statt den Konzernen Zugeständnisse abzuringen, verwandelten sich die Gewerkschaften in Anhängsel des Staats und der Unternehmen, die den Arbeitern Zugeständnisse abpressen.
Somit ist jede Spur von „Arbeiterdemokratie“ aus diesen bürokratischen und korporatistischen Organisationen, die als Gewerkschaften bezeichnet werden, verschwunden. Die alte Terminologie hat sich erhalten. Korporatistische Verbände wie die AFL-CIO und ihre Partnerorganisationen werden nach wie vor „Gewerkschaften“ genannt. Aber die tatsächliche Praxis dieser Organisationen steht in keiner Beziehung zu der sozioökonomischen Funktion, die traditionell mit dem Wort „Gewerkschaft“ verbunden wird. Die Praxis der revolutionären Partei kann sich nicht auf den unkritischen Gebrauch einer Bezeichnung stützen, die nicht die Veränderung des Phänomens widerspiegelt, das sie beschreiben soll. Die Degeneration der alten Organisationen kann nicht einfach dadurch überwunden werden, dass man sie „Gewerkschaften“ nennt. Wie Trotzki im September 1939, am Anfang des Kampfs gegen Shachtman und Burnham, betonte: „Wir müssen die Tatsachen so nehmen, wie sie sind. Wir müssen unsere Politik entwickeln, indem wir von den wirklichen Verhältnissen und Widersprüchen ausgehen.“ [90]
Der Kampf für Arbeiterdemokratie und die vollständige Unabhängigkeit der Organisationen der Arbeiterklasse ist bis heute entscheidend für ein revolutionäres Programm. Aber diese Perspektive lässt sich nicht verwirklichen, indem man die alten Organisationen erneuert. Nach einem Degenerationsprozess, der seit über achtzig Jahren andauert, ist die Wiederbelebung der alten Gewerkschaften unter einigermaßen normalen Umständen praktisch ausgeschlossen. Der alternative strategische Kurs, den Trotzki 1938 im Übergangsprogramm skizzierte, entspricht den heutigen Bedingungen und erfordert, „überall da, wo es möglich ist, eigenständige Kampforganisationen zu schaffen, die den Aufgaben des Massenkampfes gegen die bürgerliche Gesellschaft besser entsprechen und nötigenfalls auch vor einem offenen Bruch mit dem konservativen Apparat der Gewerkschaften nicht zurückschrecken“. [91]
* * * * *
Am 7. August 1940, genau zwei Wochen vor seinem Tod, nahm Trotzki an einer Diskussion über „amerikanische Probleme“ teil. In seiner Antwort auf eine Frage zur Einberufung in die Armee bestand Trotzki darauf, dass sich Parteimitglieder nicht der Wehrpflicht entziehen sollten. Unter Bedingungen, da die ganze Generation für den Krieg mobilisiert wird, wäre es ein Fehler, die Mitglieder aus der Armee herauszuhalten. Die SWP könne sich der Realität des Kriegs nicht entziehen:
Wir sollten begreifen, dass sich das Leben dieser Gesellschaft, die Politik, alles am Krieg orientieren wird. Und deswegen muss sich auch das revolutionäre Programm am Krieg orientieren. Wenn der Krieg eine Tatsache ist, dann können wir ihn nicht mit Wunschträumen und frommem Pazifismus bekämpfen. Wir müssen uns in dem Rahmen zurechtfinden, den diese Gesellschaft geschaffen hat. Dieser Rahmen ist furchtbar – es ist der Krieg –, aber insofern wir schwach sind und das Schicksal der Gesellschaft nicht in unsere Hände nehmen können, insofern weiter die herrschende Klasse stark genug ist, uns diesen Krieg aufzuzwingen, müssen wir diesen Rahmen gezwungenermaßen für unsere Aktivitäten akzeptieren. [92]
Trotzki erkannte, dass Massen von Arbeitern berechtigterweise einen tief verwurzelten Hass auf Hitler und den Nationalsozialismus hegten. Die Partei musste ihre Agitation und die Formulierung ihrer Politik der konfusen patriotischen Stimmung anpassen, ohne Zugeständnisse an den nationalen Chauvinismus zu machen.
Wir können der Militarisierung nicht entkommen, aber innerhalb dieser Maschinerie können wir eine Klassenlinie vertreten. Die amerikanischen Arbeiter wollen nicht von Hitler erobert werden, und denjenigen, die für ein „Friedensprogramm“ eintreten, werden die Arbeiter antworten, „Hitler will aber kein Friedensprogramm“. Deswegen sagen wir: Wir werden die Vereinigten Staaten mit einer Arbeiterarmee verteidigen, mit Arbeiteroffizieren, mit einer Arbeiterregierung usw. Wenn wir keine Pazifisten sind, die auf eine bessere Zukunft warten, und wenn wir aktive Revolutionäre sind, dann besteht unsere Aufgabe darin, die gesamte Kriegsmaschinerie zu durchdringen. […]
Wir müssen das Beispiel von Frankreich voll ausnutzen. Wir müssen sagen: „Ich warne Euch, Arbeiter, sie (die Bourgeoisie) werden Euch verraten! Schaut Euch nur Pétain an [der französische General, der das Vichy-Regime anführte und Frankreich im Namen Hitlers regierte], der ein Freund Hitlers ist. Soll uns in unserem Land dasselbe passieren? Wir müssen unsere eigene Maschinerie schaffen, unter Arbeiterkontrolle.“ Wir müssen sorgfältig darauf achten, dass wir uns nicht mit den Chauvinisten oder den konfusen Selbsterhaltungsgefühlen identifizieren, aber wir müssen ihre Gefühle verstehen und uns kritisch an diese Gefühle anpassen, um die Massen zu einem besseren Verständnis der Lage zu führen. Sonst werden wir eine Sekte bleiben, schlimmstenfalls eine pazifistische Sekte. [93]
Trotzki wurde gefragt, welche Folgen die politische Rückständigkeit der amerikanischen Arbeiter für den Widerstand gegen die Ausbreitung des Faschismus habe. Er warnte daraufhin vor einer vereinfachenden und einseitigen Beurteilung der Arbeiterklasse. „Die Rückständigkeit der Arbeiterklasse der Vereinigten Staaten ist nur ein relativer Begriff. In vielen sehr wichtigen Aspekten ist sie die fortschrittlichste Arbeiterklasse der Welt – sowohl in technischer Hinsicht als auch gemessen an ihrem Lebensstandard.“ [94] In jedem Fall würden die objektiven Veränderungen der Entwicklung des Klassenbewusstseins einen starken Impuls verleihen. Trotzki betonte die Widersprüche in der Entwicklung der amerikanischen Arbeiterklasse:
Der amerikanische Arbeiter ist sehr kämpferisch – wie wir in den Streiks gesehen haben. Sie haben die rebellischsten Streiks der Welt hinter sich. Was der amerikanische Arbeiter nicht hat, ist der Sinn für eine Verallgemeinerung oder Analyse seiner Klassenposition in der Gesellschaft als Ganzes. Dieser Mangel an gesellschaftlichem Bewusstsein hat seinen Ursprung in der gesamten Geschichte des Landes – der Wilde Westen der unbegrenzten Möglichkeiten, die Aussicht für jedermann, reich zu werden, usw. Jetzt ist all das verschwunden, aber das Denken bleibt in der Vergangenheit verhaftet. Idealisten meinen, die Mentalität der Menschen sei fortschrittlich, aber in Wirklichkeit ist sie das konservativste Element der Gesellschaft. Eure Technik ist fortschrittlich, aber die Mentalität der Arbeiter hinkt weit hinterher. Ihre Rückständigkeit ergibt sich aus ihrer Unfähigkeit, die Probleme zu verallgemeinern; sie betrachten alles aus einem persönlichen Blickwinkel. [95]
Doch trotz aller objektiven Schwierigkeiten bei der Entwicklung des Massenbewusstseins wies Trotzki die Ansicht zurück, die USA stünden am Rande des Faschismus. „Die nächste historische Periode in den Vereinigten Staaten“, sagte er voraus, „wird von einer Welle der Radikalisierung der Massen bestimmt sein, nicht vom Faschismus.“ Eine wesentliche Voraussetzung für den Sieg des Faschismus war die politische Demoralisierung der Arbeiterklasse. Diese Demoralisierung existierte in den Vereinigten Staaten nicht. Deshalb zeigte sich Trotzki gegenüber den Interviewern zuversichtlich: „Ich bin sicher, dass es viele Möglichkeiten geben wird, in den Vereinigten Staaten die Macht zu erobern, bevor die Faschisten zu einer dominierenden Kraft werden können.“ [96]
Trotzkis Analyse des Faschismus war dialektisch und aktiv, nicht mechanisch und passiv. Die Gefahr des Faschismus konnte nicht allein auf der Grundlage quantitativer Maßstäbe bestimmt werden. Der Sieg des Faschismus war nicht nur das Ergebnis des zahlenmäßigen Wachstums seiner Anhänger, ergänzt durch die offene und verdeckte Sympathie und Unterstützung der kapitalistischen Eliten und des bürgerlichen Staatsapparats. Nach der Diskussion vom 7. August diktierte Trotzki einen weiteren Artikel, der posthum unter dem Titel „Bonapartismus, Faschismus und Krieg“ in der Oktoberausgabe 1940 der Vierten Internationale veröffentlicht wurde.
In diesem Artikel wollte Trotzki nicht nur die Fragen aus der Diskussion vom 7. August klären, sondern auch einen Aufsatz von Dwight Macdonald beantworten, einem Unterstützer der Shachtman-Burnham-Minderheit. Macdonalds Essay, der in der Ausgabe vom Juli/August 1940 der linken Zeitschrift Partisan Review erschienen war, brachte die Demoralisierung und Skepsis der kleinbürgerlichen Intellektuellen zum Ausdruck, die mit dem Marxismus gebrochen hatten und nach rechts gingen. Beeindruckt von Hitlers militärischen Erfolgen erklärte Macdonald das Naziregime zu „einer neuen Gesellschaftsform“, deren Langlebigkeit Trotzki unterschätzt habe. [97]
Derselbe oberflächliche Impressionismus, der die kleinbürgerliche Minderheit zu ihren theoretischen Improvisationen in Bezug auf die Sowjetunion motivierte, wurde von Macdonald auf das Dritte Reich angewandt. Völlig willkürlich behauptete er, dass die deutsche Wirtschaft unter Hitler „auf der Grundlage der Produktion und nicht des Profits organisiert ist“ – eine leere Phrase, die gar nichts erklärt. [98] Macdonald schrieb, dass „diese modernen totalitären Regime keine vorübergehenden Erscheinungen sind: Sie haben bereits die zugrundeliegende wirtschaftliche und soziale Struktur verändert, indem sie die alten Formen nicht nur verändert, sondern auch ihre innere Lebenskraft zerstört haben.“ [99]
Macdonald behauptete, dass „die Nazis gewonnen haben, weil sie eine neue Art von Krieg führten, der so deutlich wie Napoleons militärische Neuerungen eine neue Gesellschaftsform zum Ausdruck brachte“, die den alten kapitalistischen Systemen ihrer Gegner überlegen war. [100] Macdonalds ignorante Idealisierung des NS-Wirtschaftssystems hatte mit der Realität wenig zu tun. Ende der 1930er Jahre stand der deutsche Kapitalismus am Rande des Abgrunds. Zwischen 1933 und 1939 verdreifachte sich die Staatsverschuldung, und das Regime hatte Mühe, die Zinszahlungen zu leisten. Es ist weithin anerkannt, dass Hitlers Entscheidung für den Krieg in hohem Maße von der Furcht vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch getrieben war. Wie der Historiker Tim Mason erklärte:
Die einzige „Lösung“ des Regimes für die strukturellen Spannungen und Krisen, die durch Diktatur und Aufrüstung hervorgerufen wurden, war mehr Diktatur und mehr Aufrüstung, dann Expansion, dann Krieg und Terror, dann Plünderung und Versklavung. Die nackte und allgegenwärtige Alternative war Zusammenbruch und Chaos. Deshalb waren alle Lösungen vorübergehend, hektisch, armselig, immer barbarischere Improvisationen des einen brutalen Themas. ... Ein Raubkrieg für Arbeitskräfte und Rohstoffe ergab sich aus der unerbittlichen Logik der deutschen Wirtschaftsentwicklung unter nationalsozialistischer Herrschaft. [101]
Trotzki sprach von einem „sehr prätentiösen, sehr verwirrten und einfältigen Artikel“ von Macdonald. [102] Er hielt es nicht für notwendig, Zeit darauf zu verwenden, Macdonalds Analyse der NS-Gesellschaft zu widerlegen. Aber Trotzki antwortete auf die für einen demoralisierten Intellektuellen typische Unfähigkeit, die politische Dynamik zu untersuchen, die dem Vormarsch des Faschismus zugrunde lag. Der Sieg der Faschisten ergab sich vor allem aus dem katastrophalen Versagen der Führung der Massenparteien und -organisationen der Arbeiterklasse. Der Faschismus ist die politische Strafe für die Arbeiterklasse, die die Möglichkeiten zum Sturz des kapitalistischen Systems vergeudet hat. Warum hat der Faschismus triumphiert? Trotzki schrieb:
Die theoretische Analyse wie die reiche historische Erfahrung des letzten Vierteljahrhunderts zeigen in gleichem Maße, dass der Faschismus jedes Mal die Schlussphase eines spezifischen politischen Zyklus bildet, der aus folgenden Momenten besteht: schwerste Krise der kapitalistischen Gesellschaft; steigende Radikalisierung der Arbeiterklasse; wachsende Sympathie für die Arbeiterklasse und Sehnsucht nach einer Veränderung beim ländlichen und städtischen Kleinbürgertum; äußerste Verwirrung beim Großbürgertum, das mit feigen und betrügerischen Manövern versucht, den revolutionären Siedepunkt zu vermeiden; Erschöpfung des Proletariats, zunehmende Verwirrung und Indifferenz; Verschärfung der sozialen Krise; Verzweiflung des Kleinbürgertums, das noch immer eine Veränderung ersehnt; kollektive Neurose des Kleinbürgertums – seine Bereitschaft, an Wunder zu glauben, seine Bereitschaft für Gewaltmaßnahmen; wachsende Feindseligkeit gegenüber dem Proletariat, das die kleinbürgerlichen Erwartungen enttäuscht hat. Das sind die Voraussetzungen für die rasche Formierung einer faschistischen Partei und für deren Sieg. [103]
In der amerikanischen Entwicklung sei die Situation für die Faschisten noch nicht günstig, so Trotzki. „Es ist ganz evident, dass die Radikalisierung der Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten erst die Anfangsphasen durchlaufen hat, fast ausschließlich auf den Bereich der Gewerkschaftsbewegung (CIO) beschränkt ist.“ [104] Die Faschisten hatten eine defensive Haltung eingenommen. All jenen, die zweifelten, ob ein revolutionärer Sieg möglich sei, aber selbst abseitsstanden, entgegnete Trotzki:
Nichts ist unwürdiger, als darüber zu spekulieren, ob es uns gelingen wird, eine starke revolutionäre Führungspartei aufzubauen. Voraus liegt eine günstige Perspektive, die den revolutionären Aktivismus vollauf rechtfertigt. Es ist nötig, die Chancen, die sich auftun, zu nutzen und die revolutionäre Partei aufzubauen. …
Die Reaktion verfügt heute vielleicht über größere Macht als je zuvor in der modernen Geschichte der Menschheit. Aber es wäre ein unentschuldbarer Fehler, nur die Reaktion zu sehen. Der historische Prozess ist ein widersprüchlicher. Unter der Decke offizieller Reaktion vollziehen sich in den Massen tiefgreifende Prozesse, sie sammeln Erfahrung und werden für neue politische Perspektiven empfänglich. Die alte konservative Tradition des demokratischen Staats, die selbst in der Ära des letzten imperialistischen Krieges noch so stark war, existiert heute nur noch als ein höchst labiles Relikt. Am Vorabend des letzten Krieges hatten die europäischen Arbeiter zahlenmäßig starke Parteien. Aber auf deren Tagesordnung standen Reformen, Teilerfolge, – keineswegs die Machteroberung.
Die amerikanische Arbeiterklasse hat selbst heute noch keine Arbeiter-Massenpartei. Aber die objektive Lage und die Erfahrung, die die amerikanischen Arbeiter gesammelt haben, können binnen kurzem die Frage der Machteroberung auf die Tagesordnung setzen. Diese Perspektive müssen wir zur Basis unserer Agitation machen. Es handelt sich für uns nicht nur um die Haltung zum kapitalistischen Militarismus und um die Weigerung, den Bourgeois-Staat zu verteidigen, sondern um die direkte Vorbereitung zur Machteroberung und zur Verteidigung des proletarischen Vaterlandes. [105]
Macdonald verkörperte die rasch wachsende Schicht demoralisierter kleinbürgerlicher Intellektueller, die im Sieg des Faschismus die entscheidende Widerlegung des Marxismus und der gesamten sozialistischen Perspektive sahen. Die Situation war im Grunde genommen hoffnungslos. Macdonald schrieb:
Ist die Arbeiterklasse nicht überall dort, wo sie dem faschistischen Joch bisher entkommen ist, auf dem vollen Rückzug? Und selbst wenn die Arbeiter später einige Anzeichen einer Revolte zeigen, wo werden sie ihre Führung finden? Bei der korrupten und diskreditierten Zweiten oder Dritten Internationale? Bei den winzigen, isolierten revolutionären Gruppen, die durch sektiererische Streitereien gespalten sind? Und schließlich: Ist nicht die Autorität des Marxismus selbst, die eigentliche Quelle aller revolutionären Wissenschaft, erschüttert worden durch das Versagen seiner Jünger, in der Praxis und im theoretischen Verständnis angemessene Antworten auf die historischen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte zu geben?
Ich muss zugeben, dass diese Fragen, gelinde gesagt, gerechtfertigt sind. Die Form von „revolutionärem Optimismus“, der in bestimmten Kreisen beliebt ist – ein Optimismus, der umso hartnäckiger und irrationaler wird, je schlimmer sich die Dinge entwickeln –, scheint mir der Sache des Sozialismus keinen Dienst zu erweisen. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass die revolutionäre Bewegung in den letzten zwanzig Jahren eine ununterbrochene Serie von großen Katastrophen erlitten hat. Wir müssen mit einem kühlen und kritischen Blick erneut die grundlegendsten Voraussetzungen des Marxismus prüfen. [106]
Macdonald wählte als Überschrift für seinen Grabgesang tatsächlich „Das Plädoyer für Sozialismus“. Wie seine eigene Entwicklung bald beweisen sollte, war es aber vielmehr ein Plädoyer für die Zurückweisung des Sozialismus.
Die demoralisierten Skeptiker erklärten den Marxismus für gescheitert, weil angeblich „an Stelle des Sozialismus der Faschismus kam“, bemerkte Trotzki. Doch die Skeptiker offenbarten in ihrer Kritik neben ihrer persönlichen Demoralisierung auch eine mechanische und passive Geschichtsauffassung. Marx hatte nicht den Sieg des Sozialismus versprochen; er enthüllte nur die objektiven Widersprüche in der kapitalistischen Gesellschaft, die den Sozialismus möglich machen. Aber er hat nie behauptet, dass dies automatisch erreicht wird. In der Tat führten Marx, Engels und Lenin einen unerbittlichen Kampf gegen alle politischen Tendenzen – Opportunisten wie Anarchisten –, die den Kampf für Sozialismus untergruben. Wie Trotzki schrieb, waren sie sich bewusst, dass eine schlechte Führung, „die dem Einfluss der Bourgeoisie unterliegt, die Erfüllung der revolutionären Aufgabe hindern, verlangsamen, schwieriger machen, aufschieben könnte“. [107]
Nicht zuletzt hatte das Versagen der Führung der Arbeiterklasse die bestehende Situation geschaffen.
Der Faschismus kam keineswegs „an Stelle“ des Sozialismus. Der Faschismus ist die Fortsetzung des Kapitalismus, ein Versuch, dessen Existenz mit bestialischen und monströsen Mitteln zu verlängern. Der Kapitalismus erhielt die Gelegenheit, zum Faschismus seine Zuflucht zu nehmen, nur darum, weil das Proletariat die sozialistische Revolution nicht rechtzeitig durchführte. Das Proletariat wurde bei der Erfüllung seiner Aufgabe durch die opportunistischen Parteien gelähmt. Das einzige, was man sagen kann, ist, dass sich der Weg der revolutionären Entwicklung des Proletariats als reicher an Hindernissen, Schwierigkeiten und Etappen erwiesen hat, als die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus voraussahen. Der Faschismus und die Serie von imperialistischen Kriegen sind eine furchtbare Schule, in der sich das Proletariat von kleinbürgerlichen Traditionen und kleinbürgerlichem Aberglauben, von opportunistischen, demokratischen und abenteurerischen Parteien befreien muss, – in der es die revolutionäre Avantgarde schmieden und schulen muss und sich so auf die Lösung der Aufgabe vorbereitet, ohne die es für die Entwicklung der Menschheit keine Hoffnung gibt. [108]
In seinem letzten Lebensjahr setzte sich Trotzki mit wesentlichen Fragen der historischen Perspektiven auseinander, die durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs aufgeworfen wurden. Warum folgten auf die Revolution von 1917 in Russland – die von den Bolschewiki als Vorbote der sozialistischen Weltrevolution proklamiert worden war – die Niederlagen der Arbeiterklasse in Italien, China, Deutschland und Spanien, um nur die folgenschwersten der politischen Katastrophen zu nennen? Warum hatte die Große Depression – der größte wirtschaftliche Zusammenbruch in der Geschichte des Kapitalismus – nicht zum Sozialismus, sondern zu Faschismus und Krieg geführt? Und schließlich, warum war der auf der Grundlage der Oktoberrevolution gegründete Arbeiterstaat zu einem monströsen totalitären Regime degeneriert?
Die Antwort, die von einem ganzen Heer kleinbürgerlicher Intellektueller und ehemaliger Radikaler gegeben wurde, lautete, dass die Niederlagen den Bankrott des Marxismus und der gesamten Perspektive der sozialistischen Revolution bewiesen. Trotzki hatte in einem Artikel vom März 1939 die politische Psychologie und Perspektive dieser Schichten beschrieben:
Die Gewalt siegt nicht nur, auf ihre Art überzeugt sie auch. Der Druck der Reaktion zerbricht nicht nur die Parteien physisch, sondern zersetzt auch die Menschen moralisch. Vielen der Herren Radikalen sinkt das Herz in die Hosen. Ihre Furcht vor der Reaktion übersetzen sie in gegenstandslose und allgemeine Kritizismen. „Etwas muss an den alten Theorien und Methoden falsch gewesen sein.“ „Marx irrte“ ... „Lenin hat nicht vorausgesehen“ ... Andere gehen sogar noch weiter. „Die revolutionäre Methode hat Bankrott gemacht.“[109]
Der größte Fehler des Marxismus, so folgerten die demoralisierten Intellektuellen, sei, dass er der Arbeiterklasse eine revolutionäre Aufgabe zugeschrieben habe, die sie nicht erfüllen könne. Die wesentliche Ursache aller Katastrophen der 1920er und 1930er Jahre sei daher darin begründet, dass die Arbeiterklasse an sich keine revolutionären Eigenschaften habe.
Das Gründungsdokument der Vierten Internationale begann mit einer deutlichen Absage an die defätistische und ahistorische Perspektive der Antimarxisten. Das grundlegende Problem der Epoche des Todeskampfes des Kapitalismus war nicht das Fehlen einer revolutionären Klasse, sondern vielmehr das Fehlen einer fähigen revolutionären Führung, die der Arbeiterklasse zur Eroberung der Macht verhilft.
„Die politische Weltlage als Ganzes“, schrieb Trotzki, „ist vor allem durch eine historische Krise der proletarischen Führung gekennzeichnet“.[110]
Diese bekannten Zeilen werden oft als bloße Mahnung gelesen, die die Kader der Vierten Internationale mit einer rhetorisch hochfliegenden Erklärung der politischen Mission der Partei inspirieren sollte. Eine solche Interpretation verfehlt die eigentliche Bedeutung der Erklärung, die eine prägnante Zusammenfassung der wesentlichen Lehre aus den Niederlagen der Arbeiterklasse darstellt.
In der zweiten These über Feuerbach schrieb Marx 1845: „Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage“.[111] Trotzki wandte diese grundlegende Auffassung des philosophischen Materialismus auf das Schicksal der sozialistischen Revolution an, und so besagt seine Formulierung zu Beginn des Gründungsdokuments der Vierten Internationale im Wesentlichen: Diskussionen über den revolutionären oder nicht-revolutionären Charakter der Arbeiterklasse, losgelöst von der Untersuchung der Praxis ihrer führenden Parteien und Organisationen, sind abstrakt, ohne politischen Inhalt und falsch.
Der Essay, an dem Trotzki zum Zeitpunkt seines Todes arbeitete, war der Untermauerung seiner Auffassung der Krise der Führung gewidmet. Er trug den Titel „Klasse, Partei und Führung: Warum wurde das spanische Proletariat besiegt? (Fragen der marxistischen Theorie)“. Der Artikel, der mitten im Satz abrupt endet, erschien in der Dezemberausgabe der Vierten Internationale von 1940, vier Monate nach Trotzkis Tod. Obwohl unvollständig, gehört der Aufsatz – sowohl philosophisch-theoretisch als auch politisch betrachtet – zu den tiefgründigsten Darlegungen der dialektischen Beziehung zwischen den objektiven und subjektiven Faktoren des revolutionären Prozesses in der Epoche des Todeskampfes des Kapitalismus.
Trotzkis Essay war eine Reaktion auf eine Rezension in der französischen radikalen Zeitschrift Que Faire, die verächtlich über eine Broschüre mit dem Titel Verratenes Spanien herzog. Der Autor der Broschüre war Mieczyslaw Bortenstein, Mitglied der Vierten Internationale, der unter dem Pseudonym M. Casanova schrieb. Bortenstein hatte in Spanien gekämpft, wo er Zeuge der stalinistischen Sabotage der Revolution geworden war. Die Broschüre wurde grundlegend von Trotzkis Entlarvung der Volksfront und seiner Kritik an der zentristischen Politik der POUM beeinflusst, stützte sich aber vor allem auf die persönlichen Erfahrungen des Autors in Spanien. Abgesehen von dieser einen Broschüre ist relativ wenig über Bortensteins politische Aktivitäten bekannt. Man weiß allerdings, dass sein Leben im Alter von 35 Jahren auf tragische Weise endete. Nach der Machtübernahme der Nazis in Frankreich wurde Bortenstein von der Vichy-Regierung verhaftet und schließlich in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo er 1942 ermordet wurde.
Bortenstein schrieb seinen Text nach der widerstandslosen Preisgabe von Barcelona durch die stalinistisch dominierte Volksfrontregierung an die faschistische Armee unter Franco. Die Aushändigung dieser einstigen Zitadelle der Arbeiterrevolution war der Höhepunkt des Verrats, den die Volksfront darstellte. In der Einleitung der Broschüre schrieb Casanova-Bortenstein:
Ich muss das, was gerade passiert ist, auf der Grundlage meiner eigenen Erfahrungen darlegen. Ich muss die Tatsachen berichten. Ich werde beschreiben, wie strategische Positionen von entscheidender Bedeutung kampflos aufgegeben wurden, wie Verteidigungspläne von einem verräterischen Generalstab an den Feind übergeben wurden, wie die Kriegsindustrie sabotiert und die Wirtschaft desorganisiert wurde, wie die besten Kämpfer der Arbeiterklasse ermordet wurden und wie faschistische Spione von der „republikanischen“ Polizei geschützt wurden, um zu erklären, wie der revolutionäre Kampf des Proletariats gegen den Faschismus verraten und Spanien an Franco ausgeliefert wurde.
Meine Analyse und die Fakten, die ich liefern werde, gehen alle auf ein und dasselbe Thema zurück: die kriminelle Politik der Volksfront. Nur die Arbeiterrevolution hätte den Faschismus besiegen können. Die gesamte Politik der republikanischen, sozialistischen, kommunistischen und anarchistischen Führer wirkte darauf hin, die revolutionäre Energie der Arbeiterklasse zu zerstören. „Zuerst den Krieg gewinnen und danach die Revolution machen“ – diese reaktionäre Parole diente dazu, die Revolution zu erdrosseln, um danach den Krieg zu verlieren.[112]
Es sei entscheidend, dass die Lehren aus der spanischen Katastrophe gezogen würden, erklärte Casanova-Bortenstein. „Weder der Sozialismus noch der Marxismus sind in Spanien gescheitert, sondern diejenigen, die ihn so verbrecherisch verraten haben.“[113]
Der Verriss von Bortensteins Broschüre, der in Que Faire veröffentlicht wurde – einer Zeitschrift, deren Herausgeber der Kommunistischen Partei Frankreichs den Rücken gekehrt hatten – veranschaulicht die zynische Haltung kleinbürgerlicher Zentristen. Bortenstein wird darin angegriffen, weil er sich auf die Parteien und die Politik konzentrierte, die für die Niederlage verantwortlich waren, anstatt sich auf die Eigenschaften der spanischen Arbeiterklasse zu konzentrieren – vor allem auf ihre „Unreife“ –, die sie angeblich unfähig machten, den Faschismus zu besiegen. „Wir werden“, behauptete Que Faire, „in ein von Dämonen allein beherrschtes Gebiet geführt. Der für die Niederlage Verantwortliche ist der Obersatan Stalin, umringt von den Anarchisten und all den anderen kleinen Teufeln: Der Gott der Revolutionäre schickte unglücklicherweise keinen Lenin oder Trotzki nach Spanien, wie Er es 1917 in Russland tat.“[114]
Trotzki unterwarf den Angriff Que Faires auf Bortensteins Streitschrift einer vernichtenden Kritik. Dieser „theoretische Hochmut“ der Rezension von Que Faires, so schrieb er, „ist umso bemerkenswerter, als es geradezu unfassbar ist, wie so viele abgedroschene, platte und falsche, für einen konservativen Philister charakteristische Bemerkungen in so wenigen Zeilen untergebracht werden konnten“.[115]
Das zentrale Ziel von Que Faires Reaktion bestand darin, die Parteien, Organisationen und Einzelpersonen in der Führung der Arbeiterklasse von jeglicher Verantwortung für die Katastrophe in Spanien freizusprechen. Die Schuld für die „falsche Politik der Massen“ sollte demnach nicht ihren Urhebern angelastet werden, sondern der Arbeiterklasse, die als Folge ihrer „Unreife“ dazu neigte, eine falsche politische Linie zu verfolgen. Dieses Argument des Autors der Que Faire-Rezension war eine verachtenswerte Entschuldigung für die Verantwortlichen der Niederlage. Trotzki schrieb:
Wer auf Tautologien aus ist, könnte nirgends eine seichtere finden. Eine „falsche Politik der Massen“ wird erklärt durch die „Unreife“ der Massen. Aber was bedeutet „Unreife“ der Massen? Offensichtlich ihre Empfänglichkeit für falsche Politik. Worin nun die falsche Politik bestand und wer sie initiierte: die Massen oder die Führer – das wird schweigend von unserem Autor übergangen. Mit Hilfe einer Tautologie schiebt er die Verantwortung auf die Massen. Besonders empörend ist dieser klassische Trick aller Verräter, Deserteure und deren Anwälte in Verbindung mit dem spanischen Proletariat.[116]
Aber selbst wenn die Führer der spanischen Arbeiterklasse schlecht waren, argumentierten die Apologeten, war es dann nicht die Schuld der Massen, dass sie den schlechten Führern folgten? Als Antwort auf eine solch verderbliche Spitzfindigkeit wies Trotzki – zur Untermauerung von Bortensteins Augenzeugenbericht – darauf hin, dass die Arbeiterklasse immer wieder versuchte, die von den Stalinisten, Sozialdemokraten und Anarchisten errichteten politischen Barrieren zu durchbrechen; und dass ihre verräterischen Führer, wann immer die Arbeiterklasse kurz vor der Offensive stand, ihre konterrevolutionäre Politik mit Gewalt durchsetzten. Der Aufstand der Arbeiterklasse in Barcelona im Mai 1937 gegen die verräterische Politik der Volksfrontregierung wurde rücksichtslos niedergeschlagen. Trotzki schrieb:
Man muss schon absolut gar nichts auf dem Gebiet der gegenseitigen Beziehungen zwischen der Klasse und der Partei, zwischen den Massen und der Führung begriffen haben, um die leere Phrase nachzuplappern, die spanischen Massen seien einfach ihren Führern gefolgt. Sie versuchten zu jeder Zeit, auf den richtigen Weg zu gelangen. Das einzige, was gesagt werden kann, ist, dass es über die Kraft der Massen ging, mitten im Kampf eine neue Führung aufzubauen, die den Erfordernissen der Revolution entsprochen hätte.[117]
Trotzki erinnerte an den überstrapazierten Ausspruch, dass jedes Volk die Regierung bekommt, die es verdient. Übertragen auf den Bereich gesellschaftlicher Kämpfe würde dieses Argument besagen, dass jede Klasse die Führung bekommt, die sie verdient. Wenn die Arbeiter also schlechte Führer haben, haben sie diese auch verdient; denn sie sind unfähig, bessere hervorzubringen. Trotzki antwortete auf dieses formale und mechanische Argument.
In Wirklichkeit ist die Führung durchaus nicht die „einfache Widerspiegelung“ einer Klasse oder das Produkt ihrer eigenen schöpferischen Kraft. Eine Führung wird vielmehr im Prozess der Zusammenstöße zwischen den verschiedenen Klassen oder der Reibung zwischen den verschiedenen Schichten einer gegebenen Klasse geformt. Einmal aufgestiegen, erhebt sich die Führung stets über die Klasse und wird dadurch den Einflüssen und dem Druck anderer Klassen ausgesetzt. Das Proletariat kann für lange Zeit eine Führung „dulden“, die schon eine vollständige innere Degeneration durchgemacht hat, die jedoch noch nicht die Gelegenheit hatte, dies angesichts großer Ereignisse zu zeigen.
Ein großer historischer Schock ist notwendig, um in aller Schärfe die Widersprüche zwischen der Führung und der Klasse zu enthüllen. Die mächtigsten historischen Schocks sind Kriege und Revolutionen. Genau aus diesem Grunde wird die Arbeiterklasse oft unversehens von Krieg und Revolution überrascht. Aber sogar dann, wenn die alte Führung ihre innere Korruption offenbart hat, kann die Klasse sich nicht aus dem Stegreif eine neue Führung schaffen, zumal wenn sie nicht aus der vorangegangenen Periode starke revolutionäre Kader ererbt hat, die fähig sind, sich den Zusammenbruch der alten führenden Partei zunutze zu machen. Die marxistische, d.h. dialektische und nicht scholastische Interpretation der gegenseitigen Beziehungen zwischen einer Klasse und ihrer Führung lässt von der legalistischen Sophistik unseres Autors keinen Stein auf dem anderen.[118]
Die bürgerliche Kritik am Marxismus – insbesondere, wie sie an den Universitäten propagiert wird – behauptet gewöhnlich, dass der deterministische philosophische Materialismus dem „subjektiven Faktor“ in der Geschichte nicht genügend Aufmerksamkeit schenke. Aufgrund seiner Fixierung auf die sozioökonomischen Grundlagen und die Klassenstruktur der Gesellschaft berücksichtige der Marxismus nicht, wie das Bewusstsein, insbesondere in seinen über der Geschichte stehenden und irrationalen Erscheinungsformen, die chaotische Entwicklung der Gesellschaft präge. Diese Kritik, die dem Marxismus eine rigide Trennung von objektiven und subjektiven Faktoren zuschreibt, verbindet Unwissenheit mit Verzerrung und völliger Verfälschung. Ein zentrales Thema in Trotzkis Schriften war über viele Jahre hinweg die entscheidende Rolle des subjektiven Faktors für den Ausgang revolutionärer Kämpfe gewesen – politischen Führungspersönlichkeiten wurde hierbei eine besondere Bedeutung beigemessen. In einem bekannten Tagebucheintrag von 1935 betonte Trotzki die entscheidende Rolle, die Lenin beim Sieg der Oktoberrevolution gespielt hatte. „Wäre ich 1917 nicht in Petersburg gewesen, so würde die Oktoberrevolution dennoch ausgebrochen sein – unter der Voraussetzung, dass Lenin anwesend gewesen wäre und die Führung gehabt hätte.“[119]
In seiner Widerlegung von Que Faire kehrte Trotzki zur Rolle Lenins in der Oktoberrevolution zurück. Er wies die von den Autoren vorgenommene Ersetzung der „dialektischen Bedingtheit des historischen Prozesses“ durch „mechanistischen Determinismus“ und „die billigen Albernheiten über die Rolle von – guten und schlechten – Individuen“ zurück. Der Klassenkampf entfaltet sich nicht als ein übermenschlicher Prozess. Er wird von realen Menschen gemacht, und ihr Handeln trägt dazu bei – und entscheidet bisweilen sogar darüber –, ob ein revolutionärer Aufstand siegt oder scheitert oder ob er überhaupt stattfindet. „Die Ankunft Lenins in Petrograd am 3. April 1917 brachte die rechtzeitige Wendung der bolschewistischen Partei und befähigte sie, die Revolution zum Siege zu führen.“[120] Trotzki fuhr fort:
Unsere Weisen mögen behaupten, dass, wäre Lenin Anfang 1917 im Ausland gestorben, die Oktoberrevolution „genauso“ stattgefunden hätte. Dem ist aber nicht so. Lenin repräsentierte eines der lebendigen Elemente des historischen Prozesses. Er verkörperte die Erfahrung und die Einsicht des aktivsten Teils des Proletariats. Sein zeitiges Erscheinen in der Arena der Revolution war notwendig, um die Avantgarde zu mobilisieren und ihr eine günstige Gelegenheit zu verschaffen, die Arbeiterklasse und die Bauernschaft um sich zu sammeln. In den entscheidenden Momenten historischer Wendungen kann die politische Führung ein genauso entscheidender Faktor werden wie das Oberkommando in den kritischen Momenten eines Krieges. Geschichte ist kein automatischer Prozess. Warum sonst Führer? Warum Parteien? Warum Programme? Warum theoretische Auseinandersetzungen?[121]
In seiner Schrift stellte Bortenstein mit Bitterkeit fest, dass alle Parteien und Einzelpersonen, deren politische Fehler und sogar glatter Verrat die Niederlage der Spanischen Revolution gesichert hatten, in der Folge behaupteten, dass kein anderer Ausgang der Ereignisse möglich gewesen wäre. „Wenn wir den Erklärungen der Führer der Volksfront, einschließlich der Anarchisten, zuhören und diese wirklich ernst nehmen, bleibt uns nichts anderes übrig als zu verzweifeln und alle Hoffnung auf die revolutionären Fähigkeiten des Proletariats, seine Zukunft und sogar seine historische Mission zu verlieren.“[122] An Entschuldigungen für die Niederlage mangelte es nicht.
Nach Ansicht unserer kleinbürgerlichen Demokraten der Volksfront war alles unvermeidlich. Die Republikaner und Sozialisten rechtfertigten die Niederlage mit der militärischen Überlegenheit der Faschisten und die Kommunisten mit der Existenz einer pro-faschistischen Bourgeoisie (was für eine Entdeckung!), die durch ihre Politik der Nichteinmischung Franco begünstigte. Sie vergaßen hinzuzufügen, dass sie die Regierung Blum unterstützten, die diese Politik einleitete. Die Anarchisten rechtfertigten ihre Kapitulationen und ihren wiederholten Verrat mit der Erpressung, die die Russen mit den Waffen, die sie den Republikanern schickten, ausübten. Was die POUM betrifft, so schloss auch sie sich dem fatalistischen Chor an und sagte „Wir waren zu schwach, und wir mussten den anderen folgen, und vor allem konnten wir die Einheit nicht brechen.“ So war alles unvermeidlich. Was geschah, musste geschehen und wurde vor langem bereits im Koran vorausgesagt ...[123]
In einer großartigen Passage unterstützte Trotzki von ganzem Herzen Bortensteins Anklage gegen den selbstgerechten Fatalismus derer, die die spanischen Arbeiter in die Niederlage geführt hatten.
Diese Philosophie der Ohnmacht, die versucht, Niederlagen als notwendige Glieder in der Kette überirdischer Entwicklungen hinzunehmen, ist total unfähig, Fragen nach solch konkreten Faktoren wie Programmen, Parteien, Persönlichkeiten, die die Organisatoren der Niederlagen waren, überhaupt aufzuwerfen, und weigert sich, dies zu tun. Diese Philosophie des Fatalismus und der Schwäche ist dem Marxismus als der Theorie der revolutionären Aktion diametral entgegengesetzt.[124]
* * * * *
Trotzki setzte die Arbeit an seiner Stalin-Biographie fort. Im letzten Kapitel des unvollendeten Werks mit dem Titel „Die Thermidorianische Reaktion“ unterzog er Stalin und sein Gefolge einer kritischen Beurteilung und zeichnete ein verheerendes Bild.
Im Lager des Stalinismus wird man im Allgemeinen keinen einzigen begabten Schriftsteller, Historiker oder Kritiker finden. Es ist ein Königreich der arroganten Mittelmäßigkeiten. Daher die Leichtigkeit, mit der hochqualifizierte Marxisten, durch zufällige und zweitklassige Leute, die die Kunst des bürokratischen Manövrierens beherrschten, ersetzt werden konnten. Stalin ist die herausragendste Mittelmäßigkeit der Sowjetbürokratie. Ich kann keine andere Definition als diese finden.[125]
Die Verwandlung Stalins in ein „Genie“ war das Werk der Bürokratie, die in ihm ein brutales Instrument für ihr Streben nach Privilegien fand. Der Mythos Stalin, der aus Lügen entstand, war die Schöpfung der Bürokratie. „Dieser massive, organische, unbezwingbare Charakter der Lüge“, bemerkte Trotzki, „ist der unbestreitbare Beweis dafür, dass es nicht nur um persönliche Ambitionen eines Einzelnen geht, sondern um etwas unermesslich Größeres: Die neue Kaste der privilegierten Emporkömmlinge musste ihren eigenen Mythos haben“.[126]
Die gesamte kulturelle Entwicklung der Sowjetunion wurde durch das bürokratische Regime erstickt. „Literatur und Kunst der stalinschen Epoche“, schrieb Trotzki, „werden in die Geschichte als Exempel des absurdesten und abscheulichsten Byzantinismus eingehen“.[127] Selbst die wirklich begabten Künstler waren gezwungen, sich im Dienste Stalins zu prostituieren. Trotzki zitierte ein Gedicht von Alexei Tolstoi, in dem Stalin als eine Gottheit dargestellt wird: „Du, strahlende Sonne der Nationen, / Nie sinkende Sonne unserer Zeit“ usw. Zu diesen Zeilen schrieb Trotzki: „Um die Dinge beim richtigen Namen zu nennen, erinnert diese Poesie eher an das Grunzen eines Schweins.“[128]
Sogar die sowjetische Architektur wurde von Stalin verzerrt und degradiert. Das Haus der Sowjets, das nach den Vorgaben Stalins erbaut wurde, war „ein monströses Gebäude, das mit seiner imposanten Nutzlosigkeit und rohen Grandiosität den konkreten Ausdruck eines brutalen Regimes ohne jegliche Ideen oder Perspektive darstellt“.[129] Was Filme betrifft, so waren ihre Regisseure und Schauspieler gezwungen, Anweisungen von Stalin entgegenzunehmen. Ihr einziger Zweck wurde die Verherrlichung des Diktators. „Auf diese Weise wurde die sowjetische Kinematographie, die einen so vielversprechenden Anfang gemacht hatte, mausetot gemacht.“[130]
Was den Menschen Stalin anbelangt – soweit der lebende Mensch von dem Mythos, in den er eingehüllt war, getrennt werden konnte –, so betonte Trotzki, dass sein wesentliches Merkmal „persönliche physische Grausamkeit, das, was man Sadismus nennt“, gewesen ist.[131]
Unfähig, an die besten Instinkte der Massen zu appellieren, appelliert Stalin an ihre niedrigsten Instinkte – Ignoranz, Intoleranz, Engstirnigkeit, Primitivität. Er sucht den Kontakt mit ihnen durch grobe Ausdrücke. Diese Grobheit dient aber auch als Tarnung für seine Gerissenheit. Seine ganze Leidenschaft steckt er in sorgfältig gehegte Pläne, denen alles andere untergeordnet ist. Wie sehr er Autorität verabscheut! Und wie sehr er es liebt, sie durchzusetzen![132]
Über seine eigene subjektive Haltung gegenüber Stalin schrieb Trotzki auf der vorletzten Seite der Biographie:
Die Stellung, die ich jetzt einnehme, ist einzigartig. Deshalb habe ich das Recht zu sagen, dass ich nie ein Gefühl des Hasses gegen Stalin empfunden habe. Es wird viel über meinen so genannten Stalinhass gesagt und geschrieben, der mich offenbar mit düsteren und beunruhigenden Urteilen erfüllt. Ich kann über all dies nur mit den Achseln zucken. Unsere Wege haben sich vor so langer Zeit getrennt, dass jede persönliche Beziehung, die zwischen uns bestand, längst völlig ausgelöscht ist. Für meinen Teil und in dem Maße, wie Stalin ein Werkzeug historischer Kräfte ist, die mir fremd und feindlich gesinnt sind, sind meine persönlichen Gefühle gegenüber Stalin nicht von meinen Gefühlen gegenüber Hitler oder dem japanischen Mikado zu unterscheiden.[133]
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Die Welt von 1940 schien einen Alptraum zu durchleben. Wie zerbrechlich und hilflos erschien die Zivilisation angesichts der voranschreitenden Barbarei! Unter dem Druck der Reaktion gaben selbst die klügsten und sensibelsten Vertreter der europäischen Intelligenz jede Hoffnung auf. Walter Benjamin, der in einem prekären Exil lebte, übersetzte seine persönliche Verzweiflung in ein krankhaft demoralisiertes „Über den Begriff der Geschichte“. Der Hitlerismus war demnach nicht die Negation der Zivilisation, sondern ihr wahres Wesen. „Es ist niemals ein Dokument der Kultur“, meinte er, „ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozess der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist“.[134]
Benjamin machte auf das Gemälde Angelus Novus des Künstlers Paul Klee aufmerksam. In diesem Werk werde die reale Natur des historischen Prozesses dargestellt: „Еr hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert.“[135] Benjamins Verzweiflung führte ihn zu Zynismus, den er gegen die Perspektive der sozialistischen Revolution richtete. Von den „Еpigonen“ von Marx, schrieb er bitter, sei „die Vorstellung von der ‚revolutionären Situation‘“ abgeleitet worden, „die bekanntlich nie kommen wollte“.[136]
Was blieb Walter Benjamin also anderes übrig, als sich das Leben zu nehmen? Auf der Flucht aus Vichy-Frankreich und in Sichtweite der spanischen Grenze war Benjamin von der Ausweglosigkeit seiner Situation überzeugt und beging am Abend des 26. September 1940 Selbstmord. Hätte er nur einen Tag länger gewartet, wäre der Schriftsteller sicher über die Grenze gekommen.
Trotzki hätte zweifellos großes Mitgefühl für Benjamin empfunden. Aber das Gefühl der Verzweiflung war dem Revolutionär fremd. Sein ausgeprägter Sinn für Geschichte ermöglichte es ihm, die Brutalität seiner Zeit in den richtigen Kontext zu stellen. In einem Abschnitt der Stalin-Biographie, der die Überschrift „Eine historische Parallele“ trägt, bemerkte Trotzki: „In dieser Periode des kapitalistischen Niedergangs bringt Europas Rückschritt viele der Züge der Kindheit des Kapitalismus hervor. Das heutige Europa ähnelt stark dem Italien des 15. Jahrhunderts.“[137] Natürlich war das eine Ära, in der die kleinen Staaten „die ersten Schritte eines infantilen Kapitalismus darstellten“. Aber die Epoche der Renaissance ähnelte der Neuzeit in einem wichtigen Punkt: „Es war eine Epoche des Übergangs von alten zu neuen Normen – eine amoralische und per se unmoralische Epoche“.[138] Kardinäle „schrieben pornografische Komödien, und die Päpste produzierten sie an ihren Höfen“.[139]
Die Korruption war das Hauptthema der italienischen Politik. Die Kunst des Regierens wurde in Cliquen praktiziert und bestand in den sanften Künsten der Lüge, des Verrats und des Verbrechens. Einen Vertrag zu erfüllen, ein Versprechen einzuhalten, galt als der Gipfel der Dummheit. Schlitzohrigkeit ging Hand in Hand mit Gewalt. Aberglaube und mangelndes Vertrauen vergifteten alle Beziehungen zwischen den Staatschefs. Es war die Zeit der Sforzas, der Medici, der Borgias. Aber es war nicht nur die Zeit von Verrat und Fälschung, von Gift und List. Es war auch die Zeit der Renaissance.[140]
Wie in der Zeit der Renaissance findet sich der moderne Mensch
an der Grenze zwischen zwei Welten – der bürgerlich-kapitalistischen, die Qualen erleidet, und jener neuen Welt, die sie ersetzen soll. Jetzt erleben wir wieder den Übergang von einem Gesellschaftssystem zum anderen, in der Epoche der größten sozialen Krise, die wie immer von einer Krise der Moral begleitet wird. Das Alte ist in seinen Grundfesten erschüttert worden. Das Neue hat kaum begonnen, sich herauszubilden. Soziale Widersprüche haben wieder eine außergewöhnliche Schärfe erreicht.[141]
Solche Zeiten üben einen immensen Druck auf den Einzelnen aus.
Wenn das Dach eingestürzt ist und die Türen und Fenster aus den Angeln gefallen sind, ist das Haus trostlos und schwer bewohnbar. Heute wehen stürmische Winde über unseren ganzen Planeten.[142]
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Trotzki sah sein Überleben des Angriffs vom 24. Mai lediglich als Gnadenfrist an. Er wusste, dass die GPU einen weiteren Anschlag auf sein Leben verüben würde. Harold Robins erinnerte in einem Gespräch mit dem Autor dieser Zeilen daran, dass Trotzki Anfang August um ein Treffen mit den Wachen bat. Die internationalen Nachrichten wurden von den Luftangriffen Nazi-Deutschlands gegen Großbritannien beherrscht. Trotzki sagte den Wachen, er erwarte, dass Stalin versuchen werde, die Ablenkung der Öffentlichkeit auszunutzen, indem er so bald wie möglich ein weiteres Attentat versuche. Ein bekannter Journalist aus Mexiko-Stadt, Eduardo Tellez Vargas, der für El Universal schrieb, traf sich nach dem Überfall vom 24. Mai mehrmals mit Trotzki. In einem Interview mit dem Internationalen Komitee im Dezember 1976 erinnerte sich Tellez Vargas an sein letztes Treffen mit Trotzki, das am 17. August 1940 stattfand, nur drei Tage vor dem Attentat. Tellez Vargas empfand aufrichtige Bewunderung für den großen Revolutionär und war zutiefst beunruhigt über das, was Trotzki ihm erzählte.
Es kam ein Moment, in dem Trotzki absolut niemandem mehr vertraute. Er vertraute niemandem. Er nannte keine Namen, aber er sagte zu mir: „Ich werde entweder von einem von ihnen hier drinnen getötet werden oder von einem meiner Freunde von draußen, von jemandem, der Zugang zum Haus hat. Denn Stalin kann mein Leben nicht verschonen.“[143]
Am Tag von Tellez Vargas' letztem Interview mit Trotzki kam ein weiterer Besucher in die Villa in der Avenida Viena. Jacques Mornard, diesmal ohne Sylvia Ageloff, wurde der Zutritt zum Gelände gestattet. Mornard behauptete, er habe einen Artikel geschrieben, von dem er wollte, dass Trotzki ihn liest. Trotzki, der mehrmals kurz mit Mornard zusammengekommen war, hatte bereits angedeutet, dass er den Mann nicht mochte. Mornard hatte sich daran gewöhnt, in Trotzkis Gegenwart über seinen „Chef“ zu sprechen, der durch Geschäftsspekulationen reich geworden war. In ihrem autobiographischen Bericht über ihr Leben mit Trotzki erinnerte Natalia Sedova daran, dass er „völlig gleichgültig“ war, als Mornard von den Heldentaten seines Chefs sprach. „Diese kurzen Gespräche irritierten mich früher“, schrieb Sedowa, „und auch Leon Dawidowitsch mochte sie nicht.,Wer ist dieser sagenhaft reiche Chef?‘, fragte er mich. ,Das sollten wir herausfinden. Schließlich könnte er irgendein Profiteur mit faschistischen Tendenzen sein, und es wäre vielleicht am besten, Sylvias Ehemann ganz und gar nicht mehr zu sehen...‘“.[144]
Das Treffen mit Mornard am 17. August verstärkte Trotzkis Besorgnis. Trotzki verließ sein Büro nach nur zehn Minuten. Er war durch Mornards Verhalten beunruhigt. Trotzki bemerkte, dass Mornard es versäumt hatte, seinen Hut abzunehmen, als er das Büro betrat, und sich dann auf die Ecke von Trotzkis Schreibtisch setzte. Dies war ein seltsam unangemessenes Verhalten für einen Mann, der behauptete, Belgier und in Frankreich aufgewachsen zu sein. Trotzki hatte nach nur wenigen Minuten mit Mornard Zweifel an der Nationalität des Besuchers. Isaac Deutscher erinnerte sich:
Wer war er [Mornard-Jacson] wirklich? Man müsste dahinterzukommen suchen. Natalja war verdutzt; es schien ihr, dass Trotzki „an ‚Jacson‘ eine neue Seite entdeckt hatte, aber noch nicht zu einer endgültigen Schlussfolgerung gelangt war und es auch wohl nicht eilig damit hatte“. Dennoch war die Bedeutung seiner Äußerung alarmierend: Wenn „Jacson“ sie bezüglich seiner Nationalität betrog, warum tat er das? Und betrog er sie nicht auch in anderen Dingen? In welchen? Diese Fragen müssen Trotzki durch den Kopf gegangen sein, denn zwei Tage später teilte er Hansen seine Beobachtungen mit, gleichsam, um sich zu vergewissern, ob auch anderen bereits ähnliche Befürchtungen gekommen waren.[145]
Die Tatsache, dass Trotzki nach nur wenigen Minuten in Mornards Gegenwart Zweifel an seiner Nationalität hatte und den Verdacht hegte, dass er ein Hochstapler sein könnte, lässt die Frage aufkommen, warum Alfred und Maguerite Rosmer, beide Franzosen, nie einen ähnlichen Verdacht entwickelten – obwohl sie viel mehr Zeit mit dem Mann verbrachten, der Trotzkis Mörder werden sollte.
Am späten Nachmittag den 20. August, eines Dienstags, kam Mornard unangemeldet erneut zu Trotzkis Haus. Trotz der Bedenken, die ihm direkt von Trotzki übermittelt worden waren, genehmigte Joseph Hansen – dessen GPU-Verbindungen fast vierzig Jahre später aufgedeckt werden sollten – Mornards Zutritt zum Gelände. Obwohl das Wetter warm und der Himmel wolkenlos war, trug Mornard einen Hut und einen Regenmantel. In dem Mantel verbarg er ein Messer, eine automatische Waffe und einen Eispickel. Mornard wurde nicht durchsucht. Es wurde ihm gestattet, Trotzki in sein Büro zu begleiten. Er reichte Trotzki eine angebliche Neufassung eines Artikels, den er am 17. August vorgelegt hatte. Als Trotzki den Artikel las, zog Mornard den Eispickel aus dem Mantel und hieb ihn auf Trotzkis Schädel. Obwohl tödlich verwundet, erhob sich Trotzki von seinem Stuhl und wehrte den Angreifer ab. Harold Robins, der Trotzki schreien hörte, rannte in das Arbeitszimmer und überwältigte den Attentäter.
Auf dem Weg ins Krankenhaus in Mexiko-Stadt verlor Trotzki das Bewusstsein. Er starb mit Natalia an seiner Seite am folgenden Abend.
* * * * *
Am 27. Februar 1940, sechs Monate vor seiner Ermordung, hatte Trotzki sein Testament geschrieben. Er beabsichtigte, die Erklärung nach seinem Tod veröffentlichen zu lassen. Obwohl seine Arbeitsfähigkeit ungeschmälert war, glaubte Trotzki, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Zu der allgegenwärtigen Bedrohung ermordet zu werden litt er zusätzlich an Bluthochdruck, für den es damals keine wirksame Behandlung gab. Das Testament diente Trotzki dazu, „die einfältige und niederträchtige Verleumdung Stalins und seiner Agenten zu widerlegen: Meine Ehre als Revolutionär ist makellos“.[146] Er drückte darin seine Überzeugung aus, dass künftige revolutionäre Generationen die Ehre von Stalins Opfern rehabilitieren und „mit den Henkern des Kreml abrechnen“ würden, „wie sie es verdient haben.“ Mit offensichtlichen Emotionen zollte Trotzki Natalia Sedowa Tribut: „Zu dem Glück, ein Kämpfer für den Sozialismus zu sein, gab mir das Schicksal das Glück, ihr Mann sein zu dürfen“.[147] Trotzki stellte dann für die Nachwelt noch einmal das Ziel, die Prinzipien und die Philosophie dar, die sein Lebenswerk geleitet hatten:
Dreiundvierzig Jahre lang bin ich ein bewusster Revolutionär geblieben; zweiundvierzig Jahre habe ich unter dem Banner des Marxismus gekämpft. Wenn ich von vorne beginnen könnte, würde ich natürlich versuchen, den einen oder anderen Fehler zu vermeiden, aber die große Linie niemals ändern. Ich werde als proletarischer Revolutionär, als Marxist, als dialektischer Materialist und folglich als unbeirrbarer Atheist sterben. Mein Glaube an eine kommunistische Zukunft ist heute noch stärker als in meiner Jugend.[148]
Trotzkis Menschlichkeit und Weitblick fanden ihren vollendeten Ausdruck im Abschluss des Testaments:
Natascha hat das Fenster zur Hofseite noch weiter geöffnet, damit die Luft besser in mein Zimmer strömen kann. Ich kann den glänzenden grünen Rasenstreifen unter der Mauer sehen, den klaren blauen Himmel darüber und die Sonne überall. Das Leben ist schön. Die kommende Generation möge es reinigen von allem Bösen, von Unterdrückung und Gewalt und es voll genießen.[149]
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Achtzig Jahre sind seit der Ermordung Trotzkis vergangen. Und doch hat der Lauf der Zeit seine Statur nicht geschmälert. Der Schatten, den dieser politische Gigant des 20. Jahrhunderts warf, wird im 21. Jahrhundert noch größer.
Die Geschichte hat Trotzki rehabilitiert und seine Feinde bezwungen. Das Gebäude des Stalinismus liegt in Trümmern. Der Name Stalin wird jetzt und für alle Zeiten mit kriminellem Verrat verbunden sein. Der Schaden, den seine Verbrechen der Sowjetunion zugefügt haben – politisch, wirtschaftlich und kulturell – war nicht wiedergutzumachen. Stalin wird in Erinnerung bleiben als eine der beiden monströsesten Gestalten des 20. Jahrhunderts, als ein konterrevolutionärer Massenmörder von Sozialisten, der an Bösartigkeit nur von Hitler übertroffen wurde. Trotzki hatte Recht: „Die Rache der Geschichte ist schrecklicher als die des mächtigsten Generalsekretärs“.[150]
Trotzkis Platz in der Geschichte bleibt bestehen und seine Bedeutung nimmt zu, weil die Grundtendenzen und Charakteristika des gegenwärtigen Kapitalismus und Imperialismus mit seiner Analyse der Dynamik der globalen kapitalistischen Krise und der Logik des globalen Klassenkampfes übereinstimmen. Seine Schriften – unverzichtbar für das Verständnis der heutigen Welt – sind noch genauso frisch wie am Tag ihrer Entstehung. Trotzkis Leben und Kämpfe, seine unerschütterliche Hingabe an die Befreiung der Menschheit, werden in der Geschichte weiterleben.
Die Welt hat Lew Dawidowitsch Trotzki nicht hinter sich gelassen. Wir leben immer noch in der Epoche, die er als Todeskampf des Kapitalismus definierte. Die Lösung zur Krise des Kapitalismus, für die er eintrat – die sozialistische Weltrevolution –, bietet den einzigen historisch fortschrittlichen Ausweg aus dieser existenziellen Krise des kapitalistischen Systems.
Aber dieserAusweg setzt voraus, dass die Krise der revolutionären Führung gelöst wird. Dies ist die Aufgabe, der sich das Internationale Komitee der Vierten Internationale im Gedenken an den achtzigsten Jahrestag von Trotzkis Tod erneut widmet.
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Anmerkungen:
[1] „Trotsky’s place in History“, in: Scott McLemee / Paul Le Blanc (Hg.), C. L. R. James and Revolutionary Marxism: Selected Writings of C.L.R. James 1939-49, Chicago 2018, S. 93 (aus dem Englischen).
[2] The Case of Leon Trotsky, New York, 1968, S. 291 (aus dem Englischen).
[3] Leo Trotzki, „Die UdSSR im Krieg“, in: Verteidigung des Marxismus, Essen, 2006, S. 20 (hier im Mehring Verlag erhältlich).
[4] Leon Trotsky, „On the Eve of World War II“, in: Writings of Leon Trotsky 1939–40, New York, 1973, S. 17 (aus dem Englischen).
[5] Ebd., S. 18.
[6] Ebd., S. 25.
[7] Ebd., S. 26.
[8] Ebd., S. 19–20.
[9] Trotzki, „Die UdSSR im Krieg“, in: Verteidigung des Marxismus, S. 4.
[10] Ebd., S. 11.
[11] Ebd., S. 14f.
[12] Leo Trotzki, „Offener Brief an Genosse Burnham“, in: Verteidigung des Marxismus, S. 107.
[13] James Burnham, „Science and Style“, in: Leon Trotsky, In Defense of Marxism, London, 1971, S. 236 (aus dem Englischen).
[14] Leo Trotzki, „Eine kleinbürgerliche Opposition in der Socialist Workers Party“, in: Verteidigung des Marxismus, S. 60f.
[15] W.I. Lenin, „Konspekt zur ‚Wissenschaft der Logik‘, in: Werke, Band 38, Berlin 1970, S. 172.
[16] James Burnham, „Letter of Resignation“, in: Leon Trotsky, In Defense of Marxism, London 1971, S. 257–258 (aus dem Englischen).
[17] Leo Trotzki, „Brief vom 5. Juni 1940 an Albert Goldman“, in: Verteidigung des Marxismus, S. 211.
[18] Leo Trotzki, „Der imperialistische Krieg und die proletarische Weltrevolution“ in: Das Übergangsprogramm, Essen 1997, S. 211. (hier im Mehring Verlag erhältlich)
[19] Ebd., S. 213.
[20] Ebd., S. 218.
[21] Ebd., S. 221.
[22] Ebd., S. 224.
[23] Ebd., S. 228.
[24] Ebd., S. 231.
[25] Ebd., S. 234f.
[26] Ebd., S. 239.
[27] Ebd., S. 253.
[28] Ebd., S. 254.
[29] Leo Trotzki, „Die UdSSR im Krieg“, in: Verteidigung des Marxismus, Essen 2006, S. 17 (hier im Mehring Verlag erhältlich).
[30] Leo Trotzki, „Bilanz der finnischen Ereignisse“, in: Verteidigung des Marxismus, Essen 2006, S. 206.
[31] „Manifest der Vierten Internationale“, in: Das Übergangsprogramm, Essen 1997, S.254.
[32] Leon Trotsky, „Stalin Seeks My Death“, 8. Juni 1940, in: Writings of Leon Trotsky 1939-40, New York 2001, S. 233 (aus dem Englischen).
[33] Ebd., S. 233–34.
[34] Ebd., S. 235.
[35] Der Autor führte während unserer Zusammenarbeit in den 1970er und 1980er Jahren im Rahmen der Untersuchung der Ermordung Trotzki, die das Internationale Komitee leitete, zahlreiche Gespräche mit Harold Robins (1908–1987).
[36] Leon Trotsky, „Stalin Seeks My Death“, S. 247 (aus dem Englischen).
[37] Ebd., S. 248.
[38] Ebd., S. 247.
[39] Bertrand M. Patenaude, „Trotzki. Der verratene Revolutionär“, Berlin 2010, S. 314.
[40] „Healy’s Big Lie“, in: Education for Socialists, Dezember 1976, S. 36 (aus dem Englischen).
[41] Leon Trotsky, „The Comintern and the GPU“, in: Writings of Leon Trotsky 1939–40, S. 363–64 (aus dem Englischen).
[42] Barry Carr, „Crisis in Mexican Communism. The Extraordinary Congress of the Mexican Communist Party“, in: Science & Society, Frühjahr 1987, Jg. 51, Nr. 1, S. 50 (aus dem Englischen).
[43] Ebd., S. 51.
[44] Ebd., S. 54.
[45] Leon Trotsky, „The Comintern and the GPU“, S. 352 (aus dem Englischen).
[46] Dimitri Wolkogonow, Stalin. Triumph und Tragödie, Düsseldorf 1989, S. 359–63.
[47] Leon Trotsky, „The Comintern and the GPU“,S. 350 (aus dem Englischen).
[48] Ebd., S. 351.
[49] Victor Serge, From Lenin to Stalin, New York 1937, S. 104 (aus dem Englischen).
[50] Leon Trotsky, „Letter to Joseph Hansen (March 8, 1939)“, in: Writings of Leon Trotsky. Supplement 1934–40, New York 1979, S. 830.
[51] Der Herausgeber und Übersetzer dieser neuen englischen Ausgabe ist Alan Woods. Obwohl er mit einer linken politischen Tendenz in Verbindung steht, mit der das Internationale Komitee bekannte und grundlegende politische Differenzen hat, verdienen Woods’ Bemühungen bei der Erstellung dieser Neufassung der Stalin-Biografie Anerkennung und Lob. Die aktuellere englische Ausgabe unterscheidet sich von der deutschsprachigen Stalin-Biografie, die im Mehring Verlag erschien. In der Folge wird daher aus beiden Ausgaben zitiert.
[52] Leon Trotsky, Stalin, Hrsg. Alan Woods, London 2016, S. 545 (aus dem Englischen).
[53] Ebd.
[54] Ebd.
[55] Leo Trotzki, Stalin. Eine Biographie, Essen 2001, S. 442 (hier im Mehring Verlag erhältlich).
[56] Ebd., S. 12.
[57] Leon Trotsky, Stalin, S. 672 (aus dem Englischen).
[58] Ebd.
[59] Leon Trotsky, „Stalin Seeks My Death“, S. 250 (aus dem Englischen).
[60] Ebd.
[61] Leo Trotzki: „Die Rolle des Kreml in der europäischen Katastrophe“, in: Ders.: Schriften 1, Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur, Band 1.2 (1936-1940), S. 1338.
[62] Ebd., S. 1339-1341.
[63] „Discussions with Trotsky“, in: Writings of Leon Trotsky 1939–40, S. 253, zitiert bei David North, „Das Erbe, das wir verteidigen“, 2. Aufl., Essen 2019, S. 131.
[64] Ebd., S. 254 (aus dem Englischen).
[65] Ebd.
[66] Ebd., S. 260.
[67] Ebd., S. 260f.
[68] Ebd., S. 266.
[69] Ebd., S. 267.
[70] Ebd., S. 271-73, teilweise zitiert bei North, Erbe, S. 90f.
[71] Ebd., S. 280f., zitiert bei North, Erbe, S. 91.
[72] Ebd., S. 282 (aus dem Englischen).
[73] Ebd.
[74] Ebd.
[75] David North, „Ein Nachruf auf Harold Robins, Leiter von Trotzkis Wachen, 1908-1987“, in: Vierte Internationale (15/1), Frühjahr 1988, S. 67f.
[76] Bertrand M. Patenaude, „Trotzki. Der verratene Revolutionär“, Berlin 2010, S. 329.
[77] „Discussions with Trotsky“, in: Writings of Leon Trotsky 1939–40, New York 1973, S. 273, zitiert bei David North, Das Erbe, das wir verteidigen, 2. Aufl., Essen 2019, S. 91.
[78] Ebd.
[79] Leo Trotzki, „Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs“, in: Marxismus und Gewerkschaften, Essen 1976, S. 9f.
[80] Ebd., S. 10.
[81] Ebd., S. 10f.
[82] Ebd., S. 11f.
[83] Ebd., 12.
[84] Ebd.
[85] Ebd., S. 16.
[86] Ebd.
[87] Ebd., S. 17.
[88] „Discussions with Trotsky“, S. 267 (aus dem Englischen).
[89] Trotzki, „Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs“, S. 19.
[90] Leo Trotzki, „Die UdSSR im Krieg“, in: Verteidigung des Marxismus, Essen 2006, S. 23.
[91] Leo Trotzki, „Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale“, in: Das Übergangsprogramm, Essen 1997, S. 91.
[92] Leon Trotsky „Some Questions on American Problems“, in: Writings of Leon Trotsky 1939–40, S. 331, zitiert in: North, Das Erbe, das wir verteidigen, S. 133f.
[93] Ebd., S. 333–34, zitiert in: North, Das Erbe, das wir verteidigen, S. 134–37.
[94] Ebd., S. 335 (aus dem Englischen).
[95] Ebd., S. 335–37.
[96] Ebd., S. 333–38.
[97] Dwight Macdonald, „Socialism and National Defense“, in: Partisan Review, Juli/August 1940, S. 252 (aus dem Englischen).
[98] Ebd., S. 254.
[99] Ebd., S. 256.
[100] Ebd., S. 252.
[101] Timothy Mason, „Some Origins of the Second World War“ (1964), in: Nazism, Fascism, and the Working Class. Essays by Tim Mason, Cambridge 1995, S. 51 (aus dem Englischen).
[102] „[Trotzkis letzter Artikel] (20.8.1940)“, in: Trotzki. Schriften über Deutschland, Band 2, Frankfurt am Main 1971, S. 732.
[103] Ebd., S. 735.
[104] Ebd.
[105] Ebd., S. 735f.
[106] Macdonald, „Socialism and National Defense“, S. 266 (aus dem Englischen).
[107] „[Trotzkis letzter Artikel] (20.8.1940)“, S. 739.
[108] Ebd., S. 739f.
[109] Leo Trotzki, „Nochmals zur Krise des Marxismus“, abrufbar unter: https://sites.google.com/site/sozialistischeklassiker2punkt0/trotzki/1939/leo-trotzki-nochmals-zur-krise-des-marxismus.
[110] Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Essen 1997, S. 83.
[111] Karl Marx, „Thesen Über Feuerbach“, in: MEW, Bd. 3, Berlin 1969, S. 5.
[112] Mieczyslaw Bortenstein (M. Casanova), Spain Betrayed. How the Popular Front Opened the Gate to Franco, Introduction, abrufbar unter:
https://marxists.architexturez.net/history/etol/document/spain2/index.htm.
[113] Ebd.
[114] Rezension aus: Que faire, zitiert in: Leo Trotzki, „Кlasse, Partei und Führung“, in: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien 1931-1939, Köln/Karlsruhe 2016, S. 406.
[115] Leo Trotzki, „Кlasse, Partei und Führung“, in: ebd., S. 407.
[116] Ebd.
[117] Ebd., S. 408.
[118] Ebd., S. 409-410.
[119] Leo Trotzki, Tagebuch im Exil, München 1962, S. 53, Hervorhebung im Original.
[120] Leo Trotzki, „Кlasse, Partei und Führung“, in: ebd., S. 413.
[121] Ebd.
[122] Mieczyslaw Bortenstein (M. Casanova), Spain Betrayed, Kapitel 21 unter
https://marxists.architexturez.net/history/etol/document/spain2/index.htm.
[123] Ebd.
[124] Leo Trotzki, „Кlasse, Partei und Führung“, in: ebd., S. 415.
[125] Leon Trotsky, Stalin: An Appraisal of the Man and His Influence, übersetzt von Alan Woods, London 2016, S. 663. Diese Ausgabe ist vollständiger als die verfügbaren deutschen Übersetzungen.
[126] Ebd., S. 671.
[127] Leo Trotzki, Stalin, Essen 2010, S. 439
[128] Leon Trotsky, Stalin: An Appraisal of the Man and His Influence, S. 671.
[129] Ebd., S. 671.
[130] Ebd., S. 671.
[131] Leo Trotzki, Stalin, Essen 2010, S. 463.
[132] Leon Trotsky, Stalin: An Appraisal of the Man and His Influence, S. 667.
[133] Ebd., S. 689. (Es gibt einen Fehler in der englischen Übersetzung des russischen Originaltextes, der in der spanischen Ausgabe der Biografie korrigiert wurde. Der Text in diesem Aufsatz enthält die Korrektur.)
[134] Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, Berlin 2010, S. 34.
[135] Ebd., S. 35
[136] Ebd., S. 154.
[137] Leon Trotsky, Stalin: An Appraisal of the Man and His Influence, S. 682.
[138] Ebd., S. 682.
[139] Ebd., S. 683.
[140] Ebd., S. 682.
[141] Ebd., S. 689.
[142] Ebd., S. 689.
[143] Internationales Komitee der Vierten Internationale, Trotsky’s Assassin At Large, Labor Publications 1977, S. 302-303.
[144] Victor Serge und Natalia Sedova Trotzki, The Life and Death of Leon Trotsky, New York 1975, S. 265.
[145] Isaac Deutscher, Trotzki: Der verstoßene Prophet, Stuttgart 1972, S. 459.
[146] Leo Trotzki, Testament, abrufbar unter:https://sites.google.com/site/sozialistischeklassiker2punkt0/trotzki/1940/leo-trotzki-testament.
[147] Ebd.
[148] Ebd.
[149] Ebd.
[150] LeoTrotzki, Stalin, Essen 2010, S. 427.